Kapitel 19

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„Dafür, dass deine kleine Schwester in Kürze verreist, wirkst du verdammt gut gelaunt. Freust du dich darüber oder hat es eher mit einer hübschen, sportlichen Brünetten zu tun, die du gestern beim Joggen getroffen hast?", grinste Phoebe, legte das Besteck beiseite und stützte den Kopf neugierig in die Hände.
„Möglicherweise", grinste Hayden, schob sich eine weitere Gabel mit Speck in den Mund und kaute genüsslich. „Ein Mann schweigt und genießt."
„Ihr habt euch also geküsst?"
„Jap."
„Und du hast Mary nicht dazu gezwungen?", fragte Phoebe vorsichtig.
„Nein."
„Hat sie irgendetwas vorher gesagt?"
Seine gute Laune bekam augenblicklich einen Dämpfer, als er sich ihre Worte ins Gedächtnis rief, bevor sie einander geküsst hatten. „Sie hat was gesagt."
„Und was? Wieso muss ich dir eigentlich alle Informationen aus der Nase ziehen?"
Nun legte auch Hayden das Besteck beiseite, nahm einen kräftigen Schluck von seinem Kaffee und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück. „Sie sagte etwas von Du musst mir versprechen, dich nicht in mich zu verlieben, weil wir einander verletzen werden."
Der neugierige Ausdruck auf dem Gesicht seiner jüngeren Schwester wich einem Ausdruckslosen. Wieder beschlich ihn das Gefühl, dass es irgendetwas gab, was seine Schwester ihm nicht verriet, was aber von essenzieller Bedeutung war.
„Und was denkst du?"
„Was verschweigst du mir, Phoebe?" Phoebe schluckte.
„Ich .. Ich bin lediglich der Meinung, dass es mit euch etwas schnell geht. Ihr sollte euch noch besser kennenlernen und eine gesunde Grundlage für eine feste Beziehung schaffen."
„Und?"
Phoebe presste nervös die Zähne zusammen und blickte ausweichend zur Seite. „Kein und. Es geht lediglich zu schnell. Mary und du sollten eure Dämonen der Vergangenheit aufarbeiten ehe ihr euch neu auf jemanden einlasst."
Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Dämonen der Vergangenheit? Ein Tsunami aus Lügen, Heuchelei und Dreistigkeit beschrieb es besser als ein Dämon. Wie sollte er auch etwas aufarbeiten, dass sich niemals so einfach verarbeiten ließ? Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte ihn belogen. Und selbst als ihre beider Welten vollkommen zertrümmert am Boden lagen, hatte sie die Dreistigkeit besessen weiterhin ihre Fehler zu verleugnen.
Hayden holte tief Luft, schloss einen kurzen Moment die Augen und versuchte seinen Puls bei der Erinnerung an seine erste große Liebe zu beruhigen. Mein Gott, was er hatte er dieses Mädchen bewundert, verehrt und schließlich sogar geliebt. Dann hatte sie ihm sein Herz aus der Brust gerissen, war darauf herum getreten und letztlich ohne ein Wort verschwunden. Nach Allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, hatte sie ihn nicht einmal selbst darüber informiert, dass sie wegging. Nicht ein Wort.
„Hayden?" Phoebe hatte sich vorgebeugt, eine Hand auf seinen Arm gelegt und blickte ihn besorgt an.
„Sie gehört der Vergangenheit an. Ich will nicht, dass sie mir und Mary im Weg steht - und das würde sie, wenn sie plötzlich wieder auftaucht."
„Du musst dich mit dem Beschäftigen, wenn du eine Beziehung mit Mary führen willst."
„Was hat Mercedes mit Mary zu tun? Das sind zwei völlig verschiedene Frauen: die Eine ehrlich, gut herzig und faszinierend, die Andere gefühlskalt, egozentrisch und verlogen. Warum sollte ich meine Geschichte mit Mercedes nach Jahren wieder ans Licht holen und mir somit etwas einzigartiges zerstören? Etwas, dass ich wohl kaum ein weiteres Mal finden werde."
Seufzend zog Phoebe ihre Hand zurück, strich sich eine Strähne aus der Stirn und betrachtete traurig ihre Hände. Wieso brachte sie diese alte Geschichte wieder auf den Tisch und erinnerte ihn somit daran, was er geliebt und verloren hatte? Was man ihm angetan hatte und wieso er normalerweise Frauen gegenüber distanziert war. Sie hatte sein Leben verändert und er hatte gehofft, dass sie es positiv beeinflussen würde. Stattdessen hatte sie ihn für alle Frauen verdorben. Hayden hatte zwar einige Dates gehabt, aber etwas Festes war daraus nie entstanden. Die Angst belogen, betrogen und verletzt zu werden, war zu groß. Für eine Nacht hatte er sich auf Frauen einlassen können. Doch sobald die Sonne am Horizont aufging, hatte er seine Sachen zusammen gesammelt und war so schnell verschwunden wie er gekommen war. Sie hatte ihn verändert. Er war ein Junge gewesen, der an eine bedingungslose Liebe wie die seiner Eltern geglaubt und sich eine solche Liebe gewünscht hatte. Dann war sie geschehen und hatte aus ihm einen Mann gemacht, der Beziehungen, Menschen und Worten misstraute - zumindest war dem so bis er Mary kennenlernte, die einen Punkt in ihm berührte und Gefühle in ihm hervorrief wie keine Andere vor ihr. In dem Augenblick, in dem sich ihre Blicke das erste Mal begegnet waren, hatte er sich wohl gefühlt - so wohl wie im Haus seiner Kindheit. In ihren Augen hatte er denselben schmerzlichen Ausdruck nach Sehnsucht, Liebe und Geborgenheit entdeckt, der auch in seinem Inneren schlummerte. An jenem Abend am See nach ihren vertrauten, von Träumen, Leidenschaften und Wünschen handelnden Gesprächen, den aufrichtigen Blicken und zärtlichen sowie innigen Berührungen war ihm klar geworden, dass Mary anders war als Mercedes und alle Frauen nach ihr. Sie würde die Frau sein, die ihn Mercedes vergessen ließ.
„Hayden, es tut mir leid, dass ich dich an Mercedes erinnert habe. Ich habe es nur gut gemeint." Hayden blickte zu seiner Schwester auf und stellte bestürzt fest, dass sie ihn zutiefst betrübt aus ihren rehbraunen Augen ansah. Er zwangt sich ein Lächeln auf die Lippen, strich sich mit einer Hand durch das Haar und versuchte die bedrückte, bedeutungsschwere Stimmung zwischen ihnen zu ignorieren.
„Es ist alles ok. Lass uns nur bitte nicht darüber reden", sagte er leise. „Erzähl mir lieber, was genau das für eine Reise ist. Du hast bisher nur erwähnt, dass du überhaupt verreist und sonst nichts erzählt."

UnverhofftWhere stories live. Discover now