Kapitel 20

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Seit Hayden ihr von seiner Sicht ihrer Beziehung erzählt hat, hatte Mercedes keinen Kontakt mehr mit ihm. Der Schock, dass er gedacht hatte, sie hätte eine Affäre mit Tylor war zu groß gewesen.
Wie kam er denn nur auf sowas? Und wie sollte sie ihm vermitteln, dass zwischen dem schon immer schwulen Tylor und ihr nie etwas anderes als Freundschaft gewesen war? Wie hatte sie nur alle Anzeichen übersehen können? Wie hatte Hayden das Vertrauen in sie derart verloren? Wie hatte alles nur so den Bach runtergehen können?
Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand über das Gesicht und blickte dann auf das Buch in ihren Händen. Auf der linken Seite hatte sie ein Bild von Hayden und sich bei seinem ersten Ball des Abschlussjahres geklebt. Seine langen, lockigen Haaren hingen ihm im Gesicht und verliehen ihm trotz des schicken, eleganten Anzugs etwas wildes, jungenhaftes, leidenschaftliches. Mit einem breiten Lächeln und vor Zuneigung glänzenden Augen blickte er zu ihr hinab. In ihrem kurzen, passend zu seinen schönen Augen blauen Kleid hatte sie sich wie das einzigste Mädchen im Saal gefühlt. Sie waren hoffnungslos in einander verliebt gewesen und hatten geglaubt, dass ihre Liebe allem Trotzen konnte.
Schluchzend klappte sie das Buch zu und atmete tief durch, bevor sie eine Schublade ihres Schreibtisches aufzog und es unter einem Stapel Blöcke versteckte. Als Hayden am Sonntag aufgetaucht war, hatte das Buch auf ihrem Bett beim Kopfkissen gelegen und sie hatte Angst gehabt, dass alles auffliegen würde, sobald er es entdeckte. Doch, Gott sei dank war er zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigt gewesen, um das Buch auf dem mit einem dicken Edding Hayden & Mercedes geschrieben stand, zu entdecken.
„Ach verdammt", fluchte Mercedes, warf den Stift beiseite und sprang vom Bett auf. Egal, wie sehr sie sich auch bemühte sich zu konzentrieren und zu lernen, es klappte nicht. Es ging einfach nichts in den Kopf. Rasch zog sie die Türen ihres Kleiderschranks auf, zog ein sommerliches, beiges Kleid heraus und schlüpfte hinein. Nachdem sie ihre Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengefasst und ihre Handtasche geschnappt hatte, eilte sie die Treppe herunter ins Erdgeschoss hinunter und stürmte hinaus. Am Straßenrand entdeckte Mercedes Val, eine weitere Mitbewohnerin, die gerade ihren Wagen aufschloss und ihre Handtasche auf den Beifahrersitz abstellte.
„Hey Val, könntest du mich mitnehmen?" Die hübsche Schwarzhaarige mit den moosgrünen Augen drehte sich überrascht zu ihr um und runzelte die Stirn.
„Klar. Aber wolltest du nicht eigentlich lernen?"
„Ich kann mich nicht konzentrieren." Val lächelte verständnisvoll.
„Wo möchtest du denn hin?"
„Zur Sporthalle."
„Auf dem Campus oder die in der Stadt?"
„Die in der Stadt." Mercedes schluckte und betrachtete ihre frisch lackierten Fingernägel. Sie musste ihn sehen. Sie konnte nicht länger warten bis sie erneut aufeinander trafen.
„Alles klar. Das liegt auf dem Weg." Val umrundete ihren weißen Audi, stieg ein und ließ den Motor an. Seufzend hob Mercedes ihre Handtasche an, setzte sich ebenfalls und schloss die Tür hinter sich. Val steuerte ruhig die Straße entlang, bremste für achtlose Kommilitonen und nickte ihnen freundlich zu, wenn diese sie überrascht ansahen.
„Wo fährst du hin?", erkundigte sich Mercedes, wobei sie Val von Kopf bis Fuß musterte. Die langen, schwarzen Locken fielen ihr über die Schultern und umschmeichelten das liebliche Gesicht der Jurastudentin. Wie immer trug Val einen lockere Shorts und ein weißes Top, dass ihre kleine Oberweite betonte.
„Ich fahre zu meinen Eltern. Meine Mom hat ein Anliegen, dass man am Telefon nicht besprechen kann." Mercedes schluckte, als sie sich an ihr letztes Gespräche mit ihren Eltern erinnerte. Sie hatte in den vergangenen Tagen mehrere E-Mails für Wohnungsbesichtigungen versendet und wartete auf die Rückmeldung zu einigen Bewerbungen. So sehr es ihr widerstrebte, es war unumgänglich.
„Du siehst in letzter Zeit ziemlich mitgenommen aus. Ich habe von einigen Kommilitonen gehört, dass du nicht mehr alle Vorlesungen besuchst und weniger Zeit in der Bibliothek verbringst."
„Es ist ziemlich kompliziert im Moment." Eine nette Umschreibung für all ihre Probleme, Sorgen und Ängste. Val warf ihr aus dem Augenwinkel einen besorgten Blick zu, aber sagte nichts weitere. Mercedes biss sich auf die Unterlippe, sah aus dem Fenster und beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Sie schwiegen die restliche Fahrt über und Mercedes bedankte sich bei Val, als sie vor der Sporthalle anhielt.
Sie wartete noch einen Moment bis Val verschwunden war, dann holte sie tief Luft und ging den Weg zur Eingangstür der Halle hinauf. Lautlos schlüpfte sie hinein, stieg die Treppen hinauf und warf einen Blick durch das Fenster auf den Platz. Sie entdeckte ihn sofort. Hayden joggte gerade über den Platz, fing den Basketball, den ein anderer Mitspieler ihm zuwarf, umrundete einen Weiteren, der sich ihm in den Weg stellte und warf dann gekonnte einen Korb. Breit grinsend drehte er sich um, klatschte die ausgestreckten Hände seiner Teamkameraden ab und trank etwas Wasser aus einer Trainingsflasche. Ihr Herz schlug schneller und sie lehnte die Stirn gegen das Fenster. Wie sollte sie ihm nur klar machen, dass zwischen Tylor und ihr nie etwas gelaufen war? Sie konnte ihn schließlich schlecht zu Tylor ziehen und verlangen, dass dieser ihm sagte, dass sie nur Freunde sein und er auf Männer stehe. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken drehte sie sich um und drückte eine Hand auf die Stelle ihres Brustkorbs unter der ihr Herz wild schlug.
„Guten Tag, Mary. Wenn du möchtest, kannst du mit runter auf das Spielfeld kommen. Dann kannst du Hayden aus der Nähe anschmachten", grinste Rayan spitzbübisch und machte bereits auf dem Absatz kehrt.
„Ich ...", begann Mercedes und brach dann ab. Was sollte sie Hayden nur sagen, weswegen sie hier war? Rayan ließ ihr keine Chance drüber nachzudenken, legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie mit sich durch die Kabine zum Spielfeld. Hayden saß breitbeinig auf einer Bank und lachte in diesem Augenblick über irgendetwas, dass ein kahlköpfiger Mann gesagt hatte. Das flaue Gefühl in ihrem Magen wurde mit jedem Schritt den sie sich ihm näherte schlimmer. Sie fühlte sich wie ein Teenager, der zum ersten Mal verliebt war. Dabei kannte sie Hayden besser als jeden anderen und hatte mit ihm soviel durchlebt, dass sie sich in keinsterweise in seiner Nähe unbehaglich fühlen sollte.
Ihr stockte der Atem, als sein Blick auf sie fiel. Seine Augen funkelten und sein zuvor noch von Belustigung verzogener Mund formte sich zu einem warmherzigen, liebevollen Lächeln. Rasch stand er auf, warf das Handtuch auf die Bank und kam mit großen, schnellen Schritten auf sie zu. Noch bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihr Gesicht mit beiden Händen umschlossen und legte seine Lippen für einen kurzen, lieblichen Kuss auf ihren Mund.
Genauso schnell wie er ihre Lippen mit einander vereinigt hatte, löste er sich auch schon wieder von ihr und lehnte seine Stirn an die Ihre.
„Es freut mich dich zu sehen." Mercedes schluckte. Ihr Herz wurde ganz schwer und rutschte ihr in die Hose. Wenn er die Wahrheit erfuhr, würde er sie hassen. Er würde sie niemals wieder auf diese liebevolle Art begrüßen, sie küssen und beschützend in die Arme nehmen.
„Ich habe dich vermisst", seufzte sie, schlang die Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine starke Brust, wobei sie die Tatsache ignorierte, dass es verschwitzt wie eine zweite Haut an seinem Körper klebte. Sie brauchte diese Umarmung in diesem Moment. Mit geschlossenen Augen rang sie die Tränen nieder und unterdrückte das aufkommende Schluchzen. Sanft strich er ihr über den Rücken und drückte ihr einen weiteren federleichten Kuss auf das Haar.
„Ich hab dich auch vermisst, Mary."
Langsam löste sie sich, legte den Kopf in den Nacken und erwiderte den begehrenden Blick seiner wunderschönen, tiefblauen Augen. „Ich .. Ich dachte, wir könnten nach deinem Training vielleicht essen gehen."
Sein Gesicht erhellte sich sofort und mit einem Lächeln auf den Lippen schob er sie ein Stück von sich. „Sehr gerne. Ich gehe mich schnell duschen und dann können wir los."
„Ist dein Training denn schon beendet?" Mit errötenden Wangen sah sie sich um und wünschte sich im Boden zu versinken, da alle Blicke auf sie gerichtet waren.
„Ich habe heute eher angefangen. Das wird schon gehen." Sein Blick richtete sich auf jemanden hinter ihr. Nickend senkte er wieder den Blick, schlang einen Arm um ihre Hüfte wie Rayan zu vor und holte seine Sachen von der Bank.
„Unter den Handtüchern im Schrank liegt ein Schild, häng es bitte auf, wenn ihr in den Duschen nicht gestört werden wollt", rief jemand hinter ihnen und amüsierte tiefes Gegrummel ertönte kurz darauf hinter ihnen. Mercedes errötete noch weiter soweit möglich und drängte sich näher an Hayden, der unbeirrt weiter ging. Eine Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die Halle verließen und Hayden sich zu ihr herabbeugt, wobei sein warmer Atem über ihre empfindliche, nackte Haut strich. „Keine Sorge, es wird nichts passieren."
Mit rasendem Herzen blickte sie zu ihm auf und schluckte, als sie die lodernde Lust in seinen Augen sah. Sein Blick glitt von ihren Augen zu ihrem Mund. Nervös biss sie auf die Unterlippe. Hayden sah sie wieder an.
„Das..", flüsterte er und fuhr mit dem Daumen über ihren leicht geöffneten Mund. „.. heben wir uns für einen späteren Zeitpunkt auf."
Ohne ein weiteres Wort oder eine weitere Berührung verschwand er in der Umkleide. Leicht erregt und völlig verdattert lehnte Mercedes sich an eine Wand, schloss die Augen und atmete tief durch. Sie versuchte, das immer weiter steigende Verlangen in sich zu ignorieren. Vergeblich. Unwillkürlich presste sie die Beine zusammen und atmete tief durch, während sie an alles andere zu denken versuchte - nur nicht an Hayden und sie nackt, verschwitzt und völlig außer Atem in einem Bett.
Das laute Knallen einer Tür riss sie aus ihren Gedanken und sie biss sich verlegen auf die Unterlippe, als sie Hayden vor sich sah. Er hatte sich sein T-Shirt ausgezogen und stand nun oberkörperfrei vor ihr.
„Setz dich schon mal in das Auto und such dir ein Restaurant aus. Ich komme gleich." Wortlos nahm sie ihm den Schlüssel ab und eilte die Treppe hinauf ohne sich nochmal zu ihm umzudrehen. Hoffentlich hatte er ihren erregten Zustand nicht bemerkt. Sie musste ganz schnell etwas Abstand zwischen sie bringen und sich am Besten in seinem Auto einschließen, damit sie nicht so etwas Unüberlegtes tat und womöglich noch zurücklief, sich die Kleider vom Leib riss und von ihm verlangte sie auf der Stelle zu nehmen. Präzise. Leidenschaftlich. Wild.
Schwer schluckend ließ sie sich in dem Ledersitz nieder, verriegelte die Tür und ging in ihrem Kopf alle Restaurants der Stadt durch, die ganz nach Haydens Geschmack waren.

„Das war eine sehr gute Wahl", schmatzte Hayden und biss ein weiteres Mal genüsslich in den Bürger. Er grinste über das gesamte Gesicht und Mercedes konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen, bevor sie herzhaft ein weiteres Mal in ihren Burger biss. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so einen leckeren Burger gegessen habe."
„Es freut mich, wenn es dir schmeckt."
„Außerdem finde ich es toll, dass du vorbeigekommen bist."
Hayden lächelte sie liebevoll an und löste damit einen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch aus. Mercedes erwiderte sein Lächeln, da sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Sie aßen ruhig weiter, während Hayden ein wenig von seinem Training und den kommenden Spielen erzählte und Mercedes einfach nur seine Nähe genoss. Wieviel Zeit würde ihnen noch bleiben bis die Bombe platze?
„Hey. Ist alles gut?" Hayden hatte seine Hand auf die ihre gelegt und sah sie besorgt an. Mercedes nickte.
„Alles bestens."
„Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt. Was ist los? Ist es wegen deiner Familie und der Uni?" Nein, aber das konnte sie ihm auf gar keinen Fall sagen und so zwang sie sich ein Lächeln auf die Lippen.
„Ich habe ein paar Wohnungen gefunden, die ich mir in den kommenden Tagen hoffentlich anschauen kann und habe ein paar Bewerbungen versendet. Ich hoffe, dass alles gut wird."
„Es wird alles gut und selbst wenn es in die Hose gehen sollte, so wirst du niemals alleine dastehen. Es wird Menschen geben, die dir helfen werden."
Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen und sie wünschte sich, dass Hayden recht behalten und alles gut werden würde. Langsam zog er die Hand von ihrer zurück und bestellte ein weitere Runde Getränke, während sie durch das Fenster des hübschen, gemütlichen Restaurants auf den Strand hinausblickten. Es ist beinahe wie damals. Früher waren sie auch gemeinsam in einem Restaurant am Strand essen gegangen und hatten Arm in Arm aufs Meer hinausgesehen, während sie warteten. Nur das Hayden ihr heute gegenüber saß und ihr keine süßen Worte ins Ohr flüsterte.
„Und was macht deine Uni?", fragte er, stützte sich mit den Armen auf den Tisch ab und beobachtete sie aufmerksam.
„Ich gebe mein Bestes." Er lächelte.
„Das würde ich nie bezweifeln." Ihr Puls beschleunigte sich unter seinem eindringlichen Blick und sie fragte sich, was er sich in diesem Moment dachte. „Hast du Lust mich nächste Woche Samstagabend zur Kirmes zu begleiten?"
Überrascht blickte sie ihn an. „Wird das ein richtiges Date?"
„Wieso nicht?"
Sie dachte einen Moment nach. „Ja, sehr gerne."

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Halbzeit! :D

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