Kapitel 18

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Mercedes rannte den Holzweg so schnell sie konnte entlang bis sie den Strand erreichte. Hastig zog sie ihre Schuhe aus, strich sich mit einer Hand die Haare von der schweißnassen Stirn und zog die frische Meeresluft in ihre Lungen. Heute war sie ihre übliche Strecke in einem schnelleren Tempo gelaufen, um all die aufgestauten Gefühle abzubauen und einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste über ihr weiteres Vorgehen nachdenken, was absolut unmöglich war, wenn ihr andauernd die Worte ihres Vaters, ihr Prüfungsstress und ihre übrigen Sorgen durch den Kopf schwirrten.
Keuchend ließ sie sich in den Sand fallen, entledigte sich ihres Rucksacks und blickte zum wolkenlosen Himmel. Zumindest war schönes Wetter. Wenn das Wetter entsprechend ihrer aktuellen Lage gewesen wäre, wäre sie womöglich durchgedreht. Prüfend blickte sie sich um und atmete erleichtert durch, als sie keine weiteren Jogger, Spaziergänger oder Surfer entdeckte. Eilig zog sie sich ihr Tanktop aus, legte es über den Rucksack und nutzte es als Kopfkissen. Als Erstes würde sie die Augen einen Moment schließen, das beruhigende Geräusch der auslaufenden Welle, das fröhliche Gezwitscher der Vögel und das Rascheln der Blätter, wenn der Wind durch die Äste wehte genießen.
Sie atmete tief durch und fühlte sich von Sekunde zu Sekunde entspannter.
Vollkommen entspannt, lauschte sie ihrer Umgebung und entwickelte Pläne bis jemand einen Schatten auf sie warf und die Strahlen der Sonne ihre Haut nicht weiter erwärmten. Vorsichtig öffnete sie die Augen und lächelte unwillkürlich, als sie Hayden erkannte.Seine Cap hatte er tief in die Stirn gezogen, sodass sie seine Augen nicht sehen konnte. Doch das brauchte sie auch nicht. Das spitzbübische Lächeln, welches seine Lippen in diesem Moment zierte, war ihr sehr vertraut.
„Hallo Mary", säuselte er, trat einen Schritt zur Seite und ließ sich neben ihr in den Sand fallen. „Geht es dir gut?"
Mercedes seufzte. „Den Umständen entsprechend. Und dir?"
„Gut." Er zog die Cap vom Kopf und musterte sie. „Was bedrückt dich?"
„Das ist eine lange Geschichte. Das möchtest du alles gar nicht wissen."
„Ich würde nicht fragen, wenn dem nicht so wäre. Komm! Red es dir von der Seele. Meistens hilft es, wenn eine Außenstehender die Situation betrachtet."
Ihr Herz setzte einen Moment zu schlagen auf und sie musste auf das friedliche Meer hinaussehen, damit Hayden den schmerzlichen Ausdruck in ihrem Gesicht nicht entdeckte. Diese Situation erinnerte sie an damals. Ob am Strand, in der Bibliothek oder auf seinem Bett - er hatte ruhig neben ihr gesessen, ihren Ausführungen gelauscht und schließlich adäquate Empfehlung von sich gegeben. „Mary?"
„Oh, entschuldige. Ich habe wohl geträumt." Er lächelte verständnisvoll, streckte sich auf dem Sand neben ihr aus und machte dann eine auffordernde Geste.
„Jetzt kannst du deine Sorgen mit mir teilen."
Mercedes holte tief Luft und begann von ihrer komplizierten Beziehung zu ihren Eltern und ihrer Schwester, deren Erwartungen und ihren Drohungen zu berichten, wobei sie darauf achtete ihm keinen Hinweis zu liefern, die ihn sie mit dem Ölunternehmer Peter Richards und letztlich Mercedes in Verbindung bringen ließ.
Als sie am Ende ihrer Sorgen angekommen war, hatte er sich wieder aufgesetzt und fuhr sich mit einer Hand über das Kinn.
„Mein Gott, deine Eltern scheinen alles andere als  Anwärter auf den Titel ‚beste Eltern der Welt' zu sein."
Mercedes holte tief Luft, schlang die Arme um die Beine und blickte auf das Meer hinaus. Sie war noch immer unschlüssig, was sie nun tun sollte.
„Darf ich dir einen Rat geben?"
„Ja, bitte." Hayden blickte sie entschuldigend an.
„So schlimm es auch klingt, aber du solltest dich auf den schlimmsten Fall einstellen. Lieber Vorsicht als Nachsicht. Ich weiß, dass du klug, ehrgeizig und clever bist und deine Abschlussprüfung mit Glanznote absolvierst, aber bei deinen strengen Eltern würde ich mich auf den Fall vorbereiten, dass sie nicht länger dein Wohnheim finanzieren und du für dein Wasser und Brot arbeiten musst."
Mercedes blickte betrübt zur Seite, als er aussprach, was sie sich ebenfalls schon gedacht hatte. Eine große Hand legte sich auf ihren Unterarm und sie blickte zu ihm. Seine wunderschönen, ozeanblauen Augen blickten sie mitfühlend an. Am Liebsten würde sie in diesem Moment ihren Kopf auf seine starke Brust legen, die Augen schließen und das Gefühl seiner kräftigen Arme um sich genießen, die sie vor ihren Sorgen und Problemen schützten - genauso wie sie es damals immer getan hatten. „Lass uns dich auf andere Gedanken bringen. Ich mag es nicht, wenn du so niedergeschlagen und traurig aussiehst."
Plötzlich sprang er auf, zog sich sein Shirt über den Kopf und warf es ihr zu. „Steh auf, Mary. Wir gehen jetzt eine Runde schwimmen."
„Ich habe keine Klamotten zum Schwimmen dabei." Grinsend zuckte er mit den Achseln, während er sich daran machte seine Shorts über die schmalen Hüften zu schieben. Hayden trug wieder diese engen, sexy Shorts, die nichts verbergen konnten.
„Beim letzten Mal hattest du auch keinen Bikini an."
„Da habe ich wenigstens einen BH getragen", antwortete sie und lief rot an. Abrupt hielt er inne, machte auf dem Absatz kehrt und blieb wenige Zentimeter vor ihr stehen. „Ich möchte nicht in meinem weißen Sportbh schwimmen."
„Zieh mein schwarzes T-Shirt an, wenn du dich dann besser fühlst." Zögernd nahm sie das T-Shirt entgegen. Sie sahen sich einige Sekunden in die Augen ehe Hayden sich umdrehte, die Schuh auszog und auf das Meer zu lief. Mary beobachtete wie er ohne inne zu halten immer tiefer ins Meer hinein watete, untertauchte und schließlich den Kopf schüttelte, sodass etliche Wassertropfen in alle Himmelsrichtungen flogen. Unwillkürlich musste sie lächeln. Er wusste immer, wie er sie auf andere Gedanken brachte.
Lächelnd zog sie sich sein schwarzes T-Shirt an, streifte ihren weißen Sportbh ab und entledigte sich letztlich auch ihrer Leggings. Sein T-Shirt reichte ihr bis zu Mitte ihrer Oberschenkel und sie quiekte erschrocken auf, als das kalte Wasser ihre Füße umspielte.
„Verdammt, ist das kalt." Grinsend kam Hayden auf sie zu und Mary konnte gar nicht anders, als mit den Augen dem an seinem Körper herabrinnenden Wasser zu folgen. Er war so trainiert, sexy, atemberaubend schön. Ihr Herz drohte ihr aus der Brust zu springen und sie musste sich auf die Zunge beißen, um bei diesem Anblick nicht wie eine Vollidiotin zu sabbern.
„Wenn ich da bin, wirst du nicht erfrieren."
„Kommt mir vor, als hätte ich das schonmal erlebt", antwortete sie schmunzelnd. Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu.
„Weist du, was ich beim letzten Mal kurz darauf gemacht habe?" Mary erinnerte sich und ihr wurde ganz flau im Magen.
„Du wirst mich nicht küssen." Sanft legte er eine Hand an ihre Wange und strich mit dem Daumen über ihre leicht geöffneten, vollen Lippen.
„Ich werde dich jetzt nicht küssen." Mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen ließ er die Hand sinken, wobei sein Blick sich nicht von ihr löste. Er würde sie heute noch küssen. Sie spürte es. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er in die Knie ging und sie im nächsten Moment in seinen Armen lag.
„Hayden, ich denke, ich will nicht ..." Noch bevor sie den Satz zuende gesprochen hatte, war er weit genug ins Meer gegangen, sodass das Wasser sie vollständig umhüllte, wenn er sie untertauchte. Vor Schreck entwich Mercedes ein entsetztes Keuchen, als das kühle Nass auf ihre erhitze Haut trat. Panisch schlang sie ihre Arme um seinen Hals und drückte ihre Brust fest an die Seine.
Mit weit aufgerissenen Augen schnappte sie nach Luft, als sie die Wasseroberfläche durchbrachen.
„Hayden .."
Er grinste breit. „Ich liebe es wie du meinen Namen sagst."
„Es .. Es ist kalt. Ich denke, ich schwimme zurück an den Strand."
„Dir wird warm, wenn du dich bewegst", antwortete er, ließ sie abrupt los und entfernte sich einige Zentimeter von ihr. Mercedes setzte gerade an etwas zu sagen, als ein Schwall Wasser in ihrem Gesicht landete. Prustend drehte sie Hayden den Rücken zu und wischte sich ein paar nasse Haarsträhnen, die ihr die Sicht verdeckten aus dem Gesicht.
„Du hast mich nicht wirklich gerade mit Wasser bespritzt?"
„Was willst du denn tun, wenn dem so wäre?" Am Rande ihres Sichtfeldes tauchte er breit grinsend auf. Hayden war bis zur Nase abgetaucht und bot ihr somit nur wenig Angriffsfläche. Mit ausdrucksloser Miene taxierte sie ihn, bevor sie ausholte und ebenfalls einen Wasserschwall in seine Richtung abgab.
„Hey, lass das", rief sie, als er einige Meter weiter rechts grinsend auftauchte und sich erneut bei ihr revanchierte.
„Du musst cleverer sein", lachte er, tauchte erneut unter und Mercedes drehte sich um ihre eigene Achse. Sie hätte damit rechnen müssen. Hayden war in solchen Dingen immer besser gewesen als sie.
Ein weitere Schwall landete in ihrem Gesicht und hustend wand sie sich um.
„Na warte. Das bekommst du wieder."
„Ich freue mich drauf."

Völlig außer Atem drehte sich Mercedes im Kreis und hielt Ausschau nach Hayden, wobei sie sich ergeben die Hände über den Kopf hielt.
„Ich gebe auf. Du hast gewonnen", rief sie. Langsam sollte er wieder auftauchen. Wo war er nur?
Abrupt gaben ihre Beine unter ihr nach und sie tauchte ab. Ihre Hand streifte eine nackte Brust. Panisch riss sie die Augen auf und atmete erleichtert aus, als sie Hayden vor sich entdeckte. Luftbläschen blubberten vor ihrem Gesicht nach oben und sie gestikulierte wild, als sie versehentlich Wasser einatmete.
Zwei Arme packten sie, zogen sie an die Wasseroberfläche und prustend stieß sie das Wasser wieder aus. Eine Hand lag fest um ihren Bauch und eine Andere strich ihr sanft das Haus aus dem Gesicht.
„Das du ertrinkst, war nicht Teil meines Plans", flüsterte Hayden hinter ihr und drückte einen sanften Kuss in ihren Nacken. Langsam ging er zurück Richtung Strand und Mercedes war erleichtert, dass er sie in diesem Moment hielt.
„Danke."
Als sie wieder Sauerstoff in ihren Lungen und ihr Puls sich halbwegs beruhig hatte, drehte sie sich in seinen Armen zu ihm um. Unwillkürlich schlang sie ihre Beine um seine schmale Taille und überkreuzte die Arme hinter seinem Kopf. Sie sahen einander tief in die Augen.
Sein Blick glitt über ihr Gesicht und verweilte einen Moment auf ihren Lippen. Mercedes konnte dem Drang nicht widerstehen ihn zu berühren. Seine mit Stoppeln übersäte Wange fühlte sich gut an. Seine starke, männliche Brust, die gegen die ihre drückte. Sein Atem, der warm über ihre feuchte Haut strich.
Sein Gesicht kam ihrem immer näher und Mercedes biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte ihn küssen. Jetzt und hier.
„Hayden", zwang sie sich zu sagen. „Wenn wir das tun, dann musst du mir versprechen, dich nicht in mich zu verlieben. Wir werden einander verletzten. Ich werde dich verletzen." - das darf nicht schon wieder passieren.
Hayden holte tief Luft. „Nichts und niemand wird mich davon abhalten dich zu küssen, Mary - nicht gestern, nicht heute und auch nicht in der Zukunft."
„Hayden." Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen.
„Psst!", hauchte er und überwand die letzten, fehlenden Zentimeter. Seufzend schloss Mercedes die Augen und genoss das berauschende, intensive Gefühl, welches seine Lippen in ihr auslöste.
Ihre Hände vergruben sich in seinem Haar und sie klammerte sich noch enger an ihn. Zärtlich biss er in ihre Unterlippe, leckte mit der Zunge darüber und bat stumm um Einlass. Lustvoll keuchend kam sie seiner Aufforderung nach, öffnete den Mund und vereinte ihre Zungen zu einem leidenschaftlichen Tanz.
„Mary", hauchte Hayden, unterbrach den Kuss und lehnte seine Stirn gegen die ihre. „Lass es uns probieren. Selbst wenn es irgendwann in die Hose geht, dann haben wir es zumindest probiert."
„Das ist ein gefährliches Spiel, Hayden." Langsam öffnete er die Augen und warf ihr einen sehnsüchtigen Blick zu. Einen Blick, der all ihre Mauern des Widerstandes einriss.
„Wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, wird einer immer den Mut finden, um für den Anderen zu kämpfen."
„Oh Hayden." Sanft vereinigte er ihre Lippen ein weiteres Mal, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und raubte ihr den Verstand.

UnverhofftWhere stories live. Discover now