Kapitel 16

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Seit ihrer letzten Begegnung war eine gute Woche vergangen, in der sie an nichts anderes denken konnte, als den Blick seiner vor Lust lodernden Augen. In den Wochen zuvor war er mindestens einmal an ihrem Wohnheim aufgetaucht, um entweder Phoebe und sie zu sehen. Doch seit Phoebes Geburtstagsparty vor einer Woche hatte er sich nicht mehr sehen lassen. Eigentlich sollte Mercedes darüber freuen. Stattdessen fragte sie sich, was los war? Warum meldete er sich nicht? Hatte er kein Interesse mehr?
Unzählige Fragen kreisten in ihrem Kopf und waren ausschlaggebend dafür, dass sie Phoebe zu einem seiner Spiele begleitete. Sie saßen schon eine ganze Weile auf der Tribüne und beobachteten Hayden. Ihr Herz klopfte aufgeregt und sie fühlte sich ein wenig erleichtert, als sie feststellte, dass es ihm gut ging. Irgendwie vermisste sie seine aufdringliche Seite.
„Er ist nicht so ganz bei der Sache", merkte Phoebe an, die ihn mit gerunzelter Stirn beobachtete.
„Was meinst du?"
„Er scheut den Zweikampf heute, ist weniger risikofreudig und spielt mehr mit seinen Kameraden als sonst." Jetzt wo Phoebe es sagte, fiel es ihr ebenfalls auf. Normalerweise beherrschte Hayden das Spielfeld. Heute reihte er sich stattdessen in die Reihe der anderen Spieler ein, überließ ihnen mehr Möglichkeiten und warf weniger Körber als er es sonst tat. Eigenartig.
„Sie haben nur noch eine Minute und ich habe nicht einen seiner legendären Körbe gesehen."
„Ist irgendetwas mit euren Eltern geschehen?"
„Ich habe gestern mit ihnen telefoniert. Ihnen geht es gut." Phoebe zuckte mit den Schultern. Die anderen Zuschauer zählten von zehn die letzten Sekunden herunter und brachen schließlich in tosenden Applaus aus, als der Schiedsrichter ab pfiff. Phoebe stand eilig auf und bedeutete ihr zu folgen. Dieses Mal nahmen sie die Treppe ins Untergeschoss zu den Umkleiden, anstatt über die Brüstung zu klettern. Sie betraten das Spielfeld und hielten abrupt inne, als ihr Blick an Hayden hängen blieb. In diesem Augenblick zog er sich sein Shirt über den Kopf und reichte es einer kurvigen Blondine, die es breit lächelnd entgegen nahm und ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
Überrascht tauschten Phoebe und sie einander an. Ein Stich durchfuhr ihr Herz. Mercedes konnte ihren Blick von ihnen nicht lösen. Hayden lächelte selbstsicher, stemmte die Arme in die Hüfte und präsentierte seinen durchtrainierten, beeindruckenden Oberkörper.
„Hallo Mädels. Ich hoffe, euch hat das Spiel gefallen." Rayan tauchte neben ihnen auf und umarmte Phoebe zur Begrüßung.
„Du warst wirklich gut. Dein Korbwurf kurz vor Ende war echt beeindruckend", antwortete Phoebe, was Rayan ein stolzes Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Vielen Dank. Dein Bruder hat mir beigebracht auch mal Risiken einzugehen."
„Apropos mein Bruder: Wer ist das?"
Rayans Blick wanderte zwischen ihnen hin und her, bevor er antwortete. „Das ist Eleni. Hayden hat sie letztes Wochenende in seinem Aufzug kennengelernt und war mit ihr schon zweimal aus."
Mercedes ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen fest aufeinander, um nicht ein entsetztes ‚Was?!' zu schreien. Sie atmete tief durch und versuchte ihren rasenden Puls zu beschleunigen. Er hatte jemanden kennengelernt und ging mit einer anderen Frau aus, nachdem er alles daran gesetzt hatte, dass sie klein beigab und Zeit mit ihm verbrachte, weil sie eine einzigartige Anziehungskraft miteinander verband.
Sie schluckte. An dieser Stelle sollte sie sich eigentlich freuen, dass er jemand gefunden hatte und sie nicht weiter bedrängt. Stattdessen fühlte sie sich, als würde ihr etwas entgleiten, dass sie auf gar keinen Fall verlieren durfte.
„Ist es etwas ernstes?", fragte Phoebe, woraufhin Rayan mit den Schultern zuckte.
„Das wird sich mit der Zeit zeigen." Er lächelte sie an. „Ich muss weiter. Wir sehen uns, Mädels."
Rasch machte er auf dem Absatz kehrte, ging zu Hayden und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sein Blick glitt von seiner hübschen Begleitung zu ihnen und er lächelte. Er wand sich der Blondine zu, sagte etwas und kam dann gefolgt von ihr zu ihnen.
„Es freut mich, dass du meine Spiele verfolgst, Schwesterherz", lächelte er, zog sie in eine Umarmung und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Haare.
„Hallo Mary", wand er sich stumpf an sie und das brennende Gefühl in ihren Adern verstärkte sich. War sie gerade in einem falschen Film? Oder spielte man ihr gerade einen Streich? Irgendetwas stimmte hier nicht. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ihr die Hand zu schütteln oder sie zur Begrüßung zu umarmen, wand er sich seiner Begleitung zu.
„Eleni, dies ist meine jüngere Schwester Phoebe und ihre Freundin Mary." Die Blondine lächelte. Ihre Augen leuchteten auf, als sie Mercedes betrachtete und das Lächeln wurde breiter.
„Freut mich euch kennenzulernen." Sie reichte er Phoebe die Hand und dann Mercedes, die sie etwas länger festhielt. „Wir haben gemeinsame Vorlesungen. Ich finde, deine Fragen und Anmerkungen immer sehr informativ. Ich bewundere dich, Mary."
Hayden sah sie überrascht an. „Ich wusste nicht, dass ihr im selben Jahr seid."
„Mary ist die intelligenteste Studentin unseres Bereichs. Manchmal weiß sie sogar mehr als unsere eigenen Dozenten", schwärmte sie und Mercedes fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unwohler. Nicht nur, dass sie das Mädchen erkannte. Das Mädchen bewunderte sie auch noch und sie konnte jemanden schlecht sauer sein, der in so hohen Tönen von ihr sprach.
„Wie wäre es, wenn wir gleich zu viert essen gehen?", schlug Hayden vor und blickte erst Eleni und dann Phoebe an.
„Das würde mich freuen", schwärmte Eleni, die Mercedes daraufhin freundlich anlächelte.
„Perfekt. Ich gehe mich schnell duschen und dann können wir los." Er strich Eleni zärtlich mit einer Hand über die Wange, beugte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie kicherte. Hayden zwinkerte und verschwand dann schnell.
Eine peinliche Stille herrschte zwischen ihnen und Mercedes sah Phoebe fragend an. Fand sie Haydens Verhalten genauso komisch wie sie? Sonst konnte er sie gar nicht lang genug ansehen und auf einmal beachtete er sie nicht? Was ist aus ihrer unglaublichen Anziehungskraft geworden? Das konnte nicht real sein.
„Am Besten wir warten oben auf Hayden", sagte Phoebe in einem ruhigen Ton, drehte sich um und machte sich auf den Weg zurück ins Erdgeschoss. Unauffällig hielt sie Mercedes am Arm fest und flüsterte ihr etwas ins Ohr, sodass Eleni es nicht hören konnte. „Geh zu ihm und stell ihn zur Rede. Ich lenke Eleni danach ab und keine Sorge. Wir werden nicht mit ihnen essen gehen."
Phoebe wartete keine Antwort ab, hakte sich bei Eleni ein und führte sie die Treppe hinauf, wobei sie ihr einen letzten auffordernden Blick zu warf.
Mercedes lehnte die Stirn an die Umkleidetür, holte tief Luft und sammelte alles an Mut zusammen, ehe sie an die Tür klopfte und eintrat. Hastig wickelten sich die Männer Handtücher um die Hüften und warfen ihr überraschte Blicke zu. Sie ignorierte ihre Blicke und konzentrierte sich auf die Suche nach Hayden.
„Rayan, wo ist er?" Der Schwarzhaarige hatte sich gerade das T-Shirt über den Kopf gezogen und sah sie aus weit aufgerissenen Augen erschrocken an.
„Hayden ist gerade duschen." Ohne den Männern weitere Beachtung zu schenken, steuerte sie auf den Raum zu, aus dem Dampfwolken kamen. Erleichtert stellte sie fest, dass es keine offenen Duschen waren, sondern mehrere Einzelnen. In diesem Augenblick schob sich ein Vorhang zur Seite und ein noch nasser Hayden trat hinaus. Er rubbelte sich gerade mit einem Handtuch durch das Haar und bleib abrupt stehen, als er sie entdeckte. Mercedes rief sich die Bilder von ihm und Eleni ins Gedächtnis, um Mut und Kraft für ihre folgenden Worte zu finden.
„Was los das, Hayden?"
„Was soll Was?" Sie lachte und verdrehte die Augen.
„Du weist ganz genau, was ich meine. Was soll das mit dir und Eleni?"
„Ich habe jemanden kennengelernt und gehe nun mit ihr aus. Wieso sollte ich mich dafür rechtfertigen?"
Wütend ging sie auf ihn zu und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. „Vor einer Woche hast du mir noch einen Vortrag gehalten, dass wir miteinander ausgehen und uns besser kennenlernen sollten, weil da diese einzigartige Anziehungskraft ist. Jetzt flirtest du mit einer Anderen und ignorierst mich soweit es geht. Wieso?"
Seine Augen waren ausdruckslos. Nichts half ihr zu erkennen, was ihm in diesem Augenblick durch den Kopf ging. „Du hast gesagt, dass du kein Interesse an etwas Festem hast und ich habe jemand anderes kennengelernt, der mich interessiert. Es ist eine Win-Win-Situation für uns beide. Ich bekomme eine Frau, die gewillt ist eine Zukunft mit mir aufzubauen und du hast deinen Frieden, um dich voll und ganz auf dein Studium zu konzentrieren."
Sie biss die Zähne fest zusammen. Im Grunde hatte er recht. Es war was ihr Verstand forderte, aber ihr Herz zerbrach in diesem Augenblick. „Gibt es einen Grund, weswegen ich nicht mit Eleni weiter ausgehen sollte?"
Mercedes wand ihren Blick ab, sah zu Boden und dachte nach. Gab es einen Grund? Eine Beziehung zwischen ihnen würde erst funktionieren, wenn er die Wahrheit kannte und sie ihre Differenzen von damals überwanden. Wenn Hayden und Eleni weiterhin miteinander ausgingen und womöglich ein Paar wurden, musste Mary ihre Karten vielleicht nicht offen legen und die Katastrophe würde ausbleiben.
„Mary?" Hayden trat einen Schritt auf sie zu. Mercedes wich soweit zurück bis sie mit dem Rücken gegen die geflieste Wand stieß. Seine Arme, die er links und rechts neben ihrem Kopf abstützten, nahmen sie gefangen. Nachdenklich beobachtete sie einen Wassertropfen, der über seine Brust, durch die Kuhle seiner Bauchmuskeln lief und schließlich unterm Handtuch verschwand. Heiß Strich sein Atem über ihre empfindliche Haut und ihr Atem ging stoßweise. „Sag mir die Wahrheit. Was empfindest du?"
„Ich .. " Sie hielt inne, holte tief Luft und blickte dann zu ihm auf. Seine eindringlichen, wunderschönen Augen musterten ihr Gesicht aufmerksam. „Ich will nicht, dass du mit einer anderen Frau ausgehst."
„Aber du willst mich nicht", antwortete er mit tiefer, rauer Stimme. Die Zeit schien still zu stehen. In diesem Augenblick gab es nur sie und ihn - und das Verlangen einander näher zu kommen.
„Ich .. Ich will dich, Hayden." Seine Mundwinkel verzogen sich langsam zu einem Lächeln und sie errötete bei ihren Worten. „Geh nicht weiter mit ihr aus. Bitte."
Seine Hand legte sich an ihre Wange und sie schloss die Augen, um die Berührung voll und ganz zu genießen. „Ich werde nicht weiter mit ihr ausgehen."
Seine Stimme war nun lauter und als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter auseinander waren. Sanft lehnte er seine Stirn an die ihre und schloss ebenfalls einen Moment die Augen. „Ich muss andauernd an dich denken. Ich kann mich nicht auf meine Spiele konzentrieren. Die vergangene Woche war die Hölle für mich."
„Es ging mir genauso", gestand sie leise und erwiderte sein sanftes Lächeln.
„Ich werde sie zum Essen ausführen und es dann beenden. Wann sehen wir uns wieder?"
Mercedes dachte einen Moment nach. „Ich bin morgen auf einem Prüfungsvorbereitungsseminar und Freitag bei meiner Familie."
„Dann Samstag, selber Ort, selbe Zeit."
Sie war absolut nicht imstande ein weiteres Wort herauszubringen, sodass sie mit einem kurzen Nicken antwortete. Hayden wich einen Schritt von ihr zurück, drückte einen Kuss auf ihre Hand und lächelte zärtlich. „Ich freu mich."
Kurz bevor er die Dusche verließ, wand er sich ein letztes Mal zu ihr um und verschwand dann in seiner Umkleide. Sie stand noch einen Moment da, dachte über das was gerade geschehen war noch und verließ dann mit hochrotem, verlegenen Gesicht die Duschen. Davor hatte sich eine Reihe gebildet, die nervös darauf warteten, endlich duschen zu können. Aus dem Augenwinkel registrierte sie die belustigten Mienen der anderen Spieler, bevor sie mit gesenkten Kopf die Umkleide verließ und die Treppe zu Phoebe und Eleni hinauf ging. Die Beiden saßen auf einer Bank vor der Halle und sahen sich etwas auf Phoebes Handy an.
Phoebe sah auf, als sie hinaustrat und blickte sie nachdenklich an. „Alles gut bei dir?"
„Ja. Mir ist allerdings nicht nach Essen." Eleni blickte ebenfalls auf und sah sie besorgt an.
„Du bist ganz rot im Gesicht."
„Vielleicht wird sie krank", warf Phoebe ein, verstaute ihr Handy in einer Hosentasche und stand dann rasch auf. „Ich sollte sie besser nachhause bringen. Die Prüfungen stehen an und niemand kann es gebrauchen in dieser Phase des Studiums krank zu sein."
Eleni nickte verständnisvoll und Mercedes bekam ein leichtes Schuldgefühl, weil sie ihr etwas vorspielten. „Es hat mich gefreut, Eleni. Wir sehen uns."
Die Blondine lächelte. „Mich auch. Gute Besserung."
Phoebe hakte sich bei ihr ein, winkte Eleni zum Abschied zu und ging dann mit ihr zum Parkplatz. Sobald sie außer Hörweite waren, grinste Phoebe und sah sie aufgeregt an. „Wie ist es gelaufen?"
„Gut. Er wird sich nicht weiter mit ihr treffen."
Phoebe wackelte mit dem Kopf. „Gibt es eine Reunion? Hayden und du, ihr gehört einfach zusammen. Das ist so wie das Periodensystem. Darüber diskutiert man nicht. Das ist fix."
„Wer weiß." Phoebe grinste und war mit einem Mal gedanklich ganz weit weg. Wahrscheinlich malte sie sich gerade ihre zukünftigen Nichten, Neffen und ihr neues Leben mit der besten Freundin als Schwägerin aus. Mercedes holte tief Luft. Für diese Art von Gedanken war es viel zu früh. Es gab noch viel zu viele ungeklärte Aspekte, die einer gemeinsamen glücklichen Zukunft im Wege standen.

UnverhofftWhere stories live. Discover now