Kapitel 12

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„Ich will nicht feiern. Mir geht es nicht gut."
„Stell' dich nicht so an, Mary! Komm raus aus deinem Bett", stöhnte Ruby und zog abrupt die Bettdecke weg. Mercedes rollte sich auf die von Ruby abgewandte Seite und vergrub den Kopf unter ihrem Kissen. Sie hatte das Haus nicht mehr verlassen, seitdem sie aus der Bibliothek gestürmt und Hayden zurückgelassen hatte. Wieso konnte er nicht einfach ihre Freundschaft akzeptieren? Warum musste er sich ihr immer widersetzen?
„Ein bisschen Alkohol und die Welt sieht ganz anders aus", merkte Quinn ruhig an.
„Bei Liebeskummer hilft nur ein anderer Mann."
„Das ist kein Liebeskummer, Ruby."
Ruby streckte sich neben ihr auf dem Bett aus und Mercedes schlug die Hand weg, die in ihrem Gesicht gelandet war.
„Aua. Was machst du in meinem Bett?"
„Wenn du nicht mit uns auf die Verbindungsparty kommst, dann machen wir eine Pyjamaparty in deinem Bett!"
„Ruby", stöhnte Mercedes, kletterte aus dem Bett und ging zum Fenster. Sie wollte sich in ihrem Zimmer verschanzen und absolut nichts mit der Außenwelt, ihren Problemen und Sorgen zu tun haben. Ihre Prüfungen standen an und sie konnte sich nicht auf ihre Notizen konzentrieren, weil sie immer an ihn dachte. Seine Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn und sie ärgerte sich, dass ihr Herz hoffnungsvoll schneller schlug und sich Schmetterlinge in ihrem Bauch bildeten. Sie war eine Närrin. Eine Beziehung mit Hayden war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und doch machte sich ihr lächerliches Herz Hoffnungen.
Die Tür wurde ohne Vorwarnung aufgerissen und schlug laut gegen die Wand.
„Are you ready to Party?", schrie Phoebe, die irgendeine Melodie sang und auf sie zu tanzte. Sie wackelte mit ihrem Oberkörper, bevor sie sie lachend in eine Umarmung zog. „Du ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und ein Haufen toter Paviane. Was ist los?"
„Sie will nicht mit feiern kommen", antworte Ruby an ihrer Stelle und Phoebe warf ihr einen enttäuschten Blick zu.
„Was ist los? Woher der plötzliche Sinneswandel? Heute morgen konntest du es kaum abwarten."
Mercedes seufzte und blickte wieder aus dem Fenster. „Mir geht es einfach nicht gut. Vielleicht werde ich krank."
„Kann man an einem gebrochenen Herzen sterben?"
Phoebe warf Ruby einen ermahnenden Blick zu. „Ist es wegen Hayden? Ist etwas passiert?"
„Nach eurem Frühstück ist er mir in die Bibliothek gefolgt."
„Warte." Phoebe wand sich um. „Könnt ihr uns kurz alleine lassen?"
Ohne Widerstand verließen die anderen beiden Mädchen ihr Zimmer und schlossen die Tür hinter sich. „Jetzt erzähl. Was ist in der Bibliothek passiert?"
„Er hat mir gesagt, dass er mit mir ausgehen möchte, dass er feststellen möchte, ob ich die ideale Frau für ihn bin und er hat versucht klarzustellen, dass er absolut nicht mit meinem Ex-Freund zu vergleichen ist. Phoebe, ich ... ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mich zu ihm nicht hingezogen fühle und ihn nicht erneut neu kennenlernen möchte. Menschen ändern sich."
„Aber in eurer Vergangenheit sind zu viele ungeklärte Differenzen. Ich verstehe dein Dilemma." Sie schwiegen eine Weile und Mercedes sah auf die Straße hinaus. In diesem Moment parkte vor ihrem Haus ein Auto. Verdammt. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, als der Fahrer ausstieg, sich lässig an der Beifahrerseite ans Auto lehnte und den Blick hob. Ihre Blicke begegneten einander und automatisch trat Mercedes ein paar Schritte vom Fenster zurück, damit er sie nicht mehr sehen konnte. Wenn man vom Teufel spricht. „Was soll ich denn jetzt machen, Phoebe?"
„Ich würde sagen, wir gehen jetzt erst einmal ein bisschen feiern und morgen sieht die Welt vielleicht ganz anders aus. Du kannst dich heute sowieso nicht auf deinen Stoff konzentrieren und möglicherweise triffst du wen, der dir Hayden aus dem Kopf jagt."
„Ich bezweifle, dass das funktioniert." Phoebe verdrehte die Augen.
„Probier' es wenigstens."
Mercedes seufzte: „Was macht er hier?"
„Wen meinst du?" Sie nickte zum Fenster. „Oh. Ich habe ihn gebeten, uns zur Party zu fahren. Danach fährt er wieder nachhause und holt uns ab, wenn ich ihn anrufe. Keine Sorge, ich werde ihn während der Fahrt ablenken, sodass du deine Ruhe hast."
„Na schön."

Eine Dreiviertelstunde später standen die Mädchen vor dem Wohnheim, in dem die Party stieg, auf der anderen Seite des Campus und wichen den ersten betrunkenen Kommilitonen aus, die aus dem Haus stolperten und ihren Magen in einen der Büsche entleerten.
„Das ist ekelig", stellte Quinn fest und verzog angewidert das Gesicht. Ruby schlug stattdessen euphorisch die Hände zusammen und drehte sich auf ihrem Absatz zu ihnen um.
„Wir lassen es heute richtig krachen", verkündete sie, sah ernst in die Runde und deutete dann mit dem Zeigefinger auf Mercedes. „Und dir besorge ich jetzt erstmal etwas ordentliches zu trinken."
Zielstrebig ging sie auf das Haus zu und verschwand. Die anderen Mädchen folgten ihr langsam und bevor Mercedes das Haus betrat, warf sie einen letzten Blick über die Schulter zu Hayden. Er saß noch immer in seinem Fahrzeug und beobachtete sie. Die Fahrt in seinem Auto war ihr trotz der ausgelassenen Stimmung unangenehm gewesen. Obwohl Phoebe ihn die gesamte Zeit in eine Konversation verwickelt hatte, in die sich Ruby und Quinn gelegentlich eingebracht hatten, hatte er sie die ganze Fahrt über im Rückspiegel beobachtet. Kopfschüttelnd versuchte sie jegliche Gedanken, die mit Hayden zu tun hatten, abzuschütteln, nahm den Drink entgegen,den Ruby ihr reichte und leerte den Becher in nur einem Zug.
„Oh, so war das nun auch nicht gemeint. Aber hey, wenn du es in dem Tempo willst", grinste Ruby und ersetzte den Becher rasch durch einen Gefüllten.
„Auf einen schönen Abend, Mädels." Sie stießen an und nahmen einen Schluck von dem Drink. Mercedes verzog erschrocken das Gesicht. Was war das für ein Getränk? Es schmeckte eigenartig. Pikant, bitter, alkoholhaltig. Während der erste Becher runtergegangen war wie Wasser, brannte der zweite im Hals.
„Ist alles gut bei dir, Mercedes?", fragte Phoebe und blickte sie besorgt an.
„Alles bestens."
„Mach' nichts, was du später bereust." Mercedes nickte kurz als Antwort, bevor sie die tanzende Menge im Wohnzimmer betrachtete und einige bekannte Gesichter entdeckte. Das Haus war zum Bersten gefüllt. Überall standen Mädchencliquen, einige Männer liefen oberkörperfrei in der Küche herum und präsentierten ihre wohlgeformten Waschbrettbäuche und weitere Männer veranstalteten gerade in der Küche einen Trinkwettbewerb, über den sie nur den Kopf schüttelte.
Gefolgt von Phoebe drängte sie sich auf die Terrasse hinaus und lächelte, als sie ein paar weitere Mitbewohnerinnen entdeckte.
„Hey", begrüßten sie einander, bevor sie das Schauspiel im Pool registrierte. Man hatte ein Netz über den Pool gespannt, sodass man Wasserball spielen konnten. Mercedes erkannte die Gesichter der Männer. Die Footballspieler. Ein paar von ihnen trugen Studentinnen auf den Schultern, die sich gegenseitig anfeuerten und anstachelten.
„Mein Gott", murmelte Phoebe und schüttelte den Kopf, als eine ihren BH auszog, ihn wie ein Lasso schwang und dann wegwarf. Die anderen Mädchen blickten sie zunächst entsetzt an, pfiffen dann anerkennend und machten es ihr unter den jubelnden Rufen der Männer nach. „Das ist so klischeehaft."
„Mädels, ich habe den Schnaps gefunden", schrie Ruby, die mit einem Tablett in der Hand am Pool vorbeieilte und es grinsend vor ihnen auf einen Tisch stellte. „Jetzt kann die Party steigen."
Just in diesem Moment wurde die Musik lauter aufgedreht und die Studenten jubelten erfreut. Mercedes blickte sich um, schloss einen Moment die Augen und entschied, die Stunden einfach nur wie eine Studentin zu verbringen und an nichts anderes zu denken, als an die Party mit ihren Freundinnen.

Die Sonne war bereits untergegangen. Der Mond stand alleine am sternenlosen Himmel. Abgesehen von den lauten, dröhnenden Bässen der Party war Nacht ruhig. Hayden sah sie in der Küche und im Wohnzimmer nach bekannten Gesichtern um und trat auf die beinahe leere Terrasse hinaus. Nur wenige Studenten saßen draußen im Garten auf den Liegestühlen am Pool, einige hatten sich ins Gras gelegt und schliefen und unter einer Trauerweide meinte er ein Paar zu sehen, dass sich leidenschaftliche küsste.
Sein Blick glitt weiter und blieb schließlich an einem Mädchen mit einem Pferdeschwanz, einem engen schwarzen Top und einem kurzen Rock hängen, der gerade so das Nötigste bedeckte. Er schluckte, als sie sich vorbeugte, um einem schwankenden Mann etwas ins Ohr zu flüstern, wobei ihr Rock etwas hochrutschte und er deutlich den schwarzen Spitzenslip sehen konnte. Sie trat einen Schritt zurück, löste ihr Haarband und strich sich mit den Fingern durch das offene Haar. Mein Gott was hatte sie für schöne Haare. Es kitzelte ihm in den Fingern hinzugehen, mit seine Finger durch ihr seidiges Haar zu fahren und das Gefühl der weichen Mähne zu genießen.
Leise schlich er etwas näher, lehnte sich an den Zaun und sah über den Jungen, der nur wenige Zentimeter neben ihm saß und einen Joint rauchte hinweg. Hayden ignorierte den süßlichen Geruch und konzentrierte sich ausschließlich auf Mary, die in diesem Augenblick lachend den Kopf in den Nacken warf und dem Fremden eine Hand auf die Brust legte.
Er beobachtete sie eine Weile und musste das Gefühl unterdrücken hinzulaufen, sie wegzureißen und mit sich nachhause zu nehmen. Plötzlich hielt Mary in ihren Bewegungen inne und schwankte leicht, als sie sich im Garten umblickte. Überraschung blitzte in ihrem Gesicht auf, als sie ihn entdeckte. Hayden meinte in ihren Augen für den Bruchteil einer Sekunde Freude und dann panische Angst aufblitzen zu sehen. Wieso rannte sie nur immer vor ihm weg? Er verstand sie nicht.
Mit verschränkten Armen vor der Brust beobachtete er sie und biss die Zähne fest zusammen, als sie auf den fremden Mann zuging, sich an ihn lehnte und unter halb geschlossenen Lidern zu ihm aufblickte. Sanft legte er ihr eine Hand auf die Wange, neigte den Kopf nach vorne und legte seine Stirn auf die ihre. Haydens Puls beschleunigte sich und sein Atmen ging stoßweise, während er die Beiden beobachtete. Würde sie diesen Mann mit nachhause nehmen und dasselbe mit ihm tun, was sie bei ihrem ersten Treffen mit ihm machen wollte? Würde sie mit diesem Mann schlafen? Oder würde sie ihn genauso vor der Tür stehen lassen, wie sie ihn abserviert hatte?
Er ballte die Hände unwillkürlich zu Fäusten, als sie einander küssten. Der Fremde fuhr mit seinen Fingern durch ihr Haar, während er mit der Hand zu ihrem Hintern wanderte und ihn umfing, um sie dichter an ihn zu ziehen. Am Liebsten würde er auf sie zustürmen, den Fremden von ihr reißen und ihm Eine mit der rechten Faust verpassen, bevor er sie sich über die Schulter warf und von hier fortbrachte.
Hayden zog scharf die Luft ein, als Mary ihren Kopf zur Seite neigte und somit den Kuss unterbrach, um ihn anzusehen. Sie sah ihn nur einen kurzen Augenblick an, bevor sie die Augen schloss und das Gefühl genoss, dass ein anderer Mann in ihr auslöste, indem er federleichte Küsse an ihrem Hals bis zu ihrem Dekolleté verteilte. Das reicht.
Mit großen Schritten überquerte er den letzten Abstand, räusperte sich und blickte Mary wütend an. Auf gar keinen Fall konnte er ansehen, wie sie einen anderen Mann küsste und womöglich noch an Ort und Stelle mit ihm Sex hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass sie das nur tat, um ihm zu demonstrieren, dass sie nichts von ihm wollte. Aber das klappte nicht. „Mary, was soll das? Du willst das doch gar nicht. Lass den armen Kerl gehen und nutze ihn nicht aus, um mir zu zeigen, dass du kein Interesse hast."
Augenblicklich zog sie sich zurück, strich sich eine Strähne hinters Ohr und sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. Ihre Lippen waren geschwollen und er hasste diesen Anblick in diesem Moment.
„Was ist dein Problem, Hayden?", lallte sie, schwankte einen Schritt zurück und streckte einen Arm nach dem Fremden aus. „Ich wollte einfach nur eine Studentin sein, die einmal Spaß hat - ohne Verpflichtungen. Und dann tauchst du hier einfach auf und machst alles .. alles kaputt."
Sie machte eine Pause. „Geh weg!"
Hayden setzte gerade an etwas zu sagen, als ihn eine laute Stimme hinter ihm unterbrach.
„Hayden! Was machst du schon hier?" Phoebe kam über die Wiese auf sie zu, hielt sich an seinem Arm fest und grinste, als sie Mary und den Fremden sah.
„Ich habe mir Sorgen gemacht." Phoebe kniff ihm in die Wange.
„Absoluter Bullshit! Uns geht es Bestens. Moment .." Sie hielt eine Hand hoch. „Merc.. Mary, ich muss auf Toilette und du kommst mit."
„Mary, sehen wir .." Hayden warf dem Fremden einen finsteren Blick zu, der daraufhin unterbrach, sich umdrehte und in irgendeiner dunklen Ecke des Gartens verschwand. Mit gerunzelter Stirn blickte er Phoebe und Mary hinterher, die sich gegenseitig stützend zurück ins Haus gingen und folgte ihnen langsam. Er trat noch immer auf der Stelle bei Mary und wusste einfach nicht wie er weiter oder zurückkam. Er hasste diese Situation.

UnverhofftWhere stories live. Discover now