Kapitel 28

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Nachdenklich ging Hayden im seinen Wohnzimmer auf und ab und blickte immer wieder hinaus zum Horizont. Mittlerweile waren 24 Stunden seit seinem letzten Treffen mit Mary vergangen und seither hatte er nichts mehr von ihr gehört. Wieso nur kehrte sie ihm auf einmal den Rücken zu? Was war geschehen, dass sie sich wieder vor ihm verschloss und er das Gefühl hatte auf eine Mauer zu prallen? Wieso nur vertraute sie ihm nicht und ließ sich von ihm nicht helfen?
Er wurde auf dieser Frau einfach nicht schlau. So souverän, selbstbewusst und klug sie auch war, so war sie auch verletzlich, scheu und zaghaft. Er hatte ihre mutige, lüsterne Seite gezeigt, als sie ihn nackt beim Duschen überrascht hatte und kurz darauf war sie zurückhaltend und verschwiegen gewesen. Seufzend fuhr er sich durch das Haar und wusste nicht nach vorn und nicht zurück. Sie hatten über ihre Vergangenheiten gesprochen. Ihre Ex-Partner, die ihnen ein schweres Päckchen für ihre künftigen Beziehungen mitgegeben hatten und doch hatte sie es irgendwie geschafft, diese beiseite zu werfen und miteinander klar zu kommen. Und dann war irgendetwas geschehen, dass sie davon abhielt mit ihm zu sprechen.
Die Türklingel läutete und Hayden machte sich sofort auf dem Weg, um seinem Gast die Tür zu öffnen.
Liam kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht herein, klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter und ging direkt weiter ins Wohnzimmer, wo er sich auf einem der Sofa fallen ließ.
„Ich muss dir etwas erzählen und es ist besser, wenn du dich dafür setzt." Das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden. Hayden holte tief Luft, setzte sich seinem Freund gegenüber und überlegte, was dieser ihm wohl mitteilen könnte. Er lachte und verdrehte die Augen. Was auch immer es war, es konnte ihn nicht annähernd so sehr beschäftigen, wie die Frage, ob Mary mit ihm Schluss machte oder ob sie es weiterhin mit einander versuchten?
„Mercedes ist hier", platzte er aus Liam heraus und Hayden runzelte die Stirn.
„Kannst du das nochmal wiederholen?" Hayden glaubte sich verhört zu haben.
„Ich habe deine Ex-Freundin Mercedes vor ein paar Tagen auf dem Campus getroffen." Abrupt waren seine Sorgen rund um sich und Mary verflogen und stattdessen beschleunigte sich sein Puls vor Zorn. Sie war hier? Ausgerechnet hier hatte sich Mercedes versteckt? Nach fünf Jahren tauchte sie ausgerechnet hier wieder auf, wo er sich ein neues Leben aufzubauen versuchte? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.
„Und du bist dir sicher, dass sie es war und nicht einfach ein Mädchen, dass ihr einfach nur zum verwechseln Ähnlich sieht?"
Liam verdrehte die Augen. „Ich habe sie bei ihrem Vor- und Zunahmen gerufen und sie ist stehen geblieben, hat sie umgedreht und mich mit meinem Namen begrüßt - ohne das ich diesen erwähnt habe."
„Ich bin nicht dumm, Liam. Du musst nicht jedes Wort extra langsam sagen und jeden Buchstaben betonen."
Hayden sprang vom Sofa auf und begann wieder auf und ab zu gehen. Er konnte nicht länger auf seinem Sofa sitzen bleiben, wenn er wusste, dass seine Ex-Freundin sich in der Stadt aufhielt.
„Wo hast du sie gesehen?"
„Auf dem Campus. Sie war auf dem Weg zu den Bushaltestellen und ist dann in einen Bus geflüchtet, als ich sie angesprochen habe."
„Mercedes fährt nicht Bus. Du darfst nicht vergessen aus welcher Familie sie kommt. Die Richardts nutzen keine öffentlichen Verkehrsmittel, sondern immer einen Chauffeur." Bei der Erinnerung an ihre gefühlskalten, hochnäsigen Eltern drehte sich ihm der Magen um. Er hatte sie für ihre Familie bemitleidet - zumindest bis sie ihn betrogen und belogen hatte. Da war ihm klar geworden, dass sie ihre Familie schon verdiente. Sie war genauso verzogen wie ihre ältere Schwester, die stand wenigstens zu ihrem arroganten Charakter und tat nicht so als sei sie wer anders.
„Es war Mercedes, da bin ich mir ganz sicher. Wenn sie es nicht gewesen wär, hätte sie wohl kaum meinen Namen gekannt."
„Das kann doch nicht wahr sein."
Seufzend stand Liam auf und stellte sich neben ihn an das bodentiefe Fenster über der belebten Straße. „Ich dachte, du solltest das wissen. Aber was mit Mercedes ist oder nicht ist, ist doch völlig irrelevant. Das mit euch ist vorbei und du solltest dich auf deine neue Freundin konzentrieren."
„Das ist leichter gesagt als getan, Liam."
„Was ist denn los, Hayden? Habt ihr euch getrennt? Ist irgendetwas vorgefallen? Ich wag es gar nicht zu sagen, aber die Freundinnen deiner Schwester haben sich bisher nicht als die beste Wahl entpuppt."
Kopfschüttelnd schloss Hayden die Augen und versuchte seinen vor Wut rasenden Puls zu beruhigen. Ausgerechnet jetzt erfuhr er das seine Ex-Freundin sich genau an dem Ort aufhielt, an dem er beschlossen hatte sich eine neue Existenz aufzubauen, weil ihn zuhause zu sehr an sie erinnerte. Und gerade, als er glaubte mit einer anderen Frau glücklich zu werden, fand er heraus, dass sie sich hierher verdrückt hatte.
„Hayden?"
„Entschuldige, ich war in Gedanken. Nun ja, Mary zieht sich wieder von mir zurück. Ihre Eltern haben sie rausgeworfen und sie muss ihr Leben neu arrangieren. Es ist ungewiss, ob in diesem neuen Leben auch Platz für mich ist." Er schwieg und rief sich ihr trauriges Gesicht in Erinnerung. Sie hatte so einsam, verloren und hilflos gewirkt. Er wollte ihr helfen, aber sie hatte ihm nicht die Chance gegeben, seine Hilfe anzubieten. Und mittlerweile kannte er sie so gut, dass er wusste, dass sie dickköpfig war. Hayden konnte nur zwei Dinge tun: warten und hoffen, dass sie ihm eine Chance gibt.
„Familienprobleme. Die Leier kommt mir bekannt vor." Wütend warf Hayden seinem Freund einen Seitenblick zu.
„Sie hat gar nichts mit Mercedes gemein."
„Das was du bisher erzählt hast, klingt aber schon nach ihr."
Hayden knurrte wütend. „Ich würde meine Ex-Freundin erkennen, wenn sie vor mir steht. Ihr Gesicht hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Außerdem ist Mary ganz anders. Sie ist aufrichtig, direkt und ehrlich. Du kannst dich sicherlich noch an unsere letzten Begegnung mit Mercedes erinnern. Sie würde es nach all den Jahren nicht wagen mich anzusprechen oder gar mich zu küssen."
„Ja, ich weiß, mein Kumpel. Es ist dennoch ein komischer Zufall."
„Du sagst es."
„Was sage ich?" Liam hatte die Stirn gerunzelt und blickte ihn nachdenklich an.
„Das es ein Zufall ist, Liam. Lass uns am Besten Pizza essen gehen, bevor die Anderen vom Flughafen abholen." Wortlos folgte Liam ihm zu seiner Haustür und Hayden schnappte sich seine Autoschlüssel. Im Aufzug legte er den Kopf in den Nacken und dachte einen Moment über Liams Worte nach. Mary und Mercedes - abgesehen von dem Anfangsbuchstaben hatten diese beiden Namen nichts gemein. Gut, wenn er jetzt darüber nachdachte, dass beide brünett, blauäugig und klein waren, war das schon eigenartig. Allerdings stand er nun einmal auf kleine, sportliche Brünette mit faszinierenden Augenfarben und das sie zufällig noch den selben Anfangsbuchstaben hatte, war wirklich eigenartig. Sowie ihre gute Freundschaft zu seiner Schwester. Aber wie bereits erwähnt. Zufall - ein eigenartiger Zufall.

„Hast du eine Idee, wie wir hier rauskommen?", fragte Mercedes und sah sich betrübt in der Bibliothek um. Er nutze die Gelegenheit und musterte ihr Profil. Sie trug ihre langen, braunen Haare zu einem ordentlich Pferdeschwanz, ihre blauen Augen wurden von langen, dunklen Wimpern eingerahmt und die einladenden, vollen Lippen hatte sie mit einem dezenten, rosa Lippenstift betont. Anlässlich des Feiertages trug sie ein schlichtes dunkelblaues Kleid, dass ihre Kurven kaschierte und Raum für die Fantasie lies. Ihre schlanken, trainierten Beine machten ihn von Sekunde zu Sekunde wahnsinniger, die er sie anblickte und er musste rasch seinen Blick abwenden.
Ihre Wangen waren gerötet und sie zwang sich zu Boden zu blicken. Hatte sie sein ungeniertes Starren bemerkt? Nicht gerade freundlich von dir, Hayden, ermahnte er sich selbst, drehte sich räuspernd um und musterte ebenfalls seine Umgebung. Sein Blick blieb an dem Schreibtisch der Bibliothekarin hängen und er setzte sich rasch in Bewegung. Aufmerksam zog er eine Schublade nach der anderen auf und suchte deren Inhalt nach etwas bestimmten ab.
„Was machst du da?"
„Ich suche einen Schlüssel."
„Wieso sollte jemand einen Schlüssel für die Tür hinter einer abgeschlossenen Tür lagern?" Er schmunzelte über ihre Frage.
„Klingt schon dämlich. Aber die Bibliothekarin ist schon älter und es ist gut möglich, dass sie hier einen zweiten Schlüssel deponiert hat für den Fall, dass sie den Ersten abends nicht mehr wiederfindet."
„Du hast recht", gab sie leise zu, eilte ebenfalls um den Tisch und half ihm einen Schlüssel zu finden. Hayden hatte gerade ein paar Bücher angehoben, als sein Blick an etwas silbrig Glänzendem hängen blieb. Rasch schob er die Bücher beiseite, hob den Behälter mit den vielen Kugelschreibern hoch und grinste breit, als er den kleinen Schlüssel entdeckte.
„Ich habe ihn."
„Sehr schön", lächelte Mercedes und beobachtete ihn, wie er den Schlüssel im Schloss ausprobierte. Vorsichtig drehte er den Schlüssel im Schloss und hielt die Tür einen Moment noch zu, um sie mit ernster Miene anzusehen. Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Was ist? Passt der Schlüssel doch nicht und wir müssen weitersuchen?"
„Was bekomme ich dafür, wenn der Schlüssel passt und ich uns in den kommenden 15 Minuten aus diesem Gebäude befreie ohne den Alarm auszulösen?"
Mercedes spitzte die Lippen und sah ihn aufmerksam an, bevor sie spitzbübisch lächelte. „Keine Anzeige wegen Freiheitsberaubung."
„Ich habe uns hier nicht eingesperrt."
Sie zuckte mit den Schultern. „Du hast aber verhindert, dass uns jemand hier herausholt."
„Damit kämst du nicht durch."
„Reine Auslegungs- und Argumentationssache." Hayden konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Diese Mädchen war ganz anders als all die Anderen, die er kannte. Sie war frech, klug und selbstsicher ohne arrogant zu sein. Zudem war sie außergewöhnlich schön.
„Ein Glück für mich, dass sich die Tür öffnen lässt."
Langsam schob er die Tür auf, trat einen Schritt zurück und lies sie an sich vorbei. Bevor sie verschwinden konnte, packte er ihren Arm und grinste, als er in ihre weit aufgerissenen, verwunderten Augen blickte. „Was ist denn?"
„Ich habe etwas gut bei dir, dafür das ich uns hieraus befreie."
„Das wüsste ich aber", lächelte sie und verdrehte gespielt die Augen. Ihr Lächeln erstarb als sie seinem Finger folgte und den Mistelzweig über ihren Köpfen in der Tür registrierte. „Das hast du mit Absicht gemacht."
„Ich schenke dir die Freiheit und du mir einen Kuss. Mehr will ich nicht." Sie schluckte und sah ihn nervös an.
Einen Kuss?"
„Nur einen Kuss."
Mercedes schluckte und er meinte, dass das Rot ihrer Wangen noch intensiver wurde. „Ich habe noch nie ..."
„Psst. Du musst nichts mehr sagen", unterbrach er sie und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Zaghaft machte er einen Schritt auf sie zu und nahm wohlwollend zu Kenntnis, dass sie nicht zurückwich. Vorsichtig hob er die Hände und strich ihr sanft eine lose Strähne aus dem Gesicht, bevor er über ihre weiche Wange strich und seine Hände an ihrem Hals ablegte. Nervös befeuchtete sie ihre Lippen, erwiderte seinen eindringlichen Blick und wartete auf seine nächsten Schritte.
„Nur ein Kuss", hauchte er, beugte sich leicht vor und kam ihren Lippen immer näher. Als nur noch wenige Millimeter ihre Lippen trennten, hielt er inne und bat sie stumm um Erlaubnis. Es dauerte eine Sekunden ehe sie kaum merklich nickte. Er ließ sich nicht zweimal auffordern. Sanft legte er seinen Mund auf ihren, drückte seine Lippen auf ihre Lippen und genoss das Gefühl. Ein Schauer jagte über seinen Rücken und er musste sich zusammen reißen nicht laut zu stöhnen. Zögerlich kam sie ihm entgegen, erwiderte die Bewegungen seines Mundes und von Minute zu Minute gewann ihr Kuss an Sicherheit und Intensität. Das war der beste, erste Kuss, den ihm ein Mädchen geschenkt hatte.

UnverhofftWhere stories live. Discover now