Kapitel 4: Alicia

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Erst als ich die geschockten Gesichter der Schüler sah wusste ich, dass ich das wohl ziemlich laut gesagt bzw geschrien hatte.

Sogar so laut, dass Kyle und Leonardo in ihren Bewegungen kurz inne hielten.

Leonardo sah mich mit einem verwirrten Blick an und in Kyle's Augen lag eher Sorge.

Leonardo murmelte etwas, dass wie »Noch eine Black...« klang.

Mein Aufschrei hatte wohl etwas gebracht, da mittlerweile zwei Typen meinen Bruder und O'Brien auseinander zerrten.

Anhand der Lederjacke konnte ich erkennen, dass sie zu unterschiedlichen "Fraktionen" gehörten.

Wenn ich sagte, dass ich maßlos überfordert war, dann korrigiere ich mich. Denn jetzt war ich mit der Situation maßlos überfordert. Alle blicken lagen auf mir, sie starrten mich regelrecht an. Als ich zu meinen neuen Freunden sah, sahen sie mich schockiert und abwertend an. Die Kategorie Schulschlampe musterte mich ausgiebig und verzogen dann ihr, mit Schminke zugekleistertes, Gesicht.
Einige Schüler versuchten mich mit ihren Blicken zu erdolchen. Doch ein Blick stach heraus, nämlich der von Leonardo. In seinem Kopf spielte sich ein Szenario ab, das könnte man an seiner Miene erkennen. Die eisblauen Augen verfolgten jede Reaktion und Bewegung meinerseits.

Mein Bruder sah meinen überforderten Blick und zischte ein gefährliches  »Habt ihr nichts besseres zu tun.« durch die Cafeteria, natürlich durfte ein böser Blick nicht fehlen, und zerrte mich an meinem Arm aus der Cafeteria heraus.

Er zerrte mich in eine Art Abstellkammer hinein und funkelte mich böse an.
»Sag mal bist du komplett bescheuert?«, fuhr er mich an und bei seiner angsteinflößenden Stimme zuckte ich zusammen. Was fällt ihm eigentlich ein?Ich bin die jenige, die wütend auf ihn sein sollte.

»Wann wolltest du mir von deinen Kriminellen Machenschaften erzählen, hm?«, fragte ich deshalb giftig zurück und verschränkte meine Arme vor der Brust.

Ein wütendes »überhaupt nicht. Das geht dich nichts an«, verließ seinen Mund und ehe ich etwas erwidern konnte floss etwas rotes in mein Gesichtsfeld und ich realisierte erst jetzt Kyle's Verletzungen.

Geschockt blickte ich meinen Bruder an. Er hatte eine aufgeplatzte Lippe und Augenbraue, aus der nun das Blut nur so quellte. Langsam fuhr ich mit meinem Finger zu der besagten Augenbraue und ein Zischen verließ seinen Mund.

»Kyle. Das muss genäht werden.«

»So schlimm ist es nicht.«, sagte er genervt und stieß meine Hand weg.

»Lass mich das wenigstens sauber machen du Blödmann.«, ich zerrte ihn aus der Kammer heraus und deutete ihm an mir zu folgen. An meinem Spind angekommen, holte ich Feuchttücher heraus und begann seine Wunden sauber zu machen.
Nach einiger Zeit sah er sogar fast wieder normal aus. Wenn man die ganzen Schrammen in seinem Gesicht, Die Blauen Flecke an seinem restlichen Körper und die aufgeschürften Knöchel an seinen Händen übersah. Wie gesagt, fast....

Es klingelte zum Pausenende, ich warf meinem Bruder einen strengen Blick zu, ehe ich ihn mit meinen Lippen ein stimmloses »wir reden zu Hause weiter.« formte und in meine nächste Klasse ging.

Nun hatte ich Geschichte.
Als ich das Klassenzimmer betrat, lagen wiedermal alle Blicke auf mir. Mit gesenktem Kopf lief ich zu einem freien Platz und setzte mich.
Kaum hatte ich mich gesetzt, rutschten meine beiden Nebensitzerinnen "unauffällig" ein Stückchen von mir weg.

Na toll.

Eine etwas kleinere Frau mit kräuseligen braunen Haaren kam herein und stellte sich als Mrs. Schüller vor. Sie würde mich dieses Jahr in GGK (Geschichte und Gemeinschaftskunde) unterrichten. Zu meiner Freude *hust* begann sie mit einer Partnerarbeit. Wir sollten uns die Partner selbst aussuchen und mit einem misstrauischen Blick sah ich mich suchend um. Ein kleines, dünnes, Mädchen saß eine Reihe vor mir und machte nicht einmal die Anstalt sich nach einem Partner umzuschauen.

Als ich zurück zu meiner Lehrerin sah, signalisierte sie mir, mich zu dem Mädchen zu setzen. Also stand ich auf und ließ mich auf den Platz neben ihr fallen. Erschrocken, von meinem plötzlichen Erscheinen, sah sie auf, doch als sie meine grün-braunen Augen erblickte, beruhigte sie sich.

Wieso beruhigt sie sich? Alle anderen starrten mich entweder geschockt oder angsterfüllt an, doch sie nicht. Wieso?

»Ähm hey. Wir sollen zusammen die Partnerarbeit machen.«, krächzte ich hervor.

»Ich bin Alicia. Du bist neu hier richtig?«, sanft lächelte sie mich an.

Wieso lächelt sie? Sie machte nicht den Eindruck Mitglied in einer Bande zu sein, damit sie keine Angst vor meinem Nachnamen haben müsste. Sie sah eher nach dem Gegenteil aus.
Liebevoll, Hilfsbereit, freundlich.

»Ähm ja. Ich bin Katherine. Das ist mein glorreicher erster Schultag.«, die Ironie in meiner Stimme war nicht zu überhören.

»Ach so schlimm wird er schon nicht gewesen sein.«, sagte sie aufbauend.

Wow, sie hatte keine Ahnung. Vielleicht war sie ja nicht in der Cafeteria.

»Wir sollten lieber mal anfangen.«, gab ich nur von mir und sie schlug ihren Block auf. Die erste Seite, war voll mit Notizen aus Biologie und erst jetzt bemerkte ich, dass wir im gleichen Bio Kurs waren... und sie die Hausaufgaben schon erledigt hatte.

»Warte mal. Wann hast du bitte die Hausaufgaben in Bio gemacht?«, fragend sah ich sie an. Als hätte ich sie bei irgendeiner schlimmen Tat ertappt lief sie rot an.

»Ähm... die habe ich in der Pause gemacht.. Ich war in der Bibliothek. Aber bitte sag es niemanden, die denken eh schon alle ich bin der komplette Freak.«, flüsterte sie mir zu.

Glaub mir, nicht nur du... nicht nur du...

Ich nickte ihr zu und wir widmeten und der Fragestellung 'Was ist überhaupt Geschichte?'

Nach ca. 10 Minuten blickte ich auf unseren Antwortsatz und war ziemlich zufrieden. Die Lehrerin wartete noch eine Minute ehe sie uns aufforderte unsere Antworten vorzulesen.

Als sich niemand meldete rief sie mich auf.
»Katherine. Lese doch deinen Satz bitte vor.«, aufmunternd lächelte sie mich an und ich holte tief Luft.

»Geschichte und Vergangenheit ist nicht dasselbe. Als Vergangenheit bezeichnet man alles, was bisher geschehen ist. Geschichte beschäftigt sich mit denjenigen vergangenen Ereignissen, die vor allem die Gesellschaft geprägt haben und somit den Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden haben.«

Ich blickte meine Lehrerin an und sie sah mich begeistert an.
»Sehr gut. Bitte übernehmt diese Erklärung.«
Nach einiger Zeit kam ein abfälliges »Erkläre doch mal, was ein kollektives Gedächtnis ist.«, von einem Mitschüler.

»Als kollektives Gedächtnis bezeichnet man, ein sogenanntes "Gemeinschafts"-Gedächtnis. Das ist also das Gedächtnis, welches unsere Gemeinschaft besitzt. Dieses Gedächtnis vermittelt den Menschen, die nicht an den vergangen Erlebnissen dabei waren, so wie wir, das Wissen, dass so etwas am besten nicht mehr vor kommen sollte. Wie z.B. der zweite Weltkrieg.«

Reicht dann auch wieder mit schlauen Beiträgen hahaha.
Bildungsauftrag erfüllt hahah

Badboy's SisterWhere stories live. Discover now