Kapitel 7 : Mutter

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Punkt 6 Uhr klingelte mein Wecker, und kurze Zeit später blickte ein viel zu müdes Katherine in den Spiegel.

Ich hatte dicke Augenringe und sah ansonsten auch nicht besser aus. Nach etlichen Versuchen diese zu verdecken, gab ich irgendwann auf und ging zurück in mein Zimmer. Ich zog mir ein helles Kleid, welches meine gebräunte Haut zur Geltung brachte und meine Pumps an.

Der nächste Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mal nach meinem Bruder schauen sollte. Gesagt, getan.
Ich lief also zu dem Zimmer gegenüber und klopfte vorsichtig, als jedoch kein Muks zurück kam, öffnete ich diese.

Das Zimmer war komplett leer, kein einziges Lebenszeichen war hier zu finden. Die Bettdecke war sauber zusammengelegt, und nicht so verkrumpfelt wie meine.
Es lagen auch keine Klamotten irgendwo herum, wie bei mir.
Auch sein Schreibtisch war viel zu aufgeräumt für einen Schüler. Ich konnte weder Hefte, Ordner, oder Blätter auf seinem Schreibtisch entdecken. Dort lag einfach nichts. Gar nichts. Keine Stifte, kein Schnipsel Papier, kein Radiergummi, nichts...

Langsam trat ich in das Zimmer hinein und setzte mich vorsichtig an seinen Schreibtisch.

Gestern saß er hier und hat über irgendetwas nachgedacht. Hier lagen Zettel, sehr viele Zettel. Wenn ich genauer darüber nachdenke, lagen nicht nur auf dem Schreibtisch Zettel, nein auch über den Boden verteilt, auf dem Bett und dem kleinen Regal.

Unsere Zimmer waren exakt gleich aufgebaut.

Mein Blick huschte zu den kleinen Schubladen, die unter seinem Schreibtisch waren.

Sollte ich sie öffnen? Vielleicht weiß ich ja dann wo er ist. Vielleicht weiß ich mehr über all das hier.
Was in den letzten 2 Jahren vorgefallen ist. Wieso er mich damals im Stich gelassen hat.
Wieso er mich alleine gelassen hat...
Warum sie gehen musste...
All das verstehe ich nicht.

Und von meinem Bruder würde ich keine Antworten bekommen.

Aber vielleicht...

Bevor ich meinen Gedankengang fortsetzen konnte hörte ich von unten eine Türe knallen und schnelle Schritte durch die Wohnung. Genau hier her.

Schnell öffnete ich die Tür um in mein Zimmer zu flüchten, doch weit kam ich nicht, da ich frontal gegen die Brust meines Bruders lief.

Zu erst sah er mich erschrocken an, doch schnell sah ich Wut in seinen Augen.

»Was machst du hier?«,  kam es bedrohlich von ihm.

»Ich wollte nach meinem Bruder sehen, der ja anscheinend die komplette Nacht nicht zu Hause war.«, zickte ich zurück und starrte ich ebenso wütend an.

»Ja und? Du bist nicht meine Mutter.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen rutschte auch schon meine Hand aus und ich realisierte erst wenige Sekunden später, was ich dort gerade getan hatte.

Aber schlecht fühlte ich mich deswegen nicht. Er hätte sie nicht erwähnen sollen. Er wusste das und hat es mit Absicht gemacht, nur um mich zu verletzen.

So war er nicht immer, doch seitdem ich bei ihm wohne, versuchte ich mir einzureden, dass diese und leider noch einige andere Situationen nur eine Ausnahme war. Aber nein. Er tat dies Absichtlich und das brachte mich zur Weißglut.

Ich flüsterte nur ein »Wie konntest du nur?«, und verließ schnurstracks die Wohnung. Da unten meine Tasche noch von gestern lag, war das kein Problem.

Immer noch wütend setzte ich mir meinen Motorradhelm auf und schwang mich auf mein dunkelrotes Motorrad. Erst jetzt merkte ich, dass das Kleid eventuell eine Fehlentscheidung war. Aber naja, ich wusste ja nicht, dass ich heute mit dem Motorrad unterwegs sein würde.

Zum Glück trug ich unter Kleidern immer eine kurze Sporthose, zur Sicherheit und so.

Als ich hinter mir meinen Namen rufen hörte, fuhr ich los.
Während der Fahrt bemühte ich mich meine aufkommenden Tränen wegzublinzeln, in der Hoffnung sie würden nicht meine komplette Sicht versperren.
Dummerweise konnte ich sie irgendwann nicht mehr zurück halten und musste mich wirklich bemühen nicht von der Fahrbahn abzukommen.

Wie konnte er sie nur nennen.
Wieso machte es ihm nichts aus.
Wieso macht es mir so viel aus?
Ich meine alleine das Wort "Mutter" oder "Mama" entfacht in mir die verschiedensten Gefühle. Liebe, Trauer, Enttäuschung, Überforderung, Bewunderung, aber auch Wut... sehr viel Wut.
Wut und Enttäuschung darüber, dass sie uns mit ihm alleine gelassen hat.
Dass sie in Kauf genommen hat, dass wir seinen Zorn zu spüren bekommen.
Dass sie in Kauf genommen hat, dass er uns für all das Verantwortlich gemacht hat.
So viel Wut und Enttäuschung lag in diesen normalen Begriffen.

Andere verbinden vielleicht die gleichen Gefühle wie ich, doch in einer komplett anderen Reihenfolge. Bei denen übertrumpfen die positiven Gefühle zu ihrer Erzeugerin, bei mir ist das nicht so. Andere Kinder werden von ihrer Mutter geliebt, das wurden wir bestimmt auch, doch sie werden nicht von ihr verlassen.
Bei anderen unterstützt die Mutter die Kinder, egal was sie dafür in Kauf nehmen muss. Die Mutter ist für einen da und wehrt sich auch, wenn ich was nicht passt. Wenn ihr etwas an dem Verhalten ihres Mannes nicht passt. Doch nein, meine Mutter tat dies nicht. Sie ließ uns lieber alleine mit dem Verrückten. Sie ging einfach. Sie hätte sich Hilfe holen können, wir hatten genug Beweise, genug Zeugen die bestätigen konnten wie er zu ihr und zu uns war. Das war schon lange kein Geheimnis mehr und trotzdem wurde nichts unternommen. Sie hat nichts unternommen. Sie hat einfach alles über sich ergehen lassen und hat noch nicht mal gemerkt, wie sie das kaputt gemacht hat.
Sie hat ihn immer wieder in Schutz genommen und alles heruntergespielt. Sie sei gestürzt, hätte sich den Arm bei der Arbeit gestoßen. Belanglose Dinge eben.
Sie hätte zur Polizei gekonnt, sie hätte zu ihren Eltern gekonnt, jeder hätte ihr geholfen. Aber nein. Sie hat es nicht geschafft ihm zu widersprechen. Sie hat an seiner "Liebe" festgehalten. So naiv war sie.
Doch diese "Liebe" hat sie in den Tod getrieben und dafür hasse ich ihn. Dafür bin ich so maßlos enttäuscht von ihr. Dafür verabscheue ich sie.

Und doch stehe ich nun hier. An ihrem Grab.

Badboy's SisterDove le storie prendono vita. Scoprilo ora