3- Flucht. Nur eben nicht meine.

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          Es gab keine passende Art jemandem von dem Tod zu berichten. Keine, die einen nicht zurückließ, als hätte man gerade ein lebenswichtiges Organ verloren. Mit einem rostigen Löffel entfernt.
Meine Kammerzofe sah zumindest so aus, als hätte sie mich eigenhändig abgestochen.

Behutsam, aus Angst ihre Nerven zu sehr strapaziert zu haben, nahm ich ihr das Unterkleid aus den Händen und zog es mir über. Dann, wie eine Puppe an Fäden, kehrte ich zu dem Bett zurück und ließ mich auf der Kante wieder. Caridad war tot.
Der Gedanke wollte sich nicht in meinem Kopf verfestigen. Er war tot und so wie Constantin nach ihm gefragt hatte, vermutete er, dass es kein Unfall gewesen war.
Ein widerlicher Verdacht formte sich in meinem Magen, doch ich schob ihn zur Seite.

Die Kammerzofe rang mit ihren Händen.
„Es tut mir leid, dass Ihr es so erfahren habt. Es war nicht meine- soll ich Euch etwas bringen? Etwas für die Nerven?"

Abgelenkt hob ich den Kopf. 
„Nein, nein. Schon in Ordnung. Aber bedienen Sie sich ruhig selb-..."

Meine Antwort wurde von lautem Splittern abgeschnitten, das uns beide zusammenzucken ließ.
Was war jetzt schon wieder? Nicht einmal einen Tag in diesem Haus und ich hatte das Gefühl, als liefe eine Sanduhr hinter meinem Rücken ab, deren fallende Körner Löcher in die glänzende Fassade des Palasts rissen. In düsterer Erwartung starrte ich zur Tür, wollte eigentlich abwarten, aber mein Körper kehrte schneller zu alten Gewohnheiten zurück als mein Verstand.

Ehe ich mich versah, war ich draußen auf dem Flur und folgte dem Lärm von durcheinander brüllenden Männern. Bitte hatten sie einfach nur eine Vase zertrümmert. Bitte hatten sie einfach nur eine-...

Ich bog um die Ecke des Ganges und wäre beinahe in die Scherben einer zersprungenen Scheibe getreten. Keine Vase. Sondern ein hoch-aufstrebendes Konstrukt voll Buntglas, dessen dargestellte Szenerie nicht mehr zu erkennen war. Irgendetwas religiöses vermutlich. 

Soldaten eilten durcheinander, ihre Rüstungen laut schnarrend und schimmernd.
Mir gegenüber stand der König, einen Pfeil in den Händen. Blut tropfte aus einem Schnitt am Ärmel auf den steinernen Fußboden. Seine Augen fand meinen und eine Mischung zwischen Ärger und mangelnder Geduld huschte hindurch.

Ich gefror in meiner Bewegung.
„Attentat." Ich war verblüffter, als ich es eigentlich hätte sein sollen. Schließlich kannte ich Constantin. Genau genommen war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand auf ihn schießen würde. Und trotzdem. Irgendetwas an der zeitlichen Nähe zu meinem eigenen Erwachen fühlte sich merkwürdig an. Orchestriert. 

Jemand hatte versucht, den König zu erschießen.
Mein Blick driftete zurück zu dem durchschlagenen Fenster. Dahinter machte die Palastmauer, die uns von der Hauptstadt trennte, einen Schlenker und kam dem Gebäude verdächtig nahe.
Schuss-Nähe, um genau zu sein.

Ich lief los. 

Der kürzeste Weg hinaus auf die Mauer führte über eine überdachte Brücke am Ende des Westflügels. Wer aus dem Palast floh, hatte es von dort aus nicht weit bis zu den Bediensteten-Eingängen. Und egal wer auf den König geschossen hatte, er oder sie würde von der Burgmauer verschwinden wollen.

„Dinah!" Constantin rief mir hinterher, doch ich ignorierte ihn in alter Gewohnheit. Wir konnten später gerne streiten. Ohne mich nach ihm umzudrehen, rannte ich den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich kam an meiner Zimmertür vorbei, in der meine bleiche Kammerzofe gegen den Rahmen lehnte. Sie brachte nur ein leise gehauchtes ‚Unterkleid' heraus, ehe ich bereits an ihr vorbei war.

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt