10- Höfische Sitten

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 3 Jahre, 2 Monate und 12 Tage zuvor

           Ich ging mit einem einzigen Ziel in Caridads Ehren-Essen hinein: Ich musste beweisen, dass ich eine gute Königin war, der man schon allein aus Sympathiegründen keinen Finger abschneiden wollte.

Einer der Vorteile des zeremoniellen Essens war die Tatsache, dass es mir bei Tisch absolut erlaubt war, mich mit dem Bruder meines Ehemannes zu unterhalten. Einer der Nachteile war die Anwesenheit besagten Ehemannes und einer der kichernden Hofdamen, die er an meiner statt an die Kopftafel führte.

Ich schritt hinter ihnen her, den Kopf ihn falscher Gleichgültigkeit erhoben. Dachte Constantin über den drohenden Verlust eines Körperteils nach, ließ er es sich nicht anmerken. Ich hatte dagegen Probleme an etwas anderes zu denken, während mir viele lauernde Blicke bis zu meinem Stuhl folgten. Ich wusste, was sie sagten. Mit was für einer lieblosen Ehe De Constantin gestraft hatte. Wie hilflos und fehl am Platz ich hier war. Ich war Freiwild. Ohne Verbündete und ohne Familie. Und das musste ich ändern.

Constantin und seine neue Gespielin hatten die Köpfe zusammengesteckt, als ein letztes Mal die Fanfaren erklangen und Caridad den Speisesaal betrat.

Er sah gekämmter und diskutabel noch besser aus, als bei unserem ersten Treffen am heutigen Mittag. Das Kerzenlicht gab ihm einen sonnigen Teint und die ausgewählte dunkelblaue Dekoration passte perfekt zu seinem Wams. Lady Helen hatte ganze Arbeit geleistet und ich hoffte leise, dass man davon auch einen winzigen Teil mir zuschreiben würde. Schließlich hatte ich sie in ihrer Tätigkeit nicht zu sehr behindert.

Caridad schritt mit dem entspannten Gang eines Mannes unter Freunden zu unserer Tafel und stellte sich hinter den Stuhl neben mir. Ein Lächeln und ein kurzes Kopfnicken deuteten seinen Gruß an. Dann wurden uns die Stühle zurückgezogen und wir nahmen Platz.

Das hohe Kichern des Mädchens neben Constantin klang schrill und dissonant in meinen Ohren, doch ich probierte es über die Vorspeise hinweg zu ignorieren. Unterhaltungen blühten an der Tafel auf und erfüllten den Raum mit Summen. Ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln.

Constantin lehnte sich zu dem Mädchen hinüber, eine Hand vertraut an der Rückenlehne ihres Stuhls. Er hatte noch alle Finger, wie ich sofort nachzählte. Man mochte meinen, er gäbe einen nichts darauf, wie unangemessen sein Verhalten war. Aber ich bemerkte die kritischen Blicke der Gäste und wie bewusst er seine Gesten einsetzte.

Senatoren und ihre Frauen. Herren und Damen des Hofes, alle herausgeputzt und frisch gepudert. Sie waren ein beeindruckendes Spektakel im Dämmerlicht der Kronleuchter. Ihr Schmuck glänzte mit dem goldenen Besteck um die Wette, teuer und befremdlich wie die Sterne am Nachthimmel.
Einige ihrer Gesichter erkannte ich inzwischen wieder, hatte mühsam ihre Namen und ihre Funktionen gelernt. Ich könnte sie ansprechen, sie in eine bedeutungslose Konversation verwick-

Constantin drückte dem Mädchen einen Kuss auf die Wange und mir fiel beinahe die Gabel aus der Hand.

„...das sind die Sommersprossen", flüsterte ein junger Mann seiner Sitznachbarin einen Hauch zu laut zu, „...er will sie nicht anfassen, aus Angst vor der Sünde, die sie begangen hat."

Ich nahm einen tiefen Schluck Wein und spülte damit den winzigen Kräuterkuchen herunter, der heute Morgen in der Küche einen Aufstand angezettelt hatte. Aufwendige, teure Dinger, denen ich nicht genug Dankbarkeit entgegenbrachte. Ich wollte nicht hier sein.

Diese steifen Leute waren fürchterlich langweilig gegen die aufgedrehten, lauten Essen in der Mädchenschule. Dort hatte ich aufstehen dürfen, wann ich wollte. Wir hatten nicht einmal halb so viele Gabeln gehabt und unsere Rektorin sang am Ende eines dieser obszönen Lieder, mit denen wir später ungewollte Verehrer vergraulen sollten.

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Where stories live. Discover now