31- Oh, ich renne sowas von nicht fort. Wirklich.

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          Ich saß auf meinem Balkon und ließ die Beine zwischen den steinernen Streben der Brüstung herunterbaumeln. Im Garten unter mit entzündeten sie gerade die ersten Laternen, die wie Sterne am Boden Ecken und Winkel der Bäume und Hecken beleuchteten. Der Rest ergab sich nach und nach dem samtigen Blau der Nacht.

Unter mir, ein Stück zu meiner Rechten, schwappten die Geräusche eines größeren Gelages hinaus in die Dunkelheit. Feste, so hatte ich schnell gelernt, begannen in Clevem grundsätzlich erst, wenn die gefährlichen Sonnenstrahlen eine andere Insel trafen. Wenn die Hitze erträglich wurde und wir die wundervollen Geheimnisse des Himmels in seinen Konstellationen enträtselten.
Doch mein Augenmerk galt allein einem Pärchen, das sich vor knapp einer halben Stunde von der Terrasse vor dem Ballsaal geschlichen hatte.

Sie hatten sich zu einer der unbeleuchteten Parkbänke gestohlen und die Rufe Lady Vannas ignoriert, die einige Minuten orientierungslos durch das nasse Gras gewandert war, ehe sie zur Wärme des Haupthauses zurückkehrte. Lady Vanna. Wenn sie könnte, würde sie am liebsten mein Zimmer anzünden und sichergehen, dass ich noch drinnen schlief.

Ich fröstelte und zog meine Bettdecke enger um meinen Körper.
„Feiert Ihr ein Fest ohne uns?" Meine Gedanken hatten Sebastians näherkommende Schritte verschluckt. Er stand in meiner Balkontür gelehnt, die Arme vor seinem Brustpanzer verschränkt, einen amüsierten Blick auf meine angebrochene Weinflasche werfend.

Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich verstehe nicht, wie andere ihre Probleme in Alkohol ertränken. Für mich gehen sie davon einfach nicht weg", und damit nickte ich unwillkürlich in die Richtung, in der Constantin und Akemira gemeinsam auf der Bank saßen. Von wegen, er würde sich nicht in sie verlieben. Die Zwei verstanden sich blendend.
Und ich war De-verdammt noch mal selbst schuld.

Hinter mir seufzte Sebastian. Mit schweren Schritten kam er zu mir herüber und ließ sich neben mich auf den Balkonboden herunter. Im Licht des Vollmondes sahen die feinen Linien auf seinem Gesicht tiefer aus als sonst und die Narbe durch sein Gesicht schimmerte. „Glaubt Ihr, De hat Euch damals hierhergebracht? Für einen bestimmten Zweck?"

Oh, den hatte es gegeben. Nur De hatte wenig damit zu tun gehabt.
Gemeinsam starrten wir in die Dunkelheit hinaus. Die Minuten strichen dahin und der Alkohol setzte sich in meinem Bauch ab. Ich war bereits wieder weit abgedriftet, als Sebastian wieder sprach.
Er hob die Flasche einmal hoch: „Meiner begrenzten Erfahrung nach muss man auch mehr als ein Glas trinken, um seine Probleme zu vergessen."

Mein beleidigtes Schnauben entlockte ihm ein dunkles Lachen.
„Dieses Gesetz kollidiert leider fürchterlich mit den Richtlinien für eine wohlgezogene Dame. ‚Ein Glas pro Stunde, Lady Ferrox. Eine wirkliche Dame wäre niemals betrunken'", zitierte ich meine damalige Lehrerin. Sie hatte natürlich nichts von diesen Molescu-Sternen gesagt. Oder davon, dass irgendwann jemand meinen besten Freund ermorden würde und ich ohne ihn hier zurück bleiben würde.

„Und machen diese Richtlinien auch Ausnahmen für Königinnen mit gebrochenem Herzen?"

Ich spürte seinen neugierigen Blick auf meinem Gesicht, doch meine Augen blieben auf Constantin fixiert. Hatte ich ein gebrochenes Herz? Ich holte mir die Flasche zurück und nahm einen Schluck. Ich war ein Trottel. Ich hatte das Richtige getan. Warum hasste ich mich so dafür?

Ohne eine Antwort reichte ich Sebastian die Flasche und er nahm ebenfalls einen Schluck.
„Es gab neue Entwicklungen bezüglich des gestohlenen Siegelrings", erklärte er nach einem Moment des Schweigens, „Miss Akemira hat heute Morgen nach mir schicken lassen, weil sie sich an etwas erinnerte."

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Where stories live. Discover now