6- Am Leben. Noch.

2.3K 265 116
                                    

➴♚➶

(immer noch in der Vergangenheit- wir gehen bald zurück. Versprochen)

          Der Schein hielt nicht einen Monat.
Ich stand in einem Raum, dessen Einrichtung teurer war als die gesamte Schule, in der ich zuletzt gewohnt hatte. Mein Kleid war... sagen wir bauschig bis zum Rande des Unbequemen und die verschiedenen Schleier um meinen Kopf herum, machten die ohnehin stickige Luft noch atmungsresistenter.

Ich hatte noch nie in meinem Leben bauschige Kleider getragen. Lange, in mehreren Lagen drapierte Festtagskleider, sicher. Aber bauschig? Viel zu warm. 

„Es ist eine Tradition, die Braut mit Schmuck zu beladen", erklärte mir die breitschultrige Näherin, eine Nadel zwischen den Zähnen, „De wird sich darin spiegeln und Euch für Eure Schönheit loben."

In meinen Ohren klang das ziemlich selbstverliebt, aber ich biss mir auf die Zunge. Der Typ hatte drei Köpfe, zwei rechte Hände und kein einziges zueinander-passendes Körperteil. Wenn das seine Definition von Schönheit war, bitte.

Die Näherin bemerkte nichts von meinen Zweifeln. Unablässig scheuchte sie ihre Gehilfinnen um mich herum, auf der Suche nach Fehlern und Makeln. Sie hatte ein Auge für Details, die selbst einer Gottheit nicht auffallen würden, und die Statur einer alten Kriegerin aus den Urgeschichten. Aber sie sprach ruhevoll und geduldig mit mir und den Mädchen und meine Nerven hatten sich in ihrer Anwesenheit deutlich entspannt.

Dasselbe ließ sich nicht für ihre Gehilfinnen sagen.
„Ist es nicht wie im Märchen? Hast du jemals schonmal so schöne Steine gesehen", sprudelte eine von ihnen über, die Finger so flatterhaft schnell wie Schmetterlingsflügel. Während sie mir die Schleier abnahm vergaß sie bestimmt vier Haarklammern zu lösen und riss mir büschelweise Teile der Frisur aus. 

„Habt IHR schonmal so schöne Steine gesehen, Eure Majestät!", korrigierte die ältere Helferin und schlug ihr mit dem Maßband auf die Finger, ehe sie mir vorsichtig den Rest des Kopf-Konstrukts abnahm. Sie hatte das Gesicht eines wütenden Pferdes und benahm sich die meiste Zeit dementsprechend. „Noch eine Schicht Puder, gegen die Sommersprossen. Sie sind überall."

Ihre Versuche meine Komplexion ebenmäßig zu gestalten, endeten in einem Niesanfall von meiner Seite. Blödsinniger Aberglaube. Ich mochte meine Sommersprossen. Mein Vater hatte ebenfalls welche gehabt und er hatte damit bis zum Tage seines Ablebens jugendlich und spitzbübisch ausgesehen. 

Der Knall der aufgeschlagenen Tür jagte die Näherinnen um mich herum wie einen Horde Hennen auseinander und warnte uns alle zu knapp vor Constantins Eintreten. Er schlenderte in das Zimmer, als betrete er seinen Garten. „Du musst wieder gehen."

Ihm fehlten Krone oder standesgemäße Kleidung, aber das machte er durch das Ego von zehn geschworenen Königen des Primus wieder wett. Die Panik der Mädchen bemerkte er auf jeden Fall nicht. Entspannt lehnte er gegen die Fensterbank mir gegenüber. 
„Die Hochzeitsvorbereitungen gingen lange genug, um glaubwürdig zu sein. Du darfst gehen. Senator Dara Sarei wird die finanzielle Abfindung mit dir klären." 

Ich...was? Stattdessen starrte ich ihn an. Den König von Clevem, sechster Zirkel über dem Herrschaftsgebiet des Primus. Mein Verstand brauchte einen Moment, um aufzuholen.
Es war schwierig auszumachen, ob er scherzte oder tatsächlich im Ernst sprach. Ihm fehlte die Leichtigkeit der Schauspieler, die das Drama selbst auf der Bühne nicht ernst nehmen konnten. Sein Humor war bitterer. Zornig. 

Als ich nicht gleich reagierte, machte er eine scheuchende Bewegung mit der Hand.

Nur leider stand ich auf einem Podest und konnte mich nicht rühren. Nadeln überall im Kleid und das alles. Einen Monat hatte nichts an meinem Reflex geändert, in jeglicher adeligen Anwesenheit die Luft anzuhalten. Anscheinend umsonst. 

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt