Epilog

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          Absolutes Schweigen.
Constantin hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine Menschenmenge so still erlebt. Nicht, wenn er eine Rede schwang und ganz bestimmt nicht, wenn er Kopfschmerzen hatte.

Sie standen auf dem großen Marktplatz zwischen die Häuser und Stände gedrängt, wie eine riesige, frierende Masse. Schnee sammelte sich auf ihren hochgeschlagenen Kapuzen und Mützen, hüllte sie in einheitliches Weiß gegen das Dunkel ihrer Winterkleidung.
Es war eisig. Beißend kalt sogar. Und trotzdem waren sie alle gekommen und starrten zu den drei Gestalten auf dem Podest hoch, als hätten sie vergessen, wer von ihnen jetzt noch mal der König war.

Akemira war in ihrer schwarzen Kleidung schön wie ein Rachedämon. Gesandt, um ihn für den Rest seines Lebens zu quälen. Und das würde sie auch. Schon jetzt war ihre Anwesenheit kaum erträglich. Nicht, weil sie etwas getan hatte, sondern die Erinnerungen, die ihrer blassen, feinen Haut anheftete. Es war alles, was gegen die Leere in ihm ankam. Er befürchtete, dass er nichts anderes verdient hatte.

Er starrte auf die Leute hinab, bis sie doch unruhig wurden. Es war Zeit.

Constantin warf dem riesigen Galgen neben ihm einen Seitenblick zu. Er hatte seine Stabilität getestet. Gleich in den frühen Morgenstunden, als das Schreiben des Primus mit dem Todesurteil zurückgekommen war. Er hatte an ihm geruckelt, gezerrt und gegen den Stamm getreten. Schließlich hatte er aufgegeben. Das Konstrukt war stabil und er hatte keine Kraft mehr. Er würde heute seinen kleinen Bruder sterben sehen.

Als Constantin die Rede begann, sah er nicht zu seinem Volk herab, sondern zu den Stadtmauern. Er erzählte ihnen von Gerechtigkeit, die für jeden galt. Dass sich niemand aus ihr herauskaufen könne, auch nicht ein König. Aber in seinen Gedanken wünschte er sich so weit fort. Hinter die Mauern der Stadt und hinaus auf die ewig gewundene Straße, durch den Wald zu den Häfen nach Hamir. Man würde ihn nie freilassen. Er würde hier drinnen ersticken.
Er wiederholte, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte, ließ kein Detail aus, auch wenn seine Frau neben ihm getroffen zusammenzuckte. Er wusste bis jetzt nicht, ob sie in die Taten ihrer Mutter involviert gewesen war, ob sie etwas geahnt hatte. Es war ihm gleichgültig.

Er dachte nicht an Sebastian, seinen ältesten Freund. Er dachte nicht an Caridad, den er erst angefleht, dann angeschriene und zum Schluss ihm befohlen hatte abzuhauen. Irgendwie. Aber die Senatoren hatten die Wachen verstärkt und Constantins Taten mit Geieraugen kontrolliert. Sie würden nicht den Zorn des Primus riskieren. Gemeinsam stand der komplette Senat auf der gegenüberliegenden Tribüne und beobachteten ihn dabei, wie er seine Seele verlor.
Vielleicht war es gar nicht so schlecht, sie für eine Weile die Stadt regieren zu lassen. Er war zu müde. Er wollte alles nur noch hinter sich bringen.

Sie hatten ihm auch eine Rede geschrieben. Ein Loblied auf den Primus und eine Entschuldigung an das Volk, dass er so viel Chaos in sein Haus gebracht hatte. Er hängte sie einfach an seine eigene Rede dran, allein schon, weil es länger dauerte. Aber als ihm die Worte ausgingen- die Dinge, die man noch sagen konnte- und die Erschöpfung bis zu seinen Armen hochgewachsen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Volk stumm anzustarren.

Er machte das hier für sie. Für ihren Frieden. Und mehr als jemals zuvor wollte er diesen Ort in Schutt und Asche zurücklassen. Er wollte die Welt anzünden und unter Felsen begraben. Die Straßen fluten und seine eigene Insel in zwei reißen. Für Caridad. Und Dinah. Auch wenn sie es wahrscheinlich mal wieder nicht wertzuschätzen wusste.

Er hatte ihr Urteil gestern im kleinen Kreis verkündet, nachdem sie eine Woche zuvor in Hamir einige ihrer Habseligkeiten geholt hatten. Jetzt war er ernsthaft und ehrlich alleine.

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt