16. ~ „Ich habe keine Zeit innerlich zu sterben."

41 2 12
                                    

Billie Eilish - No Time To Die

Ich lasse mich auf der Bank nieder und schaue zum Kreuz hinauf.
Lange Zeit habe ich nicht an Vergebung, Hoffnung und die Liebe geglaubt.
Lange Zeit ist der Himmel über meinen Kopf zusammen gefallen.
Die Kapellentür hinter mir knarrt.
Ich verschränke die Finger vor mir zusammen und lasse den Kopf sacken, schließe die Augen.
„Ist hier noch frei?"
Ich schaue nicht auf, denn ich habe ihn an seinem verdammten Akzent erkannt. Ich erwidere nichts und reagiere auch nicht. Es raschelt neben mir und Nicholas, Kronprinz von Frankreich, nimmt neben mir Platz.
Ich atme tief durch und recke den Hals. „Was ist der Plan?", fragt er, während ich versuche ihn zu ignorieren.
„Ich meine, ich -"
„Was willst du hier?", zische ich, ohne den Kopf zu erheben.
Nicholas lacht leise, ich kann sein dämliches Gesicht praktisch vor mir sehen. „Ist das nicht offensichtlich?"
Ich öffne gereizt die Augen, umfasse die Stange vor mir und schaue den Mann neben mir an. „Ist es nicht ein wenig unangebracht mir das mitzuteilen, Nickyboy?", zische ich ihn an und kneife wütend die Augen zusammen. Nicholas denkt ein paar Sekunden darüber nach und seufzt dann. „Ich habe alles erdenkliche in meiner Macht getan, aber am Ende des Kampfes hat sie sich für Euch entschieden"
Ich höre den Schmerz in seiner Stimme heraus, die Verzweiflung und die Trauer.
„Ich habe sie geliebt", er räuspert sich und fährt dann schnell fort, bevor ich etwas erwidern kann. „Doch dann ich habe gesehen wie sehr sie Euch liebt. So hat sie mich nie angesehen"
Ich muss den Blick abwenden und schaue wieder auf zum Kreuz.
„Ich bin hier um Euch zu helfen, Travis. Ich könnte es mir niemals verzeihen Euch nicht geholfen zu haben"
Ich muss schlucken und recke erneut den Nacken.
„Sie war mir wichtig und ich kann mir nicht vorstellen wie es für Euch sein muss", er räuspert sich erneut. „Ich habe einiges wieder gut zu machen, nicht nur bei Ana, sondern auch bei meinem -", er verstummt, worauf ich ihn wieder anschaue.
„Bei deinem Bruder", beende ich seinen Satz. Er nickt kaum merklich.
Ich schnaufe, schließe die Augen und gestehe selbst meine größte Sünde. „Ich habe nicht mal um ihre Hand bei ihrem Vater angehalten. Wir machen wohl alle Fehler"
Wir schweigen.

„Wie lief der Prozess?", frage ich einen Hauch zu schroff, nach unseren Geständnissen, doch ich kann mir nicht weiter helfen, ich muss das Thema wechseln.
Nicholas lacht ein bitteres Lachen und stützt sich auf den Knien ab. „Ich stehe noch immer in Frankreichs Thronlinie, aber meine Eltern, sie -", er ringt mit sich. „Sie können mir nicht verzeihen"
Ich schweige, finde keine passenden Worte für seine Situation.
„Was man alles für eine Frau tut"
Als er kurz zu mir aufblickt, lacht er nervös. Ironischerweise muss ich einen Mundwinkel hinaufziehen und nicke ihm Schulterzuckend zu.
Ein paar Momente schweigen wir wieder, er zum Kreuz gebeugt und ich lehne mich dessen weg, doch starre es flehend an.
„Also, was ist Euer Plan?"
„Als Erstes will ich diesen Euer, Ihr, Hoheit Scheiß nicht mehr hören", ich verschränke die Arme vor der Brust.
Nicholas nickt stumm.
Ich betrachte ihn einen Moment, er ist das komplette Gegenteil von mir, doch am Ende des Krieges hat sie sich für mich entschieden, bis in alle Ewigkeiten.
Ich blinzle und blicke zu meinen Ehering hinab. Drehe und wende ihn an meinem Finger. Ihn zu berühren lässt mich an Hoffnung glauben.
„Ich werde heute Nacht losziehen, ich halte es keine Sekunde länger in diesem Schloss aus"
„Ihr könnt", Nicholas verstummt und korrigiert sich. „Du kannst auf mich zählen"
Ich nicke und erhebe mich, Nicholas tut es mir gleich. Ich schaue nochmal zum Kreuz und verdrehe genervt die Augen. „Nicholas?"
Dieses Kreuz, welches auch an Anabeth's Halskette ziert - mit der Hoffnung, Liebe und Vergebung in sich, lässt mich zu einem besseren Menschen werden.
Nicholas dreht sich zu mir um und schaut zu der Hand hinab, die ich ihm hinhalte. Er schaut mich verwirrt, misstrauisch aber auch erleichtert an.
Er schlägt ein und wir schließen Frieden, für Anabeth.

~

Ich schließe die Augen und spüre die Unruhe in mir. Es ist mir nicht möglich zu ruhen, zu schlafen, geschweige denn still zu sitzen.
Ich habe keine Zeit innerlich zu sterben, denn ich muss Anabeth finden.
Es klopft an der Tür, ich wende mich vom Fenster ab. „Herein"
Lord Cambridge kommt auf mich zu und verneigt sich. „Ihr habt nach mir rufen lassen?"
„Ja, ich brauche wen, der mir einen Brief schreibt. Ich kann nicht denken und gleichzeitig schreiben"
Cambridge nickt verständnisvoll, greift zu den Utensilien und setzt sich dann an den großen Tisch in meinem Arbeitszimmer.
Ich atme tief durch und schaue wieder aus dem Fenster, ins dunkle England.
„Henry", beginne ich und Cambridge schreibt.
„Es tut mir leid", ich ringe nach Luft und umfasse meinem Ehering. „Ich habe nie um Eure Erlaubnis gebeten", ich erinnere mich an das Gespräch mit Nicholas und schlucke schwer. „Ich habe bis jetzt nicht die Möglichkeit gehabt, aber ich werde alles erdenkliche dafür tun, um sie zurück zubekommen. Und wenn es das Letzte ist was ich tue", der Ring an meinen Finger fühlt sich mit einem Mal so schwer an. Ich schließe die Augen erneut. „Ihr habt mir das wertvollste auf dieser Welt geschenkt. Leben.
Sie ist mein Leben, aber das Leben ist nicht immer fair. Bevor sie wieder zu mir zurück kam, war ich so wütend, traurig und verloren.
Aber jetzt, sie macht mich zu einem besseren Menschen und dafür möchte ich auch Euch danken"
Es beginnt zu regnen, wie mein Herz das bitterlich weint. „Ich weiß nicht was nach heute passieren wird, aber ich habe vor Gott, vor ihr und vor Euch ein Versprechen gegeben, das ich einhalten werde"
Ich drehe mich zu Cambridge um, nicke und verschränke die Arme vor der Brust. Er schaut mich auffordernd an und reicht mir den Stift. Ich seufze, gehe auf ihn zu, unterschreibe den Brief, falte diesen und versiegle ihn mit Englands Wappen.
Erneut klopft wer an der Tür. „Ja?"
Melinda's Kopf ragt durch den Spalt, als sie mich sieht, lächelt sie und kommt auf mich zu.
Ich lege seufzend den Arm um meine Schwester, die zu mir hochschaut. „Bereit? Wir müssen uns fertig machen"
Ich presse die Lippen aufeinander und atme genervt aus. „Hm"
Meine flinke Schwester zieht mich aus meinem Arbeitszimmer, ich schaue Cambridge Hilfe suchend an, doch er nickt mir nur ermutigend zu und wedelt mir mit dem Brief zum Abschied zu.

KingdomWhere stories live. Discover now