18 | Nicht in Hollywood

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Im Flur stieß ich auf Lexie, die bereits auf dem Laminatboden saß und sich ihre Springerstiefel schnürte. Von ihren Arbeitsklamotten war nichts mehr zu sehen, stattdessen umgab der mit Edding bekritzelte Stoff einer Jeans ihre Beine. Das Teil war so zerrissen, dass es mehr ihrer Haut offenbarte als verbarg. Kein Plan, warum diese ganzen Menschen so auf kaputte Hosen abgingen, fand ich auch richtig unnötig. Nervte doch nur beim Anziehen, sah nach Guckt-mal-alle-wie-cool-ich-bin aus und ließ einen frieren.

Auch ich streifte mir meine Sneakers über. »Und wohin gehst du eigentlich?«, fragte Lexie mich, während sie sich auf die Füße brachte und sich nach der Garderobe streckte. Ich griff mir ebenfalls meine Jacke, dann traten wir gemeinsam in den Hausflur, der sich lange vor uns erstreckte.

»Kannst du mir mal erklären, warum unsere Alte so dumm ist und dem 'n Schlüssel gibt?«, meinte ich und schob meine Hände durch die Ärmel der schwarzen Jacke. »Warum die ernsthaft wieder was mit dem Wichser anfängt?«

»Sie hat doch sonst nichts. Zu Bettina hat sie kaum noch Kontakt und sonst ist sie immer nur auf Arbeit und viel allein. Irgendwie kann ich es schon verstehen und die zwei mögen sich ja echt.« Lexie zuckte mit den Schultern und zog sich das Zopfgummi aus den Haaren, ehe sie den Kopf hin- und herschüttelte, damit sich die blauvioletten Strähnen legten.

»Juckt sie halt nicht, was das für'n Typ ist. Dass der versucht hat, dich zu vergewaltigen.« Ich machte einen Schritt nach rechts, um einem umgekippten Einkaufswagen auszuweichen, der hier auf dem verschmutzten Boden herumlag.

Von der Seite her sah ich, wie Lexie ihre Zähne aufeinanderpresste. Für einen kurzen Moment erwiderte sie meinen Blick. »Jay, bitte. Lass das Thema jetzt einfach, ich will nicht, dass du mich ständig daran erinnerst.«

»Okay.« Ich öffnete die schwere Brandschutztür, deren Scheibe von oben bis unten verschmiert war, damit wir in Treppenhaus treten konnten.

»Danke.«

Wir schwiegen, während wir auf den Aufzug warteten, er endlich anhielt und wir uns zu einer alten Frau mit nervigem Köter hineinstellten. Sie drückte sich ein Handy ans Ohr und laberte pausenlos auf ihren Gesprächspartner ein, scheinbar ihr Sohn, der es versäumt hatte, mit dem Hund zum Friseur zu gehen. Friseur, Alter. Dachte sie, das hier wäre Hollywood und sie Paris Hilton oder eine andere dumme Fotze?

»Hau rein«, sagte ich zu Lexie, als wir kurze Zeit später auf der Straße standen, und griff über meine Schulter, um mir meine Kapuze über den Kopf zu ziehen. Ein paar kleine Schneeflocken wirbelten in der Luft umher, verfingen sich in unseren Klamotten und schmolzen auf dem Asphalt direkt wieder. Dann streckte ich ihr die Faust zum Einschlagen hin. »Lass dir nicht von'n Bullen aufs Maul hauen wie bei deinem komischen Kumpel da.«

Lexie lachte und stieß ihre Faust gegen meine. »Du dir auch nicht.«

Sie vergrub ihre Hände in den Taschen ihrer schwarzen Lederjacke und machte sich dann zu den Bahnschienen auf, während ich in die andere Richtung loslief. Über die langen Wege zwischen den Plattenbauten, während die Dunkelheit langsam von Berlin Besitz ergriff und hinter den Fenstern immer mehr bunte Lichter aufleuchteten. Rein in die U-Bahn, die hier in vielen Teilen oberirdisch fuhr. Durch die Stadt, in der die Schneeflocken die meisten Menschen nach drinnen trieb, sich aber nur umso mehr Autos über die Straßen kämpften.

Kirals Spielothek lag zwischen einem 24-Stunden-Fitnessstudio und einem Waschsalon verborgen. Durch einen breiten Durchgang zwischen den beiden Häusern gelangte man auf den Parkplatz, auf dem nur ein paar Autos und in einer ordentlichen Reihe vollgesprayte Mülltonnen standen. Mit zielgerichteten Schritten steuerte ich auf die Glastür mit dem Einschussloch zu und durchquerte dann den verrauchten Innenraum des Ladens.

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now