42 | Nichts als Verlierer

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Ich hatte in den letzten Wochen definitiv zu oft die gläserne Eingangstür mit dem zersplitterten Schussloch aufgedrückt. Hatte zu oft die Heizungsluft ins Gesicht geschlagen bekommen, war in den dunklen Raum getreten. Dieses Mal war mehr los als bei meinen letzten Besuchen.

Im Grunde hatte ich nie damit gerechnet, dass Kirals Spielothek auch ernsthaft Besucher anzog und einen tieferen Sinn hatte, als das versiffte Schloss eines größenwahnsinnigen Idioten darzustellen, aber gut. Heute saßen einige Menschen vor den Automaten, versackten dort und schmissen ihr Geld weg, um sich wenigstens für ein paar Sekunden wie Gewinner fühlen zu können.

Dabei waren sie nichts als Verlierer.

Mir blieb noch genug Zeit, diese Inbegriffe des Scheiterns zu inspizieren, denn wieder einmal hielt Sigge mich mit den Worten »Kiral ist beschäftigt« zurück. Genervt zündete ich mir eine Zigarette an. Für wen hielt dieser Typ sich eigentlich, dass er mich einfach so herbestellen und dann auch noch warten lassen konnte?

Missgeburt.

Ich ließ meinen Rauch langsam über meine Lippen entweichen, fühlte die Anspannung im Kieferknochen, während Sigge mit aufgestützten Händen, den Oberkörper ein wenig vorgebeugt das Lokal im Blick behielt. Während ich wartete, erwischte ich mich ein paar Mal dabei, wie meine Gedanken zu heute Morgen zurück wanderten. Daran, wie verfickt gut es sich angefühlt hatte, mit Fede herumzuknutschen.

Für so einen langweiligen Streber konnte er das viel zu gut.

Okay, Konzentration. Und bloß nicht dumm grinsen. Mir nichts anmerken lassen, dass ich gerade tatsächlich so etwas wie ... zufrieden war.

»Mach mal nochmal«, forderte mich Sigge da schon belustigt auf.

»Was'n?«, pampte ich ihn an.

»Bisschen freundlich gucken. Sowas.« Er lachte, ehe er sich in Richtung des dunklen Durchgangs drehte, in dem ich auch eben eine Bewegung vernahm. Ein Schatten, dann kam da ein Typ mit sportlicher Statur in unsere Richtung. Wahrscheinlich war er ein paar Jahre älter als ich, so genau konnte ich das nicht sagen, weil er sich den Stoff seines Pullovers vors Gesicht drückte.

»Na, wen haben wir denn da?«, grinste Sigge, während ich an meiner Kippe zog. Die Situation erst einmal auf mich wirken ließ.

Er nuschelte irgendetwas, das ich nicht verstehen konnte. Sigge wohl auch nicht, denn er sprach ihn mit den fordernden Worten »Wie wär's mit deutlicher reden?« an.

Der Typ ließ den Stoff seines Pullovers los und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Die rote Blutspur, die er dabei hinterließ, entging mir nicht. Er setzte noch einmal an, um seine Worte zu wiederholen, wieder unverständlich. Als hätte er eine große Ladung Wasser im Mund. Sowohl Sigge als ich beobachteten ihn dabei, wie er mit angewidertem Blick schluckte. Und nochmal. Ein wenig sah er aus, als würde er sich gleich übergeben müssen, doch irgendwie schaffte er es, sich zusammenzureißen.

»Halt deine großkotzige Fresse«, fuhr er Sigge dann an. Stapfte an mir vorbei in Richtung des Ausgangs, während er dabei den ausgelatschten, einst dunkelroten Teppichboden vollblutete. Die gläserne Tür knallte er so schwungvoll hinter sich zu, dass ich einen Moment lang glaubte, es würden sich gleich Scherben daraus ergießen. Doch nichts passierte.

Schade. Hätte ich schon lustig gefunden.

»Los. Rein mit dir«, trug mir Sigge auf und nickte in Richtung von Kirals Hinterzimmer. Wie immer trat ich ohne zu klopfen ein. Niemand brauchte irgendwelche dummen Höflichkeitsnormen, vor allem nicht bei Kriminellen, deren Schwanzgröße definitiv nicht mit ihrem Größenwahn mithalten konnte.

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt