27 | Ausbrennen

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Für einen Moment schwieg Fede. Dann halt nicht, ganz ehrlich.

»Wär's nicht am besten, wenn du erst mal pennen gehst?«, setzte er an. »Komm erst mal wieder runter von was auch immer du genommen hast und dann sieht die Welt anders aus. Dann will dich auch niemand mehr killen, da bin ich mir sicher.«

»Ey, okay, ich bin g'rade echt verzweifelt und du sags', dass ich einfach runterkommen soll? Is' das dein scheiß Ernst?« Meine Stimme zitterte und mit einem abrupten Ruck kehrte all die Panik zurück, die ich in den letzten Stunden so erfolgreich verdrängt hatte. Stillstand in meinem Herzen, als wäre es zu gelähmt, um je wieder einen Schlag zu tun.

Wieder kamen mir Tareks Worte in den Sinn, wie oft er mich vor Kiral gewarnt hatte. Die Junkieschlampe und ihre Drohung. Dieser Typ, der von Kirals Leuten aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen wurde.

Meine Hand begann zu zittern.

»Komm, Jay, beruhig dich«, sagte Fede eindringlich und zog mich am Jackenärmel neben sich auf den Treppenabsatz. »Wir überlegen uns jetzt zusammen was. Was genau ist denn passiert? Ich denke, es ist wahrscheinlich am besten, damit zur Polizei-«

Spöttisch lachte ich auf. »Hallo, Herr Kommissar, ich bin Dealer und verkauf' Drog'n und schlag' für Geld Mensch'n krankenhausreif, aber bitte helf'n Sie mal.« Ich wischte mir mit dem Pulliärmel durchs Gesicht, das auf einmal richtig verschwitzt war. Hatte ich Fieber? Mein ganzer verfickter Körper fühlte sich an, als würde er brennen.

Kurz begegnete ich Fedes Blick. Er spielte an dem Bändchen seiner Sweatjacke herum, die zusammengezogenen Augenbrauen ließen ihn nachdenklich wirken. Vielleicht glaubte er mir ja jetzt.

»Ich hatte 'ne verfickte Waffe in der Hand. 'ne Knarre. Ich hätte den Typen einfach umlegen müssen. Und ich kann das nicht, okay? Ich kann es nicht!« Am Ende hin wurde meine Stimme immer lauter, während ich mein Gesicht in der Ellenbogengrube verbarg.

»Ist doch gut, dass du es nicht kannst.«

»Nein!«, brüllte ich ihm entgegen und riss meinen Arm von meinem erhitzten Gesicht weg. Meine Lippen bebten. »Weißt du, du raffs' das Problem nich' ... das is' wie wenn du die ganze Zeit lernst und dann merkst du, dass du gar nichts verstanden hat. Mann, ey, ich hab' heute ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich jemanden erschieß, okay?«

»Aber du hast es nicht getan. Ernsthaft, das ist die Hauptsache«, versuchte Fede mich zu beruhigen und legte mir eine Hand auf den Rücken. »Komm her.« Er öffnete auch seinen anderen Arm ein wenig. Nickte mir einladend zu.

»Das bringt jetzt auch nich's, Alter«, murmelte ich und drückte ihn grob von mir, obwohl er so gut roch. So männlich irgendwie. Und doch konnte ich seine Nähe jetzt nicht gebrauchen. »Du bis' doch so scheiße intelligent, also sag mir jetzt mal, was ich tun soll, ey.«

»Ich überlege gerade«, sagte er und ein Blick zur Seite vergewisserte mir, dass er das tatsächlich tat. Nachdenklich hatte er die Augenbrauen zusammengekräuselt und kaute auf seiner Unterlippe herum.

In diesem Moment spürte ich ein hartnäckiges Vibrieren in der Hosentasche. Es dauerte eine bisschen, bis ich verstanden hatte, was das sollte, und noch ein wenig, bis ich dann mein Handy in den Fingern hielt. Tarek war dort zu lesen. Boah, wahrscheinlich dachte der Spast ernsthaft, dass ich noch eine Shisha mit ihm rauchen würde.

Als wäre ich dafür nicht viel zu besoffen.

»Geh mal ran«, murmelte ich und drückte Fede das Gerät zwischen die Finger. Doof nur, dass meine Bewegungen viel zu fahrig waren, als dass ich das Teil in der Hand halten konnte. Okay, obwohl, vielleicht lag es auch einfach an der Vibration. Ein leises Poltern war zu hören, meine Finger fühlten sich wieder leicht an. »Und sag dem, dass wir morgen ... äh ...« Ich suchte nach dem richtigen Wort, doch in meinem Gehirn war nur noch ein einziges Wirrwarr aus Buchstaben. Keine Ahnung, wer die Dinger erfunden hatte, aber man sollte sie besser abschaffen. Waren doch abartig hässlich.

So wie Fede.

»Telefonieren?«, schlug der gerade vor.

»Hä?« Verwirrt sah ich ihn an, schließlich machte das so absolut gar keinen Sinn. »Du bis' doch hier, dann müssen wir nicht telefonieren.«

Grinsend winkte er ab und griff nach meinem Handy, über dessen Display er wischte. »Ja, hallo ... hier ist Federico, 'n Kumpel von Jay ... ja, doch, der ist hier, nur ziemlich voll. Er meint, er möchte morgen mit dir telefonieren ... hm, ja, klar ...«

»Jay, Alter«, erklang auf einmal Tareks Stimme aus dem Lautsprecher, ein wenig verzerrt. Überrascht zuckte ich zusammen und quälte mich dazu, meine Augen zu öffnen. »Du wolltest doch vorbeikommen.«

»Mhm ... vergessen ... sorry.« Ich fuhr mir durchs Gesicht.

»Du wusstest, dass es wichtig war. Ich hab' dich gebraucht und man lässt seine Brüder nicht im Stich, das ist dir doch klar.«

Ich war vielleicht hackevoll, doch so besoffen, dass ich nicht raffte, wann Tarek wirklich abgefuckt war, konnte ich gar nicht sein. Das hörte man überdeutlich an seiner Stimme. Und ich wusste ganz genau, dass er sich nicht verarschen ließ. Hektisch suchte ich nach einer möglichen Antwort, doch fand nichts als Leere, die sich in meinem Gehirn ausgebreitet hatte.

»Hey, du. Red morgen mit ihm«, vernahm ich Fedes Stimme. »Dann kommt dabei auch ein bisschen was Konstruktiveres raus. Das ist für euch beide besser.«

»Sag Jay mal, dass er so intelligenten Freunde wie dich behalten soll. Dann baut der vielleicht auch mal weniger Scheiße.«

Fede lachte. Während er sich von Tarek verabschiedete, fielen meine Augen wieder zu. Es fühlte sich ein wenig wie Schweben an, wenn auch ziemlich unruhig.

»Ich will penn'n«, murmelte ich und zuckte zusammen, als ich mit meinem Kopf gegen was Hartes stieß.

»Komm, wir gehen hoch.« Fede streckte mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen.

Die nächsten Minuten fühlten sich wie eine verfickte Ewigkeit an. Die endlosen vielen Treppenstufen, die wir eine nach der anderen überwanden. Das kühle Metall des Geländers unter meinen Händen, als ich mich Schritt für Schritt hochzog. Schwanken. Manchmal Fedes warme Finger, wenn er mich stützte. Rein in die chaotische Wohnung, in der er mir noch einmal extra bedeutete, ruhig zu sein.

Was gar nicht so gut klappte, weil ich über einen verfickten Wäschekorb stolperte, ehe wir endlich in seinem Zimmer waren. Einfach schlafen. Ich konnte es kaum abwarten. Von der Seite war ein Grummeln zu hören und ein kurzer Blick zeigte mir, dass Leonardo sich in seinem Bett bewegte.

»Komm, leg dich hin«, sagte Fede sanft, aber bestimmt, und schob mich in die Richtung seines Bettes. Ich machte noch zwei Schritte, dann ließ ich mich der Länge nach darauf fallen. Fuck, war das weich. Richtig geil.

»Va tutto bene, torna a dormire«, hörte ich ihn sagen.

Im nächsten Augenblick spürte ich, wie er an mir herumzupfte. Um meinen Oberkörper herum wurde es kühler, meine Füße leichter. Dann, wie sich ein leichtes Gewicht auf mich legte und der kuschelige Stoff ein wenig zurechtgezogen wurde. Wärme breitete sich in meinem Körper aus. »Gute Nacht, Jay«, drang es wie aus weiter Ferne zu mir durch, während die Matratze unter mir hin und her schwankte wie ein Schiff bei hohem Seegang.

Früher, da hatten wir mit unserer Alten einmal Urlaub an der Ostsee gemacht. Auf so einem Campingplatz, auf dem man mehr nackte, zerknitterte Omas und Opas sehen konnte als einem Hosenscheißer guttaten. Auf jeden Fall gab's da auch Schiffe. Wir sind nie damit gefahren, zu teuer, aber so stellte ich es mir zumindest vor.

Hin und her. Ein bisschen haltlos, ohne festen Boden unter den Füßen.

Auf einmal fühlte ich mich verdammt allein. Weil da niemand war, mit dem ich hätte kuscheln können, schloss ich meine Arme enger um die Decke und drückte sie fest an mich. Ich hörte Leonardos Atmen und das von Fede, ein ungleichmäßiger Rhythmus. Mich wollte kein Schlaf überkommen, da waren nur die dunklen Umrisse des Zimmers, auf die ich vor mich hinstarrte.

Wahrscheinlich würde dieses Gefühl nie wieder verschwinden.



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Va tutto bene, torna a dormire – Es ist alles gut, schlaf weiter

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now