24 | Gehirnmatsch

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Ich konnte nicht. Es ging einfach nicht. Es waren nur ein paar Millimeter, die ich meinen Zeigefinger runterdrücken musste, zu mir ziehen, ein geringer Kraftaufwand und doch schaffte ich es nicht.

Stattdessen tat ich nichts. Lag da mit der gestreckten Waffe, während das Rauschen des Bluts in meinem Kopf und meine rasenden Gedanken das einzige waren, das ich noch wahrnehmen konnte. Schweißnasse Hände. Dann ein fester Schlag, ein dumpfer Schmerz auf meinem Hinterkopf. Ein Brennen in meinem Nacken.

Zeitlupe. Meine Wimpern flackerten, pure Panik. Ich musste endlich schießen. Jetzt. Jetzt sofort.

Ein heftiger Ruck und meine Finger wurden auf einmal leicht.

Ich musste schießen.

Jetzt.

Dann erst verstand ich, dass ich die Waffe längst nicht mehr in meiner Hand hielt. Sondern er sie mir weggerissen hatte. Ich guckte in ihren verdammten Lauf, das wurde mir klar, als ich es endlich schaffte, meinen Blick zu fokussieren.

»Du bist so ein Versager«, lachte Rotschopf und kriegte sich dabei gar nicht mehr ein. Ein immerwährendes Glucksen und ich hoffte inständig, er würde daran ersticken. »Dass Kiral 'n Faible für kleine, süße, unschuldige Gangsterboys hat, ist ja nichts Neues, aber ... Hochachtung, Kumpel. So viel Angst ist schon was Besonderes.«

Er holte aus und zog mir mit dem Lauf der Knarre eine über. Schwarz, funkelnde Sterne, verschwommene Umrisse. Das Lachen dieser Psycho-Ollen, wie sehr ich doch hoffte, dass die alle an ihrem Heroin verrecken würde. Sterne. Noch mehr Schmerzen, deren Ursprung ich mittlerweile nicht mehr so genau zuordnen konnte.

Vielleicht würde mein Kopf gleich einfach zerbersten.

Sogar das gequälte Stöhnen, das über meine Lippen entwich, tat weh.

Genugtuung in den glasigen Augen des Typen.

Ich hasste ihn. Ich hasste ihn so unendlich sehr. Dieser Kerl war ein verdammter Junkie, der konnte mir nicht einmal im Entferntesten das Wasser reichen und doch besaß er im Moment sämtliche Macht über mich. Mir das einzugestehen, tat weh.

Noch schlimmer nur der Gedanke, der mir im nächsten Moment in den Kopf schoss.

Was, wenn er gleich einfach abknallte? Neun Millimeter, die durch meine Schädeldecke preschten, Blut und Gehirnmatsch überall, wie in den Filmen, und das war's dann mit mir? Fuck, Mann, ich wollte noch nicht sterben. Das konnte ich erst, wenn ich auch den letzten Teil von Berlin unterworfen hatte. Dann war das angebracht. Aber keine Sekunde früher.

Und ein paar Weiber, mit denen ich gerne vögeln würde, gab's auch noch.

Ich durfte nicht zulassen, dass er Kontrolle über mich behielt.

»Ey, du«, hörte ich mich in diesem Moment sagen. Meine Stimme klang gepresst und ich schaffte es kaum, die Worte nach draußen zu bringen, so sehr drückte ich meine Zähne aufeinander. »Wer is'n jetzt der Versager und drückt nich' ab, hä?«

Alter. Das war ein denkbar dummer Moment, um meinen Respekt zu verteidigen.

Der war doch safe zu allem fähig.

Und doch tat er nichts. Sah nur mit einem fiesen Grinsen zu mir herab und presste die Waffe an meinen Mund. Kühles Metall auf meinen Lippen, die er zusammendrückte. Kälte, die wie Feuer brannte. Ekelhaft verschwitzte Finger auf meiner Haut, ein salziger Geschmack. Irgendein rationaler Teil in meinem Gehirn brüllte mir zu, dass dieser scheiß Wichser mich nur gerne leiden ließ und ich diese Chance nutzen musste.

Reagieren, solange ich noch konnte.

Nachdenken.

Ruhig bleiben.

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now