Prolog

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"So, neues Schuljahr; neues Glück, nicht wahr?", ertönte die viel zu hohe Stimme von Frau Park, die soeben das Zimmer betreten hatte. Oh, wie ich es vermisst hatte.. Nicht.
Die Sommerferien waren dieses Jahr so entspannt, dass es wirklich wieder ein totaler Krampf war, sich morgens aus dem Bett zu quälen und sich für den ersten Schultag zurecht zu machen. Mal ehrlich, warum zeigen die Lehrer nicht wenigstens am ersten Schultag etwas Gnade und lassen uns etwas länger schlafen?

"Warten wir mal noch bis alle da sind, dann gehts auch schon los.", meinte Frau Park, während sie ihren Papierkram auf dem Lehrerpult zurechtrückte.
"Weck mich auf, wenn der Unterricht losgeht.", murmelte ich zu Jimin, welcher seit einigen Minuten an seinem Smartphone zugange war. Daraufhin legte ich einfach meinen Kopf auf meine Arme, die ich auf dem Tisch ineinander verschränkt hatte und schloss meine Augen.
Ich sollte dringends meinen Schlafrhythmus unter Kontrolle bekommen, eigentlich hatte ich mir das in der letzten Ferienwoche vorgenommen, aber unglücklicherweise musste ich ja genau dann vier Nachtschichten am Stück schieben.
Ferienjobs waren ja etwas schönes, da konnte ich mich eigentlich nicht beklagen, aber Nachtschichten waren einfach von vorne bis hinten eine vollkommende Qual, wer hatte sich das ausgedacht? Die Nacht war doch zum schlafen da, am Tag hatte man doch genug Zeit zum arbeiten. Blöd nur, dass ich das Geld brauche, sonst hätte ich mir das mit Sicherheit nicht angetan.

Langsam merkte ich schon, wie mein Bewusstsein langsam nachließ und ich immer mehr in meine Traumwelt abdriftete. Ich nahm nur noch so am Rande wahr, wie sich das Klassenzimmer mit den ganzen Leuten füllte, bei denen ich ehrlich gesagt eigentlich froh war, sie ganze sechs Wochen nicht ertragen gehabt zu müssen.
Wenige Wortfetzen nahm ich noch wahr, sie gingen jedoch jedes Mal zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.
"Ah, schön dich wiederzusehen. Willkommen zurück!", hörte ich wieder Frau Park und fragte mich, wen sie denn in den sechs Wochen so sehr vermisst haben musste, dass derjenige eine extravagante Begrüßung von der sonst so mürrischen Dame erhielt. Ich verwarf meine Gedanken direkt wieder und widmete mich wieder meiner Mission, einzuschlafen. Die letzten fünf Minuten bis zum Unterrichtsbeginn lohnten sich vielleicht nicht mehr ganz so sehr, aber man solle jede Sekunde nutzen, nicht wahr?

"Ehm Guk.."
Jimin tippte mich an meinem Oberarm an und versuchte somit irgendwie meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich wollte in diesem Moment jedoch nichts lieber als die letzten Minuten mit einem kurzen Nickerchen zu verbringen, weshalb ich auf Jimins Worte und Gesten keine Reaktionen zeigte und stattdessen so tat, als würde ich bereits schlafen.

"Jeongguk, im ernst.. Wach auf."
Jimin fing schon an, an meinem Arm zu wackeln und er wusste genau, wie sehr ich das hasste. Seufzend richtete ich mich langsam auf und blinzelte meinen besten Freund aus müden Augen an. "Was denn?", fragte ich genervt, streckte meine Arme kurz durch und hoffte in dem Moment einfach nur, dass es etwas wichtiges war, weswegen er mich 'aufwecken' musste.
Jimin presste seine Lippen aufeinander und sah mich etwas besorgt, mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
"Hab ich was im Gesicht? Man Jimin, jetzt sag doch, was los ist!"
Er jedoch machte mit seinem Kopf eine Bewegung zur Seite, was mich dazu bringen sollte, nach vorne zu sehen.
"Was macht Taehyung hier, Guk?", sagte Jimin nun in einer leiseren unsicheren Stimmlage und es fühlte sich an, als wäre ich in dieser Sekunde schockgefroren.
Mein Kopf schnellte zur Tafel, wo ich allenernstes mitansehen durfte, wie sich Frau Park mit niemand geringerem als Taehyung unterhielt.
Taehyung.
Kim Taehyung.

Es fühlte sich an, als wäre soeben die Zeit stehen geblieben. Als wäre das Ganze zu surreal, um real zu sein. Er war doch weg! Warum war er wieder hier? Seit wann war er wieder hier?
Ich weiß nicht, wie lange ich hier gesessen haben musste und den mittlerweile schwarzhaarigen Taehyung einfach nur geschockt angestarrt hatte, doch es muss wohl Ewigkeiten gedauert haben, in denen ich einfach komplett ausschaltete. Als ich langsam wieder zu mir kam, sah ich wie Jimin vor meinen Augen mit seiner Hand herumwedelte.
"Erde an Jeongguk! Ist alles.. in Ordnung?", fragte er besorgt und legte seine Hand an mein Handgelenk.
Langsam nickte ich, löste den Blick nicht von der schwarzhaarigen Schönheit, welche sich nur wenige Meter vor mir befand. Seine Haare waren länger als damals, dunkler und die Spitzen wurden zu kleinen Locken, was den älteren wirklich göttlich aussehen ließ.
"Gehts dir gut?"
"Mir ging es nie besser.", erwiderte ich, was eher in ein verzweifeltes hauchen überging.
"Guk, willst du kurz raus? Du siehst aus, als würdest du gleich-"
"Alles in Ordnung!", meinte ich nun mit fester Stimme und drehte meinen Kopf mit einem Mal weg.
Er hatte mich angesehen!
Wir hatten kurz Blickkontakt!
Kurz wollte ich mich freuen, lächeln, weil er mir in die Augen gesehen hatte und mich entdeckt hatte. Doch nach nur wenigen Sekunden spürte ich in meinem Hals diesen unangenehmen Gefühl von Tränen aufsteigen, meine Sicht verschwamm und ich versuchte meinen Blick auf einen der Bäume draußen zu fokussieren, mich wieder zu fangen, um keine einzige Träne zu vergießen.
Sein Blick war so kalt.. voller Wut. Ihm stand quasi 'Ich bin enttäuscht von dir' auf der Stirn geschrieben.
In den zwei Jahren hatte sich nichts geändert, was hätte sich auch ändern sollen?
Ich hatte mir doch nicht allen ernstes Hoffnungen gemacht, das alles würde sich legen und alles könnte wieder wie früher werden.

Ich war doch so taff geworden, hatte mir meine Mauer aufgebaut, niemand konnte mir mehr etwas anhaben, jegliche negativen Dinge prallten an mir ab und ich schaffte es, selbstbewusst zu werden, Stärke zu zeigen, die ich vorher nie hervorbrachte.
Das Ganze hatte doch schon zwei Jahre gedauert, in denen ich hart daran gearbeitet hatte. Wie konnte es jetzt also sein, dass innerhalb von Sekunden all das einbrechen konnte, was sonst so stark zusammenhielt? Und das nur, weil er mich angesehen hatte. Mit einem Blick, erfüllt von Hass und Enttäuschung.

Er war schon immer bildhübsch, doch niemals hätte ich gedacht, dass er sich selbst noch einmal übertreffen könnte. Er sah so.. erwachsen aus, war so groß geworden, hatte an Muskeln dazugewonnen. Er war ein richtiger junger Mann geworden.
Als mir die Bilder von damals in den Sinn kamen und ich den damals so frechen, kleinen Taehyung mit dem heute verglich, konnte ich nur stutzen.
Was war in diesen zwei Jahren, in denen wir uns nicht gesehen hatten, nur passiert?

Ich spürte Jimins Hand an meinem Rücken, welche diesen auf und ab strich.
Ich fing mich langsam wieder, mein Blick wanderte erneut zu dem schwarzhaarigen Lockenkopf, welcher zwei Reihen vor mir saß, neben Yoongi und Namjoon. Er hatte scheinbar immer noch Kontakt zu den beiden. Sie konnten sich wirklich glücklich schätzen.

Warum war ich so traurig? Warum tat es so sehr weh, ihn wiederzusehen? Ich hatte doch das erreicht, was ich wollte. Ich hätte glücklich sein sollen, als er mich so kalt ansah, als er meine Blicke ignorierend auf seinen Stuhl zuging und sich darauf fallen ließ. Ich hätte glücklich sein sollen, ich hatte doch genau das erreicht, was die ganze Zeit mein Ziel war! Ich wollte, dass er mich hasst, dass er mich ignoriert und ja nicht auf die Idee kam, mich anzusprechen.
Ich hätte glücklich sein sollen!

Doch das konnte ich nicht.
Es heißt doch, Zeit heilt alle Wunden, aber wann war es denn an der Zeit?

Ich vermisste ihn so sehr, es tat schon weh.

Punkt Eins || taekookWhere stories live. Discover now