Das Jahr 2018

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Als ich unser Zimmer betrete, fällt mir sofort auf, dass etwas anders ist. Irritiert sehe ich mich um und stelle fest, dass sämtliche Dinge, die Alec gehören weg sind. Ich runzel die Stirn und öffne seinen Kleiderschrank. Leer. Auch sein Nachttisch ist ausgeräumt. Sein Bett ordentlich gemacht und seine Sporttasche ist ebenfalls nicht mehr vorhanden. Mir wird übel und ich ziehe mein Handy hervor und wähle seine Nummer. Er hatte schon immer die Nummer eins auf meiner Kurzwahltaste.

Eine automatische Ansage teilt mir mit, dass er sein Telefon ausgeschaltet hat und ich verfalle in Panik. Wo ist mein bester Freund? Wie betäubt lasse ich mich auf sein Bett fallen und versuche das Gefühl in mir einzuordnen. Dann fällt mein Blick auf einen Umschlag, der auf meinem Nachttisch liegt und ich springe auf. Mit zittrigen Händen reisse ich ihn auf und ziehe das gefaltete Blatt hervor. Ich erkenne sofort seine Handschrift und muss schlucken, als ich beginne zu lesen.

Lieber Magnus,

du wirst dich fragen, wo ich bin und warum ich ohne vorher mit dir zu reden gegangen bin. Was soll ich sagen. Mein Studium ist beendet und es wird Zeit weiter zu ziehen. Es gibt viele Dinge über die ich mir klar werden muss und das geht am besten, wenn ich alleine bin. Ohne dich. Du warst immer mein bester Freund und wirst es auch immer sein aber es wird Zeit, dass wir lernen, ohne einander zu leben. Für dich ist es besser.
Ich fühle mich schlecht, mich ohne ein persönliches Gespräch von dir zu verabschieden aber glaub mir, es ist besser so. Eines Tages werde ich vielleicht zurückkehren und ich hoffe, dann bist du noch da. Pass auf dich auf, Magnus und vergiss nie, wie wertvoll du bist. Niemand kann dir etwas anhaben. Ich liebe dich.
Alec

Fassungslos lese ich die Worte immer und immer wieder und ich heule dabei, wie ein Kleinkind. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen und ich kneife sie verzweifelt zusammen. Warum ist er gegangen? Worüber muss er sich klar werden? Wie soll ich ohne ihn leben? Gestern Abend war doch noch alles in Ordnung zwischen uns.

Wir haben an der Theke gesessen und Bier getrunken. Ich musste ihm fest versprechen, ihn nicht wieder verkuppeln zu wollen also habe ich mich an diesem Abend nur nach Männern umgesehen aber den wenigsten kann man es schon ansehen, dass sie auf das gleiche Geschlecht stehen und denen man es ansieht, sind aus meinem Beuteschema raus.

"Können wir nicht einfach nur hier sitzen und was trinken, ohne das du dich nach einem potentiellen Opfer umsieht, Magnus?" hat er mich plötzlich angemotzt und ich habe ihn erstaunt angesehen. "Schlechte Laune?" hab ich gefragt und er hat in sein Bier gestarrt. "Nein, tut mir leid. Ich möchte einfach nur einen schönen Abend mit dir verbringen." hat er gemurmelt und ich habe genickt. "Okay, du hast Recht. Heute Abend geht es nur um dich und mich. Hast du dir schon überlegt, wie es jetzt weiter geht nach dem Studium?" habe ich versucht einzulenken und er hat mit den Schultern gezuckt. "Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht. Mir wäre erstmal nach einem Jahr Auszeit. Reisen oder so."

Sofort bin ich darauf eingegangen. "Das klingt cool. Wohin wollen wir zuerst? Europa? Das wäre spannend. Italien, Spanien, Frankreich. Wir könnten uns alles ansehen und mit Jobs unser Leben finanzieren. Alexander, das klingt großartig." Er hat mich schief angelächelt. "England wäre mein erstes Ziel, denke ich." Sofort habe ich geschmollt. "Aber da regnet es immer." Dieses Mal hat er gelacht. "Seit wann gibst du was auf Vorurteile?" hat er gefragt und ich musste auch lachen. "Gute Frage. Okay, dann eben England." habe ich eingewilligt und er hat geschwiegen.

"Hey, ich will nicht stören aber kannst du mir vielleicht sagen, wann die Happy Hour beginnt?" wurden wir unterbrochen und als ich mich zur Seite gedreht habe, habe ich in unglaublich schöne, grüne Augen geblickt. Sofort war ich hin und weg, denn auch der Rest des Gesichts war zum niederknien. "In einer halben Stunde." habe ich geantwortet und mein Gegenüber hat mich strahlend angelächelt und mir die Hand hingehalten. "Ich bin Collin." Ich konnte ihn nur anstarren und habe dann seine Hand ergriffen. "Magnus."

Kurz darauf hat Alec sich verabschiedet aber wirklich registriert habe ich das nicht, denn ich war schon in einem intensiven Gespräch mit dem hübschen Collin vertieft. Ist er deswegen gegangen, weil ich mich trotz meinem Versprechen, dass es unser Abend ist, auf einen anderen Mann konzentriert habe? Er ist doch mein bester Freund und sollte sich eher darüber freuen, wenn ich jemanden kennen lerne. Ich verstehe das alles nicht. Wir wollten doch gemeinsam weggehen.

Andererseits bin ich sehr gespannt, wie es mit Collin weiter geht, der mir am Ende des Abends seine Nummer zugesteckt hat und mir einen sanften Kuss auf die Wange gedrückt hat. In meinem Bauch hat es gekribbelt und ich habe noch lange wach gelegen und Collin auf den üblichen Social Media Seiten gestalkt. Alec hat schon geschlafen, als ich gekommen bin, dabei hätte ich ihm so gerne erzählt, wie es weiter gegangen ist.

Jetzt ist er weg. Ohne mich und ohne mir zu sagen, wohin er geht. Ich nehme das Foto von meinem Computerbildschirm und streiche sanft darüber. Nie hätte ich gedacht, dass Alec und ich einmal getrennte Wege gehen würden und es tut mir im Herzen weh, wenn ich daran denke, ohne ihn sein zu müssen. Traurig blicke ich auf das Foto und wieder läuft mir eine Träne über mein Gesicht. "Wo bist du, Alexander?" murmel ich.

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