Kapitel 36

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Schlaftrunken trottete ich in die Küche und rieb mir mit meiner rechten Hand über die Augen.

»Du kannst wohl auch nicht schlafen.«

Vor Schreck blieb ich stehen und zog scharf die Luft ein, als ich eine Stimme in der Küche hörte. Es war nicht nur eine Stimme, es war seine. Die würde ich unter noch so vielen erkennen - da war ich mich sicher. In der Dunkelheit war Liam erst schwer auszumachen, doch wenig später stellte er sich unter das Küchenfenster. Die Straßenlaternen und der Mond spendeten gerade so genug Licht, als dass ich ihn und er mich erkennen konnte.

»Man, hast du mich erschreckt und nein, nicht wirklich«, antwortete ich kurz angebunden und bewegte mich herüber zu den höherliegenden Küchenschränken, holte ein Glas heraus und suchte anschließend im Kühlschrank nach kaltem Wasser.

»Hailey«, begann er. Seine Stimme klang so rau und tief, dass es mir dabei wohlig den Rücken hinunterlief. Diesen Effekt spürte ich immer, sobald er meinen Namen aussprach. Und er wusste, was er damit in mir auslöste. Ich blieb noch umgedreht, bis ich den Verschluss der Flasche, den ich in der Dunkelheit irgendwo auf der Küchenablage abgelegt hatte, mühselig wiederfand und die Glasflasche zuschraubte. In der Ecke, in der ich mich befand, war das Mondlicht etwas schwächer – und das kam mir auch gut, denn dann sah er nicht, wie zittrig ich das Glas Wasser in der Hand hielt und seinem Blick auswich.

Ich nahm einen großen Schluck und seufzte im nächsten Moment, als das kühle Nass mit meiner Kehle in Berührung kam. Und bereute es im Moment darauf aber auch sofort. Liam wich nämlich zurück vom Fenster und schlich langsam zu mir herüber. Ich konnte es mir nicht nehmen, jeden seiner einzelnen Bewegungen zu inspizieren und als er nur kurz vor mir zum Stehen kam, verschluckte ich mich beinahe an dem Wasser.

»Entspann dich.«

Also wirklich, das war ja wohl mit der ungünstigste Zeitpunkt, in dem man sich entspannen konnte, oder? Aber ich versuchte es trotzdem und atmete erst ein und dann aus. Dadurch spürte ich, dass ich mich langsam wieder beruhigte, aber ein Blick in seine Augen, in dieses tiefe Braun, reichte schon, damit ich wieder unruhig wurde und sich meine Hände zu Fäusten ballten. War es aus Wut? Oder doch aus Trauer? Ich wusste es nicht.

Als Liam meine Hand berührte, fuhr er erst sanft mit seinem Daumen über meine Finger, bis er sie schließlich umgriff. Er holte mich gedanklich für einen Moment zurück zu Tylers Party – einem seiner guten Schulfreunde -, denn da waren wir in einer ähnlichen Situation gewesen. Und als hätte er meine Gedanken lesen können, lehnte er sich gegen die Kühlschranktür und ich stand nur einen Schritt von ihm entfernt – dabei bedacht, dass er noch immer meine Hand nicht losließ.

»Sieh mich an.«

Meinen Blick hob ich leicht an, denn wenn ich – genauso wie in diesem Moment -, ihm so nah war, dann wusste ich nicht, was ich denken sollte. Das Einzige, was ich in diesem Moment wusste, war nur, dass ich mich in seinem Blick verlieren würde.

»Liam, du-du weißt-«

»Hailey, ich-ich hab wirklich ziemliche scheiße gebaut, es tut mir wirklich leid, aber ich muss es dir jetzt sagen. Der Schmerz meiner Vergangenheit tut zwar weh, aber dich so zu sehen...das tut mir noch so viel mehr weh. Und ich hätte nicht gedacht, dass es etwas gibt, was mich mental noch mehr zerstören könnte, bis ich in deine Augen sah.« Liam schluckte schwer, sein Blick war erst auf meine Augen gerichtet, doch als er seinen kleinen Monolog zu Ende brachte, starrte er auf unsere Hände.

Er atmete tief aus und ich tat es ihm gleich. Diesmal war ich diejenige, die ihn mitzog. Ich wollte mehr, als nur seine einzigartige Stimme hören, die bei Nacht mich nur noch mehr erfüllte, als sonst schon. Noahs Küchenablage war wie ein großes U, weshalb ich mich ganz an den Anfang, also in die Nähe des offenen Küchenfensters setzte, und der Mond mit seiner Schönheit auf uns herabstrahlte.

LAST SUMMERWhere stories live. Discover now