Taschenwärmer

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„Ich bin dann eine Runde laufen", meinte ich zu meiner Nana und gab ihr einen Kuss auf ihr weißes Haar. Wie immer saß sie in der Küche. Immer wieder fragte ich mich, wozu meine Großeltern ein Wohnzimmer hatten, wenn sie es doch kaum nutzten.

„Aber es ist dunkel? Und es liegt Schnee!" Sie legte ihr Buch zur Seite und sah mich besorgt an.

„Ach das macht mir nichts. Ich hab einfach Lust, mich ein bisschen zu bewegen."

„Pass aber auf dich auf."

Ich knuddelte meine Großmutter nochmal. „Mach dir keine Sorgen", meinte ich. „Dann bis später." Ich verließ das Haus und joggte meine übliche Runde. Dass es kalt und dunkel war, störte mich kein bisschen. Ich empfand es eher als angenehm. Der Winter war sowieso meine liebste Jahreszeit. Je dunkler und kälter, desto besser. Und Schnee. Ganz viel Schnee!

Ich musste unendlich tief in meinen Gedanken gewesen sein, als ich in eine Straße einbog, denn es stand plötzlich jemand vor mir und ich erschrak so sehr, dass ich auf dem Schnee ausrutschte und auf meinem Allerwertesten landete. „Uff..." Ich lag mitten in einem Schneehaufen. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis eine nasse Zunge mir über das Gesicht schlabberte. Allerdings sah ich nicht viel mehr als ein leuchtendes Halsband, welches durch die Dunkelheit schwebte.

„Sammy, lass deine Zunge bei dir!" Man hörte, dass er Typ sich das Lachen verkneifen musste. „Ist alles okay?"

„Ja... ich glaub schon..." Ich ergriff die Hand, die mir entgegen gestreckt wurde. Sie war ganz warm. Sanft zog mich die Person erst auf die Beine und dann ein paar Meter weiter, in den Schein einer Straßenlaterne. Er half mir den Schnee von meinen Klamotten zu klopfen.

„Vielleicht solltest du dir eine Stirnlampe besorgen." Nun entwich ihm doch ein Lachen. Das Lachen war wirklich schön...

Ich hob meinen Blick. Wahrscheinlich fiel mir nicht nur mein Herz in die Hose, sondern auch meine Augen aus dem Gesicht. Und meine Zunge hatte ich wohl auch verschluckt, denn ich bekam kein Wort mehr raus. Das konnte nur ein Traum sein.

Dieses Lächeln. Es wurde mir schon einmal geschenkt. Beim letzten Mal stand ich genauso bescheuert da und tat nicht mehr als heimlich zu versuchen dieses wunderhübsche Lächeln in meinen Erinnerungen einzufangen und so abzuspeichern, dass ich es niemals wieder vergessen würde. Der Haufen Puderschnee in meiner Brust wurde ein bisschen größer, während die Flocken nur so herumwirbelten und alles mit ihrer zuckersüßen Niedlichkeit verklebten.

„Ist dir kalt? Bist du eingefroren?" Er schob die leuchtende Hundeleine um sein Handgelenk und rieb mir über die Arme. „Vielleicht solltest du nach Hause und einen heißen Kakao trinken."

Mir wurde so unglaublich warm. Dort wo seine Hände meine Arme auf und ab fuhren. Es kribbelte und ohne es zu wollen, fing ich an ein wenig zu zittern.

„Oh warte... mach deine Griffeln auf!" Er wühlte in seiner Jackentasche herum und hielt ein kleines Päckchen hoch. Kurz fummelte er daran herum, ehe er es mir in die Hände legte. „Das wärmt zumindest deine Flossen." Er grinste mich an. „Okay, ich geh dann jetzt, verdummter Mr X. Also... Tüdelü!" Er hob nochmal seine Hand, ehe er mit seinem Hund weiterspazierte. Den schwarzen Sammy sah man allerdings nicht. Es schien, als würde der Typ mit einem Geist durch die Stadt spazieren.

In meinem Kopf hing nicht mehr nur sein Lächeln fest, sondern auch das Gefühl seiner Hände, die mich so sanft berührt hatten. Er hatte wirklich schöne Finger. Sie sollten nicht aufhören mich zu berühren. Ich wollte sie halten, sie küssen.

Ich wandte mich um und blickte ihm nach. Allerdings sah man nicht mehr als die leuchtende Hundeleine. Er hatte mit mir geredet. Seine Stimme. Sie war nicht außergewöhnlich. Diese Stimme hätte jedem gehören können. Doch es war seine. Und weil es die seine war, klang sie so lieblich in meinen Ohren. Wie Musik. Nein, noch besser. Ich hätte ewig seiner Stimme lauschen können.

Mein Blick fiel auf das Päckchen, das er mir überreicht hatte. Es wurde so angenehm warm und hatte die Form von Meister Yodas Kopf. Ein Taschenwärmer.

Eduards Taschenwärmer.

Losers [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt