Schnee im Sommer

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Die Schneeflocken rieselten vom Himmel. Unaufhörlich. Dabei war es so unglaublich warm. So warm, dass ich mir all meine Kleider vom Leib riss. Die kleinen weißen Wölkchen legten sich auf meine nackte Haut. Sie wollten mich zuschneiden, doch konnten sie nicht, weil sie schmolzen und als Tropfen an mir hinab liefen. Es kitzelte. Kribbelte. Auf meiner Haut. In meinen Inneren. Dieses aufregende Kribbeln und Kitzeln. Auch in meiner Brust wirbelten Schneeflocken herum und versuchten die Flammen in mir zu löschen. Vergeblich. Denn sie verklebten zu zuckersüßer Zuckerwatte. So weich und bauschig. Wie in Wolken gepackt. Sie verklebten alles in meinen Kopf und kitzelten dennoch ein wenig. In meinem Herzen. Meinem Bauch. Meiner Mitte. Sie waren überall. Die Schneeflocken. Der Schnee, der dem Sommer sonst nie begegnete.

Meine Finger gruben sich in seine weichen Haare. Erregte Laute glitten über meine Lippen. Seine Hände waren überall gleichzeitig. Seine Lippen. Mein Körper zitterte, wand sich unter dem seinen. Gänsehaut. Dabei war mir so schrecklich heiß.

Immer wieder hörte ich seine Stimme etwas sagen. Sie war so viel rauer und tiefer als sonst. Die Worte, die er sagte, gingen nur so an mir vorbei. Er hätte wohl alles zu mir sagen können und es hätte mich um den Verstand gebracht. Seine Nasenspitze streifte federleicht meinen Nacken, als er Küsse darauf verteilte. Seine Hände fuhren meine Arme hinab, zu den meinen, die sich ins Kissen krallten. Unsere Finger verknoteten sich. Es schmerzte ein wenig, wenn unsere Fingerknöchel aneinander rieben, weil ich mich erneut fester in den Stoff krallte. Aber es war so ein süßer Schmerz, dass ich nicht wollte, dass er aufhörte.

Die Luft im Raum war stickig. Es roch nach ihm und nach mir. Es war die perfekte Mischung aus uns. Verschmolzen zu einer Einheit. Wie unsere Herzen. Unsere Seelen. Unsere Körper. Zwei wurden eins und ich wollte nicht, dass sie sich wieder voneinander löste. Diese Verbindung zwischen uns. Der rote Faden. Er sollte uns enger aneinander fesseln. Niemals reißen.

Vielleicht würden sich meine Gefühle für diesen Jungen irgendwann in eine andere Richtung entwickeln. Aber nichts daran würde etwas daran ändern, dass Eduard meine erste große Liebe war. Und solang ich ihn eben so sehr liebte, wollte ich nicht daran denken, dass diese Gefühle irgendwann weg sein könnten. Ich wollte jede Sekunde mit ihm genießen. Ich wollte mit ihm reden. Mit ihm lachen. Ihn ansehen. Seine Hand halten. Auf seinen Schoß sitzen. In seinen Armen liegen. Ihn küssen. Ihn berühren und von ihm berührt werden. Ich wollte das alles mit ihm. Und ich wollte es bis in die Unendlichkeit genießen. Es mir von niemandem mehr mies reden lassen. Denn ich war mir meiner Gefühle bewusst. Mir war egal, was andere über meine Beziehung dachten, über meinen Freund, über mich. Ich fühlte mich mit Eduard wohl wie mit sonst keinem. Unsere Gefühle waren echt. Wir waren echt. Wir waren wir.

Ich war ich. Ich hatte lernen müssen, dass Menschen sich verändern können und nicht die selben waren, die sie als Kinder waren. Jeder entwickelte sich in eine andere Richtung. Das war auch gut so. Aber man musste eben auch verstehen, dass Freunde von damals manchmal keine Freunde für immer sein würden. Manche Freundschaften endeten eben irgendwann, während andere tatsächlich für immer halten werden.

Menschen veränderten sich ihr ganzes Leben lang. Menschen kamen und gingen. Immer wieder würde ein Punkt kommen, wo man sich fragen musste, was man wollte. Wer man war und wer man sein wollte. Es war hart, etwas hinter sich zu lassen, was mein ganzes Leben normal war. Aber es war okay. Denn das, was darauf folgte, machte mich glücklich. Das war alles was zählte.

Für den Moment hatte ich gefunden, wer ich sein wollte. Wer ich war. Was ich wollte und mochte. Wen ich mochte. Und ich liebte, wen ich mochte, wen ich liebte. Ich liebte, dass ich liebte. Ich liebte, geliebt zu werden. Von meinen Freunden. Meiner Familie.

Von Eduard. Von meiner Sonne im Winter. Von dem Menschen, der es im Sommer schneien ließ, weil er wusste, wie sehr ich den Schnee liebte.

Losers [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt