Wieder liege ich ihm zu Füßen

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„Ben, kannst du mir helfen?" Lily deutete auf ihre Schlittschuhe. Die meisten Kinder, die hier geboren wurden, standen wohl auf den Kufen, noch bevor sie richtig laufen konnten.

Ich hockte mich vor meine kleine Schwester in den Schnee und schnürte ihre Senkel fest. „Ist es so okay? Oder drückt es irgendwo?"

„Ist gut so." Die Fünfjährige streckte ihre Arme nach mir aus, weshalb ich ihr auf die Füße half.

„Wuhu! Das wurde aber auch Zeit, dass sie den See endlich freigeben!", rief Dexter. „Na kommt schon, ihr lahmen Enten!"

Ich nahm Lilys Hand in meine und ging mit ihr zu meinem besten Freund. Ich stand zwar so gut wie jeden Tag auf dem Eis in der Halle, doch war es mehr als cool, wenn der See endlich zugefroren war und sich fast alle Leute der Kleinstadt dort trafen, um einfach Spaß zu haben. Schon als ich ganz klein war, war ich mit meiner Familie jedes Jahr auf dem See gewesen. Es war Tradition und ich liebte sie.

„Die ranzigen Dinger hast du noch?", fragte Dex lachend und deutete auf die Schlittschuhe an meinen Füßen. Es waren die alten Schuhe, die ich jeden Winter zum See schleppte. Jedes Jahr nahm ich mir vor, sie im Frühling wegzuwerfen. Tja und jedes Jahr brachte ich es nicht übers Herz, mich von ihnen zu trennen. Mein Opa hatte sie mir geschenkt. Damals waren sie mir noch drei Meilen zu groß.

„Mit den Guten muss ich Eishockey spielen", argumentierte ich. „Außerdem sehen deine nicht besser aus!" Ich schubste ihn leicht, woraufhin er das Gleichgewicht verlor und auf dem Hintern landete.

„Hey!" Er lachte und rappelte sich umständlich auf.

„Ich will fangen spielen!" Meine Schwester warf ihre Ärmchen in die Luft. Ich konnte dem kleinen Engel keinen Wunsch ausschlagen. Lily war mein ein und alles. Als ich sie das erste Mal auf den Armen gehalten hatte, war ich gerade zwölf oder so. Sie war so unglaublich winzig und knautschig gewesen. Ich hatte geheult wie ein Schlosshund. Für sie würde ich mein Leben lassen.

„Okay, du fängst aber als erste!", entschied mein Kumpel und flüchtete vor ihr.

Wir drei jagten uns gegenseitig über das gefrorene Gewässer. Natürlich ließ ich mich jedes Mal absichtlich von meiner Schwester fangen. Mit ihren kurzen Stelzen war sie nicht ansatzweise so schnell auf den Schlittschuhen wie ich. Dexter hingegen machte ich es nicht so leicht. Er verfolgte mich vergeblich durch die Menschengrüppchen.

„Ja, wo bleibst du denn?" Ich drehte mich zu ihm um und lief rückwärts weiter, nur um zu sehen, dass er völlig aus der Puste war.

„Vorsicht, Benny!"

Verwirrt warf ich meiner Schwester einen Blick zu, doch da war es schon zu spät. Ich schlitterte direkt in ein paar andere Jugendliche hinein. Erschrocken hielt ich mich an einer flauschigen Jacke fest. Nur brachte das gar nichts, denn die Person verlor ebenfalls das Gleichgewicht und stürzte mit mir aufs Eis.

„Sorry..." Ich schob mir meine Mütze aus dem Gesicht, sah direkt in seine Kulleraugen. Es war schwer zu sagen, welche Farbe seine Augen hatten. War es grau? Blau? Oder doch eher grün? Mein Herz hämmerte so heftig gegen meinen Brustkorb, dass ich Angst hatte, es würde mir die Rippen brechen. Das war schon das zweite Mal, dass ich vor ihm am Boden lag. Diesmal allerdings lag er mit mir dort unten. Auf mir, um genau zu sein. Er stützte sich links und rechts neben meinem Kopf ab. An diesen Anblick wollte ich mich so sehr gewöhnen.

„Bist du immer so stürmisch, Mr X?" Er verzog seine Lippen zu einem Grinsen. Wäre ich mutig, hätte ich ihn am liebsten zu mir runter gezogen und geküsst. Einfach so. Aber ich war nicht mutig. Ich bekam wieder einmal kein Wort heraus. Auch, als Eduard sich erhoben hatte, blieb ich einfach stumm auf dem Rücken liegen. Was waren die Anzeichen eines Herzinfarktes? Denn wahrscheinlich erlitt ich einen. Wie atmete man noch gleich? Ich hörte instinktiv auf damit und schloss einen kleinen Moment lang meine Augen. Hilfe...!

„Na für einen Eisbären war das aber sehr unelegant!" Ein Freund von meinem Schwarm, hielt mir seine Hand hin. Seine grünen Haare guckten unter der Mütze hervor und er hatte schlimme Akne. Ich hatte ihn schon öfter bei Eduard sitzen sehen.

Ich stieß die angehaltene Luft aus meiner Lunge und sah zu meinem besten Freund, der sich über mich beugte. „Komm, hoch mit dir." Dexter packte mich unter den Achseln und pflückte mich kurzerhand vom Boden auf, sodass ich gar keine Gelegenheit bekam, die Hilfe des anderen anzunehmen. „Bau dir ne Rückfahrkamera ein, Bennyboy. Alles okay?"

Ich nickte nur und warf nochmal einen Blick über meine Schulter. Eduard und seine Freunde hatten sich allerdings längst schon wieder abgewandt.

„Dass diese Nerds überhaupt ihre Zimmer verlassen." Dex lachte und schob mich zurück zu meiner Schwester.

Losers [boyxboy]Where stories live. Discover now