Verdrängen

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„Wie findest du meine Haare, Luis?" Goldie präsentierte sich mir selbstbewusst in der Pausenhalle. Sie hatte schon länger darüber geredet, dass sie ihre Frisur verändern wollte. Also hatte sie es einfach getan und trug statt langen Locken einen radikalen Untercut. Ihr Haar kringelte sich nur noch wilder auf ihren Kopf.

„Ich fand sie lang schöner", gab ich ehrlich zu. Sie war kein Mädchen, das eingeschnappt abdampfen würde. Also sagte ich ihr, was ich dachte.

„Echt?" Sie fuhr sich durch die Löckchen.

„Echt. Aber vielleicht muss ich mich auch nur daran gewöhnen." Ich zuckte mit den Schultern.

Sie lehnte sich neben mich an die Wand. „Wie gut, dass mir egal ist, ob anderen meine Frisur gefällt", meinte sie grinsend zu mir. Ich beneidete sie dafür. Dieses Selbstbewusstsein. Selbstliebe. Sie schien mit sich selbst vollkommen im Reinen zu sein. „Apropos... wie läuft es mit...?"

Ich wedelte mit meiner Hand vor ihrem Gesicht, damit sie nicht weiter redete. Schließlich wuselten sämtliche Schüler um uns herum, die definitiv nicht von meiner Beziehung mit Eduard wissen mussten.

„Also gibt es immer noch diese unausgesprochene Regel, sich in der Schule zu ignorieren", seufzte sie. Ich folgte ihrem Blick zu dem blauen Punkt am anderen Ende des Raumes. Simon hatte seine Haare diesmal blau gefärbt. Das rosa fand ich besser. Eduard hockte neben ihm und fütterte ihn mit Brownies, weil er ein Talent dafür hatte mit Schokofingern die Manga seines besten Freundes einzusauen. „Das könntest du sein", meinte Lucia, als sie meinen Blick bemerkte.

„Hm?"

„Du könntest dort sitzen und seine selbst gebackenen Köstlichkeiten futtern."

Ich wandte den Blick von meinem Freund und dem Blauhaarigen ab. Leicht schüttelte ich den Kopf.

„Wieso nicht?"

„Du weißt, warum." Ich betrachtete den Steinboden zu meinen Füßen.

„Und ich finde es total bescheuert. Ist doch egal, was die anderen denken."

„Du verstehst das nicht. Du kannst machen, was du willst, und du wirst trotzdem von allen gemocht. Von dir erwartet man, dass dir Meinung der anderen egal ist." Meine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.

„Du wirst doch auch gemocht? Du bist einer der beliebtesten Typen hier." Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja, genau das ist der Punkt. Alle erwarten von mir, dass ich dieser beliebte Typ bin. Der coole Dude, der beim Sportfest immer angefeuert wird. Und eben dieser Junge geht nicht mit so jemandem aus..." Ich lehnte meinen Kopf an die Wand und schielte zu Eduard hinüber. Nein, das erwartete wohl niemand. Sie würden es nicht akzeptieren. Es passte nicht in ihr Weltbild. Der coole Sportler, der den dicken Loser küsste. Dabei liebte ich diesen Gedanken so sehr...

„Mit so jemandem... tzz." Goldie schüttelte den Kopf. „Du weißt schon, über wen du hier redest?"

Ich zuckte mit den Schultern.

„Habt ihr mal darüber redet?"

Ein Kopfschütteln meinerseits. Wenn ich mit Eddie allein war, war alles perfekt. Ich wollte jeden Augenblick genießen und es nicht mit diesem Thema versauen. Und in der Schule existierten wir eben nicht. So einfach war das.

„Hast du eine Ahnung, wie sehr du ihm damit wehtust?" Nun hatte auch sie die Stimme gesenkt und sah mich ernst an.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Diesen Gedanken hatte ich immer verdrängt. Es wäre okay, hatte ich mir eingeredet. Er würde das verstehen.

„Er hat Gefühle, Bennet. Natürlich macht es ihn traurig, wenn du dabei zusiehst, wie deine Freunde ihn fertig machen. Du musst ja nicht allen sagen, dass ihr zusammen seid oder sonst irgendwas. Einfach nur ein Wort an die Jungs, dass sie ihn in Ruhe lassen sollen. Das könntest du auch für einen Fremden tun." Sie legte ihre Hand an meinen Oberarm. „Du magst ihn doch, also sollte dir doch etwas daran liegen, dass es ihm gut geht?"

Ich zog die Schultern hoch. Dieses beklemmende Gefühl machte sich in mir breit. Das tat es immer wieder nach diesem Gespräch. Immer, wenn mein Freund mir in der Schule ein Lächeln schenken wollte und ich einfach wegsah. Immer, wenn sie schlecht über ihn redeten. Immer, wenn sie Seiten aus seinen Büchern rissen und ihn herumschubsten. Immer, wenn Simon sich statt meiner schützend vor ihn stellte.

Ich mochte diesen Gefühl nicht. Also versuchte ich es so gut es ging zu verdrängen und zu ersticken in einer Kiste ohne Sauerstoff.

Losers [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt