Tollpatschig

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Lucy P.o.V

Die Entfernung zwischen mir und dem Ziel verringerte sich stetig. Ich keuchte nur so vor mich hin, aber ich kratzte den letzten Rest Kraft zusammen, den ich noch hatte. Ich ging zum Endspurt über, doch auf einmal hörte ich hinter mir ein Knacken. Der Verursacher konnte nicht weit entfernt sein, vielleicht fünf Meter hinter mir. Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter und erkannte Minho. Kleine Äste und abgerissene Blätter hingen ihm im Haar, also musste er sich schlichtweg durch den Wald gekämpft haben. "Egal, ich sollte mich auf das konzentrieren, was vor mir liegt.", dachte ich.

Nun fokussierte ich mich vollkommen auf den Weg vor mir. Trotzdem konnte ich es nicht lassen, einige Male hinter mich zu schauen. Mit Genugtuung bemerkte ich, dass mein Wiedersacher sich immer weiter von mir entfernte. Jetzt waren es maximal noch 20 Meter, bis zur Ziellinie. Auf einmal strauchelte ich und fiel fast um. Schmerz schoss mein Bein hoch, doch ich blieb nicht stehen. Vielleicht war ich über eine Wurzel gestolpert oder ausgerutscht. Ich wusste nicht, wie ich das schaffte, doch ich legte noch einen Zahn zu. Meine Füße berührten den Boden fast nicht mehr, als ich immer mehr Geschwindigkeit aufnahm.

Der Ast traf mich aus dem Nichts. Ich könnte schwören, dass er davor noch nicht da war. Mit dröhnendem Kopf ging ich zu Boden und blieb liegen. Plötzlich schien alles um mich herum aus Watte zu bestehen. Die Stimmen der anderen drangen nur gedämpft und undeutlich zu mir durch und der Boden fühlte sich unendlich weich an, wie mein Bett auf Chaotien. Wann hatte ich überhaupt das letzte Mal an Chaotien gedacht? An Percy, die Armee und die Republik? Jetzt, wo ich meine Gefühle wiederhatte, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ich die Lichtung verlassen musste. Mit diesem deprimierenden Gedanken gab ich nach und fiel in die tiefe, kuschelige Leere.

Ich wachte an einem Ort auf, den ich nie zuvor gesehen hatte. Die Schmerzen waren wie weggeblasen, die in meinem Fuß sowie die in meinem Kopf. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich scheinbar alleine war. Naja, das dachte ich jedenfalls. "Hallo Lucy.", sagte eine weibliche Stimme neben mir. Vor Schreck machte ich einen Satz zur Seite. "Wer bist du?", fragte ich atemlos. Die Frau war nur ein paar Jahre älter als ich, hatte lange, lockige Haare und trug eine Rüstung. "Ich bin Aurora."
"Das wars? Keine Erklärung oder so? Wo sind wir hier überhaupt?" Aurora lächelte mitfühlend. "Wir sind hier in deinem Kopf, und ich bin hier, um dich zu warnen.", erklärte sie ruhig. "Wow, ich hätte nicht gedacht, dass in meinem Kopf so viel Platz ist.", meinte ich mit einem Blick auf die vollkommen leere Halle.

"Wovor willst du mich warnen? Von deinem Bruder und dem bevorstehenden Krieg weiß ich schon."
Aurora presste ihre schmalen Lippen zusammen. "Kannst du dich an die Griever erinnern, die du in deinem ersten Monat umgebracht hast?" Still nickte ich. "Sie werden sich rächen. Du hast die Hälfte von ihnen umgebracht, jetzt haben sie sich regeneriert und wollen eine Revanche." Sie sagte es auf eine Art und Weise kalt. Dieser Fakt und die Tatsache, dass viele von uns sterben könnten, ließ mich erbleichen. "Was kann ich tun?", fragte ich mit zittriger Stimme. "Du musst mir die Kontrolle übergeben, sobald die Zeit reif ist." Ich wusste was das bedeutete. Ich könnte versehentlich die komplette Lichtung verwüsten und Leben nehmen. Andererseits konnte ich auch welche retten. "Nur wenn ich noch etwas mitzureden habe. Die ganze Kontrolle kann ich dir nicht geben."

Lucy Jackson- The Girl with Memories Where stories live. Discover now