Kapitel 4

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Ein heißer Wind weckte ihn und wie jedes Mal begrüßte ihn der hellblaue Himmel, er wurde ruhig. Dieser Anblick war wie ein Ritual, denn er entspannte sich, betrachtete diesen. Vielleicht ist das der einzige Frieden, den wir hier bekommen. Langsam bewegte er sich und setzte sich auf, um sich an seinen Felsen zu lehnen.

Die Bilder des gestrigen Tages liefen durch seinen Kopf, zudem meldete sich sein Magen, dass er Hunger hatte. Das Halsband sorgte zwar dafür, dass ihre Wunden heilten und sie nicht viel Nahrung brauchten, doch ohne ging es trotzdem nicht. Was er herausgefunden hatte, war, dass die Halsbänder noch eine weitere Funktion hatte - sie fungierten als eine Art Sender. Sie übermittelten, wenn ein Gefangener geheilt war oder Nahrung brauchte, denn es konnte kein Zufall sein, dass die Wärter immer in diesem Moment auftauchten, um diesen abzuholen oder Essen zu bringen.

„Andrew?", fragte er nach rechts.

Der Mann lag auf der Seite, auf seinem Rücken neue Wunden. Also war Iken dran. Doch aus irgendeinem Grund schienen die Wunden im Vergleich zu vorher etwas humaner zu sein. Einbildung? „Ja, Aaron?", fragte sein Nachbar.

„Glaubst du die Dämonen hassen uns oder machen das, weil sie Spaß daran haben?" Es klang seltsam, doch er war nun schon seit über drei, fast vier Wochen hier. Zwar hatten die Wärter ihn um einiges mehr drangsaliert, doch es sah nicht so aus, als würden sie sadistische Freuden daraus ziehen. Mehr, als müssten sie es tun und Aaron machte ihnen einen Strich durch den Rechnung. Wie ein Stein, den man spalten soll, dieser aber zu hart war, also fuhr man stärkere Geschütze auf. Doch warum sollen sie einen Gefangenen brechen?

Andrew war überrascht über die Frage. Der Junge sollte die Dämonen doch hassen, nach dem, was sie ihm angetan hatten, doch er schien im Moment keinen tiefen Groll zu hegen. Also antwortete er: „Ich denke nicht, zumindest nicht alle. Ich denke tatsächlich, dass es einfach ihr Job ist und sie ihn gut ausführen wollen. Wir wissen nicht viel über diesen Ort, sehen nur das in unserer direkten Umgebung. Ich habe Gerüchte gehört, dass dies nur ein kleiner Teil der Hölle ist, der Rest vollkommen anders sei."

Diese Gedanken hatte Aaron auch schon gehabt. Wie sollte ein System wie dieses funktionieren? Eine Hölle, in der Dämonen nur Seelen bestraften, war einfach nicht lebensfähig. Sie mussten wie jedes Lebewesen Energie aufnehmen, sehr wahrscheinlich essen - und das Essen, das die Gefangenen erhielten, musste ja auch irgendwo herkommen. Es musste Bauern geben, die dieses anpflanzten und ernteten, Schneider, die Kleidung herstellten, Bergarbeiter, die Rohstoffe abbauten. Im Endeffekt musste es auch hier ein System und eine Gesellschaft geben, doch diese war für die Seelen hier nicht zugänglich. Wir sind sehr wahrscheinlich nur ein kleiner Bereich, ein Gefängnis, in dem die Dämonen arbeiten, so wie die Menschen in der Menschenwelt.

Der ältere Mann war fasziniert von Aaron. Er muss unglaublich intelligent sein. Er hatte bisher noch mit niemanden gesprochen, der nicht in Verzweiflung, Angst und Hass vor sich hinsiechte. Er war auch ebenfalls jahrelang in diesem Zustand gewesen, doch ein Satz hatte das geändert. Nach einer Bestrafung vor etwa einem halben Jahr hatte Iken gesagt: „Bald hast du es geschafft." Es war nicht bösartig gemeint, mehr wie eine Aufmunterung, als wolle er ihm Hoffnung geben. Daraufhin hatte er sich Gedanken gemacht.

„Aaron, ich denke dasselbe. Sie machen einfach ihre Arbeit, denn jemand muss sie tun. Ich habe akzeptiert, dass ich für meine Vergehen büßen muss, habe es angenommen." Dieser Satz ging tiefer, als er dachte. „Das hast du von Beginn schon, nicht wahr?", fügte er hinzu.

Zum ersten Mal schaute Aaron überrascht zu dem Älteren. „Andrew. Du hast mir erzählt, weshalb du hier bist. Zwanzig Jahre für ein Leben, das ist mehr als fair, denn ein Leben ist kostbar. Ich habe niemals angezweifelt, dass ich hier hergehöre. Ich werde hier meine Zeit absitzen und Buße tun, für das, was ich getan habe. Doch das heißt nicht, dass ich meinen Willen abgebe, denn das war bisher das Einzige, was mir gehört hat. Ich bin nicht bereit, das aufzugeben."

Cypher - ein schicksalhafter Blick (BAND 4) ✅️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt