Kapitel 26

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Nachdenklich ging Aaron nach Hause. Nach und nach ergründete er diese neue Welt. Er hatte immer wieder Gespräche mit Cypher, Josei und den anderen. Nun erforschte er mit Lucifer sein Wesen. Viele Details stürmten auf ihn ein und manchmal hatte er das Gefühl, dass er Abstand brauchte. Wäre es anders, wenn ich wüsste, wer ich war? Diesen Gedanken hatte er öfter. Zweifel. Er hatte nicht das Wissen über die Menschenwelt verloren. Im Gegenteil, er hatte das Gefühl, dass genau das Stück für Stück zurückkehrte.

Gestern hatte er einen Traum gehabt. Er war in einem Wald gewesen, Dunkelheit um ihn herum. Die Sterne hatten hell geleuchtet. „Просыпайся", flüsterte er und hielt inne. Was? Was hatte er gerade gesagt?

Seine Beine trugen ihn in den Garten und die frische Luft half. Sie half gegen die Enge in seiner Brust. Langsam schritt er zu einem Baum, vor dem etwas Gras wuchs. Er lehnte sich an diesen. Dann schloss Aaron die Augen und lauschte der Natur. Die Geräusche beruhigten ihn. Er war allein. Niemand war hier, nur der Wind, das Rascheln der Blätter.

Seine Hand kribbelte und er hob sie an, drehte sie hin und her. Die Magie war dort eingetreten, er hatte es gespürt. Magie. Diese Welt war anders, doch er war ein Teil von ihr. Ein Teil von diesem großen Etwas, in das er geworfen worden war. Sein Rücken kribbelte und er machte eine ruckartige Bewegung. Daraufhin entfalteten sich die Schwingen, die ihn als Engel auszeichneten.

Engel.

Er kannte das Wort. Wenn er an das Wort dachte, erschienen Bilder von weißgeflügelten Wesen, die im Himmel waren und Gott dienten. Sie beschützten die Menschen, halfen ihnen. Töteten die bösen Dämonen.

Es war falsch, es stimmte nicht. Cypher hatte ihm erzählt, dass er in der Menschenwelt geboren war, dort bis zu seinem Tod gelebt hatte. Die Menschen wussten nichts von der Existenz von Dämonen und Engeln. „Und doch haben sie so viele Geschichten darüber", flüsterte er.

Lucifers Fall, der Himmel, die Hölle. Es stand in den Büchern.

Die Hölle – ein Ort der Verdammnis, an dem die Seelen für ihre Fehler büßen. Feuer, Folter, Qual. Wieso kamen diese Worte ihm in den Sinn? Die Menschen waren wirklich blind.

Sein Kopf begann zu schmerzen, er kniff die Augen zu. Für einen Moment driftete er weg. Bilder wanderten vor seinen Augen entlang.

Überall waren Steine und Felsen in der Landschaft. Er befand sich in einer Art Kessel – einem riesigen Loch im Boden, angekettet mit einer Halsfessel um dem Hals, die zu dem Felsen verlief, an dem er lehnte. Er nahm die Schreie wahr, den Geruch von Blut.

Eine Rütteln an der Schulter entriss ihn den Bildern. Er öffnete schlagartig die Augen, keuchte. Sein Blick trat auf zwei verschiedenfarbige Augen und er wurde ruhig. Sein Puls beruhigte sich.

„Aaron", hörte er die Stimme seines Gefährten. „Was machst du hier draußen?"

„Nachdenken", antwortete er wahrheitsgemäß. Er schüttelte den Traum ab und erhob sich. Seine Arme schlossen sich um Cypher und er atmete dessen beruhigen Geruch ein. Er erdete ihn und gab ihm das Gefühl, dass er all das schaffen konnte.

„Was bedrückt dich, Zhurek?", fragte er sanft.

Das Schicksal hat ihn mir geschickt. Dieser Mann gehörte ihm, bis er den letzten Atemzug tat. Er würde ihn nicht verraten, ihn nicht verlassen. Diese Sicherheit war für Aaron unendlich kostbar.

Cypher spürte, dass Aaron unsicher war. Er zeigte es nicht. Es ist, als würdest du erneut die Maske tragen. Die Maske, die er in seinem vorherigen Leben getragen hatte. Immer wieder schimmerten die Dinge hindurch.

„Wollen wir im Schlafzimmer sprechen?"

Der Dämon wusste, dass es in keiner Weise sexuell gemeint war. Es war mehr so, dass dieser Raum Aarons Rückzugsort war. An diesem Ort war er aufgewacht, dort hatten sie den Bund geschlossen. Ihm war aufgefallen, dass er sich oftmals dort aufhielt, um nachzudenken. Er nickte nur und gemeinsam gingen sie in ihr Schlafgemach. Cypher legte sich auf das Bett und Aaron zu ihm an seine Brust.

Cypher - ein schicksalhafter Blick (BAND 4) ✅️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt