Kapitel 1

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Benjamin

Immer mehr spüre ich, wie das Gefühl für meinen Körper zurückkommt, sich meine Sinne verschärfen und ich immer mehr meine Umwelt wahrnehmen kann, welche unglaublich ruhig erscheint. Kein Auto kann ich vernehmen, keine Telefone, die ständig klingeln und auch keine Sirenen, die entweder ein Polizeiauto oder die Feuerwehr ankündigen. Deutlicher werden die wirren Stimmen, die für mich einfach keinen Sinn ergeben und kläglich versuchen mir ein klares Bild zu verschaffen. Langsam öffne ich meine Augen, sehe verschwommene Bilder und habe das Gefühl, dass mein Kopf jeden Moment platzen würde, so sehr schmerzt es.

Bin ich im Himmel?

Wenn ja, wieso fühle ich noch immer Schmerzen? Wieso habe ich die Bilder vom Unfall klar vor Augen und scheine sie einfach nicht vergessen zu können? Warum kann ich den Geruch von Blumen klar riechen, als würden sie um mich herum liegen, meinen schweren Körper auf sich tragen und versuchen mir einen weichen Untergrund zu verschaffen, wobei ich diese jedoch leider zerdrücke?

Und da fällt es mir ein. Alexander. Wo ist er? Wieso sehe und höre ich ihn nicht? Er müsste doch auch hier mit mir im Himmel sein, nicht? Also warum sehe ich nicht sein wunderschönes Lächeln, das mir beruhigend zulächelt und mich alles vergessen lässt, was in meinem Kopf vor sich geht? Oder ist das alles eher eine Illusion, die mich täuschen soll, sodass ich nicht gleich mitbekomme, dass ich eigentlich doch in der Hölle gelandet bin.

Immer schärfer wird meine Umwelt und das Verschwommene verschwindet, ehe ich erkenne, dass ich keines Falls an dem Ort bin, wo ich sein sollte. Über mir kann ich den freien Himmel erkennen, während um mich herum das grüne Gras dem Himmel entgegen lacht. Etwas von mir entfernt sind mehrere Menschen, die mir in keinster Weise vertraut vorkommen, denn ich bin mir sicher, dass ich noch nie Menschen gesehen habe, die solch alte Kleidung tragen wie diese.

Auch macht es mir nicht den Anschein, dass ich ansatzweise in der Nähe von Himmel oder Hölle bin, da mir das alles viel zu real erscheint und auch sehen die Menschen so lebendig aus, und nicht wie Seelen, die vor Leid und nach Erlösung schreien.

Plötzlich kann ich erkennen, wie sich eine schmale aber große Frau umherschaut, etwas zu suchen scheint und als ihr Blick auf mir haften bleibt, hat sie wohl gefunden, was sie sucht, immerhin scheint sie nicht mehr wegschauen zu wollen. Ich muss leicht schlucken, da sie mit so einem Selbstbewusstsein auf mich zukommt, was meine Vermutung nur noch bestätigt, dass sie mich wohl gesucht zu haben scheint, und es schüchtert mich ein wenig ein, wie sie mir immer näher kommt. Ihre Statur ist aufrecht und gerade, während ihr Blick ernst und beinahe sauer ist. Hinter ihr läuft ein kleiner Junge, welcher ungefähr fünf Jahre alt, wenn nicht sogar etwas älter, sein müsste und ihr unwahrscheinlich ähnlich sieht.

Das muss ihr Sohn sein.

Natürlich Benjamin, wenn er ihr ähnlich sieht, dann ist er höchst wahrscheinlich auch ihr Sohn.

Als sie vor mir stehen bleibt, blickt sie zu mir herunter, stämmt ihre Hände auf ihren Hüften und zieht ihre Augenbraue hoch, während ihr Blick tadelnd ist. Wieso fühlt es sich so an, als hätte ich irgendwas verbrochen? "Na, haben wir die kleine Pause genossen?", fragt sie und irritiert blicke ich sie mit offenem Mund an.

Warum fragt sie sowas? Ich kenne sie nicht.

"Kleiner Bengel. Steh auf und geh dich mit beteiligen! Wir sind hier nicht auf einem Adels Hof, wo du faulenzen kannst.", meckert sie weiter, mit einem Mal packt sie mein Ohr und zieht mich auf die Beine, während ich leise wimmer und das Gesicht verziehe. "Okay okay, ich helfe ja schon. Bitte zieh nicht an meinem Ohr!", bettel ich schon fast, da das höllische Schmerzen sind, okay, vielleicht übertreibe ich es auch etwas, und kurz darauf lässt sie endlich von mir ab, während der kleine Junge grinsend zu mir hinauf sieht. "Tut das doll weh?", fragt er neugierig und seine Augen sind fast schon so riesig wie Glubschaugen. Ich schaue ihn stumm an, habe keine Ahnung, wie ich ihm darauf antworten soll und stehe nun einfach hier, drehe mich einmal langsam im Kreis und nehme die Umgebung nun komplett wahr.

Felder umgeben mich, während ich wohl auf das fast einzige Blumenfeld stehe, das in der näheren Umgebung ist. Überall sind Menschen, die was auch immer tun und etwas weiter entfernt erblicke ich ein Dorf, was jedoch nicht allzu groß ist. Hier und da laufen Kinder herum, die alle verdreckt aussehen und auch dünn, was mich ein wenig wundert, da Menschen doch genug Nahrung haben, um sich zu versorgen. Also wieso sehen die Menschen hier wie Bauern aus so Märchen aus?

Das ist doch ein sehr schlechter Scherz. Richtig?

Bitte lass einen Mann mit einer Kamera herauskommen und laut "Ha! Du bist aber ganz schön reingefallen!" rufen, damit ich mir sicher gehen kann, dass ich nicht irgendwas halluziniere oder die Menschen mich reinlegen.

"Wilhelm Hufner! Wenn du dich jetzt nicht bewegst, erwartet dich Zuhause eine Tracht Prügel! Also ran an die Arbeit!", faucht die Frau nun und sieht mich fast schon aus kalten Augen an, was mich ein klein wenig abschreckt. Man, diese Frau hat es aber faustdick hinter den Ohren.

Als sie jedoch ihre Hand hebt, zucke ich zusammen und weiche sofort einen Schritt nach hinten, ehe ich meine Hände fast schon schützend vor meine Brust hebe. "Okay. Ich gehe ja schon. Aber was soll ich tun?", frage ich total ahnungslos, wobei mein Kopf noch immer so weht tut, was aber Gott sei Dank schon ein klein wenig besser wird. "Zuhören kannst du auch nicht! Was hast du den ganzen Tag gemacht?", sie seufzt und erklärt mir dann, dass ich zurück zum Feld soll und beim streuen der Saatgut helfen soll.

Leise seufze ich, nicke und sie deutet auf das Feld, wo ich hingehen soll und schon führe ich die Aktion aus. Während des Gehens fällt mir jedoch eine Sache auf.

Hat sie mich gerade Wilhelm Hufner genannt? Was ist das denn für ein bescheuerter Name? Ich bin Benjamin und nicht Wilhelm.

In was für eine Sache bin ich hier bitte geraten?

Ein paar Stunden später, verlasse ich das Feld, als die Sonne beinahe schon den Horizont berührt und die Frau mit dem Jungen wieder auf mich zukommt. "Komm. Gehen wir nach Hause, bevor die Dunkelheit vollkommen eingebrochen ist.", murmelt sie und ich bleibe erstmal stehen, denn immerhin kenne ich die Frau nicht und ich weiß auch nicht, wie sie mit mir in Verbindung steht, da sie mich aber zu kennen scheint, vertraue ich ihr jetzt einfach mal und folge ihr.

Wir kommen dem Dorf immer näher, wobei mir immer klarer wird, wie die Häuser eigentlich aussehen und ich ziehe die Stirn in Falten, da es keinesfalls dem modernen Baustil entspricht. Die Häuser bestehen aus Stein und werden gestützt aus Holzpfählen, während die Dächer Strohdächer sind. Sie sind niedrig und doch sehen sie neu aus und nicht verfallen, wie in den älteren Teilen von Großstädten. Im inneren ist alles aus Holz ausgestattet und ich habe das Gefühl, als würde ich in einem falschen Film sein.

Als niemand zu mir schaut, schiebe ich meinen Ärmel hoch und kneife mich, während ich hoffe, dass das alles nur ein schlimmer Traum ist und ich jeden Moment aufwache und neben Alexander liege. Doch dem ist nicht so, ich spüre nur einen ziehenden Schmerz und kurz darauf zische ich auf.

Mit einem Mal betritt ein etwas älterer Mann das Haus, während er einen Sack in den Händen hält und ein breites Lächeln liegt auf seinen Lippen. "Agnes, schau nur! Ich habe so viel Kupfermünzen aus dem Schwein gewinnen können.", spricht er auch schon und sofort schaut die Frau zu ihm und geht auf ihn zu, bevor sie ihn umarmt. "Oh August! Das hört sich wunderbar an! Somit können wir morgen zum Markt und ein Leib Brot und vielleicht auch Obst kaufen. Wilhelm, Joakim, kommt. Schaut es euch an!", ruft die Frau, Agnes und sofort läuft der kleine Junge zu ihr und schaut mit großen Augen zu den kleinen Kupfermünzen, die nun auf der dreckigen Hand des Mannes liegen. "Brüderchen, schau es dir an!", kichert der kleine Junge und damit leuchtet mir das Ganze ein wenig ein.

Ich, Benjamin, bin irgendwie ins Mittelalter gereist und bin nun im Körper von Wilhelm.



The King's possession *PAUSIERT*Where stories live. Discover now