Kapitel 12

75 7 9
                                    

Vergangenheit

Ich sitze wieder auf dem kalten Boden, mit dem Kopf in der Matratze in die ich schon seit einem Jahr schluchze. Jeden Tag nach der Schule sitze ich hier und lernte vor einem Jahr wieder was es heißt zu leiden.
„Bitte wach wieder auf...", schluchze ich in die Matratze.
Ich lasse den Tränen ihren freien Lauf und Spüle damit meinen Schmerz in die Außenwelt. Plötzlich vernehme ich das sich jemand neben mich gekniet hat und spüre eine warme Hand auf meinem Rücken. Ich erhebe meinen Kopf und drehe ihn, wo ich in Nussbraune Augen schaue.
„Helly...", setzt mein Vater sanft an doch ich unterbreche ihn.
„Nein nichts Helly...", laufen mir die Tränen die Wangen runter.
„Sie wird aufwachen...", schluchze ich und die Tränen laufen weiter.
Mein Vater schaut mich mitleidig an und senkt langsam den Kopf. Er atmet mit einem tiefen seufzen wieder aus.
„Sie wird es schaffen...", versuche ich mich zu beruhigen, versage aber kläglich.
Es ist gerade mal ein Jahr her aber ich kenne noch jedes einzelne Detail von diesem Tag.
Ich sahs auf der Couch und schaute mir The Vampire Diaries an, als plötzlich das Telefon klingelte und mein Vater dran ging. Ich pausierte die Serie und sah zu meinem Vater der das Telefon fast hätte fallen lassen. Als er auflegte sah ich ihn abwartend an. Man konnte in seinem Gesicht drin lesen, wie er sich die Worte zusammen suchte um mir zu erklären das Mum einen Autounfall gehabt hatte und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ohne lange drüber nachzudenken schaltete ich den Fernseher aus, schlüpfte schnell in meine Schuhe und wir machten uns sofort auf den Weg. Bloß wenige Sekunden später als wir im Krankenhaus eintrafen, wurden wir zu ihrem Zimmer gebracht wo ich sie sah. Sie war bedeckt mit allen möglichen Schläuchen die an Maschinen angeschlossen waren. Ich rang mit den Tränen als ich sie da liegen sah. Ohne eine Sekunde zu zögern, rannte ich in das Zimmer als der Arzt meinte wir können rein. Mein Vater redete draußen mit dem Arzt und als ich zu ihm durch das Fenster schaute, sah ich wie mein Vater sich die Tränen verhalten musste. Als wir am Abend wieder nachhause gekommen waren saßen wir uns gegenüber am Tisch und mein Vater gab mir die Infos die er vom Arzt erfahren hatte. Ich blendete alle medizinischen Informationen aus, die einzige dir nicht spurlos an mir vorbei ging war: >>Die Ärzte können nicht sagen ob sie jemals aufwachen wird<<.
Jetzt ein Jahr später hat sich immer noch nichts geändert, ich gebe die Hoffnung trotzdem nicht auf und glaube nicht das, dass das Ende von uns als Familie sein soll. Sie hat es nicht verdient. Ich wende mich wieder meiner Mutter zu und vernehme wie mein Vater sich wieder aufrichtet. Wenige Minuten nachdem mein Vater aufgestanden ist kommt eine Schwester ins Zimmer. Ich denke erst sie will nur nach den Maschinen schauen bis ich bemerke, es ist nicht der Fall.
„Was...was machen Sie?", frage ich mit stockender, zittriger Stimme an die Krankenschwester gewandt.
„Die Maschinen werden abgestellt", antwortet sie vorsichtig.
Ich springe auf und meine Gefühle fahren Achterbahn.
„Wer hat das veranlagt?", stehe ich den Tränen wieder sehr nahe.
„Ihr Vater", antwortet sie sanft und wendet sich wieder zu ihrer Arbeit.
„Nein... nein...", kullern mir die Tränen über die Wangen und ich spüre eine warme Hand auf meiner Schulter.
„Das... das hast du...nicht getan...", schaue ich meinen Vater verheult ins Gesicht.
„Helly... es ist aussichtslos...", laufen ihm Tränen über die Augen aber seine Worte hören sich in meinen Ohren monoton an.
Mir wird alles Zuviel und ich sehe keinen anderen Ausweg als diesen einen.
„Ich muss hier weg... weg von dir...", sage ich mit einem Schluchzen und renne fast aus dem Zimmer raus.
„Helly warte...", vernehme ich leise, wie mein Vater mir hinterher ruft.
Ich laufe so schnell ich kann zur nächsten Haltestelle und steige in den Bus um mich auf den Weg nachhause zu machen. Als ich vor der Haustüre zum stehen komme wird mir bewusst.
„Mein Rucksack", lasse ich mich gegen die Haustüre fallen und gleite nach unten auf den Boden.
Er hat es nicht mit mir abgesprochen das er vor hat sie gehen zu lassen, er hat es alleine entschieden. Nachdem ich eine Stunde vor der Haustüre sitze und in meine Knie leise schluchze fühle ich mich wie vor fast neun Jahren, als ich alleine in einer Dunklen Gasse mitten in Berlin zwischen Mülltonnen und Müllsäcken sahs. Dort begegnete ich dieser Frau zum ersten mal, die im laufe der Jahre zu meiner Mutter geworden ist. Ich höre Schritte und nehme wahr das mein Vater sich vor mir in der Hocke sitzt.
„Helly...", fängt er wieder an doch ich unterbreche ihn wieder.
„Mach einfach diese verdammte Tür auf", schnief ich und erhebe mich.
Er nickt bedrückt, Holt die Schlüssel aus seiner Jackentasche und schließt die Haustüre auf. Nur einen Schritt in diese Wohnung und alles was ich sehe erinnert mich an sie. Bevor mein Vater auch nur einen Atemzug machen kann renne ich in mein Zimmer, schlage die Türe hinter mir zu und schließe ab. Mit dem verschließen der Türe sinke ich wieder zu Boden und lassen meinen Tränen in meine Knie gerichtet freien Lauf.
„Helly... Bitte... ich wollte ja mit dir reden...", spricht mein Vater durch die geschlossene Türe und ich höre raus wie bedrückt er ist unterbreche ihn aber trotzdem wieder.
„Sie ist tot... wegen dir...", schluchze ich laut weil ich meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle habe.
„Sie war es schon die ganze Zeit... die Maschinen erhielten sie am Leben...", sagt er sanft und ich schätze er sitzt inzwischen auf der anderen Seite der Tür ebenfalls auf den Boden.
„Ich hab sie ziehen lassen... sie wurde erlöst...", spricht er weiter sanft aber man hört wie schwer ihm diese Worte über die Lippen gehen.

Adoptierte Wellenbrink Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt