Kapitel 30

122 7 6
                                    

Je länger ich hier sitze und mit meinem Vater in der Vergangenheit schwebe, desto mehr lässt mich dieses unerklärliche Gefühl nicht los.
„Warum haben du und Mum nie noch ein leibliches Kind bekommen?", frage ich schüchtern.
„Weil wir dich hatten... wir hatten dich als Tochter und das hatte uns gereicht, wir sagten wenn es sich ergibt dann ist es so aber es war kein großer Plan", erklärt er seine Antwort.
Ich ringe mir ein Lächeln über die Lippen.
„Aber hattet ihr nicht dran gedacht das ihr nichts zurücklasst auf dieser Erde und alleine seid?...", quält sich die Frage durch meinen Verstand.
„Nein... sie hat was zurück gelassen und ich lasse was zurück... dich... und alleine waren wir nie", fliegt ihm die Antwort mit einer Leichtigkeit über seine Lippen.
Wieder zwinge ich mir dieses traurige Lächeln auf.
„Hell... ich liebe dich...", lächelt er bei diesen Worten, die er vorher noch nie gesagt hat.
Jetzt hat er's geschafft, er hat einen wunden Punkt gefunden, mit diesen Worten, ich schaffe es nicht mehr die Tränen zurück zu halten.
„Ich... ich hab dich auch lieb", schluchze ich und spüre wie eine Träne mir die Wange runter läuft.
Wann habe ich diesen Mann so nah an mich ran gelassen und wieso? Ist es überhaupt möglich immer wieder für eine Millisekunde zu vergessen das man andere Gene hat?
„Du bist so eine wunderbare, starke Frau geworden, versprich wir das sie so bleibt", verlangt er jetzt auch noch ein Versprechen.
Mit zusammengepressten Lippen nicke ich, als Antwort und gebe ihm so mein Versprechen mich nie zu ändern.
„Dad...", verliere ich die Worte in meinen Gedanken, weshalb ich pausiere.
„Ist es schwer zu kämpfen?", frage ich mit einem Schlucken.
Ich sehe meinen Vater stillschweigend an und er mich. Das einzigste was ich mit meinen Tränen gefüllten Augen erkennen kann ist der Umriss von ihm, das er nickt.
„Warum tust du's dann noch?", stocken mir die Worte.
Ein kurzen Moment sagt keiner was, wieder hört man nur seinen schwachen Atem und meinen unregelmäßigen Atem.
„Für dich...", flüstert er.
„Ich hatte mir geschworen so lange wie möglich, immer für dich zu kämpfen", antwortet er ein bisschen lauter als seine erste Antwort.
Diese Worte haben meine letzte Fassade zu Fall gebracht. Er tut es für mich... er leidet für mich.... Die Tränen nehmen ihren Lauf über meine Wangen.
„Dad es...", versuche ich weinend zu sagen.
„Dad es ist okay...", beruhige ich mich für eine Sekunde um ihm diese Worte zu sagen.
Mein Vater sieht mich an, ich kann in seinem Gesichtsausdruck nichts erkennen aufgrund der Tränen in meinen Augen.
„Dad es ist okay... du kannst gehen...", setzte ich die drei schlimmsten Worte hinter meine ersten Worte.
„Ich komme schon klar", meine Stimme zittert.
„Wir kommen klar", verbessere ich mit der zittrigen Stimme meine Aussage.
Immer noch sieht er mich mit diesem Blick an in dem man nichts lesen kann.
„Bis zum letzten Atemzug...", wiederhole ich die Worte vor einem Jahr.
Mein Versprechen lässt ihn seine Miene verändern. Bis zu diesem Moment hasste ich mich, das ich das letztes Jahr sagte, jetzt ergibt es einen Sinn. Mein Vater war schon immer ein herzensguter stur Kopf, ohne dieses Versprechen würde er nicht los lassen.
„Dad... es ist okay...", sage ich wieder.
Ich sehe wie er jetzt mit den Tränen kämpft.
„Geh zu Mum...", erwidere ich mit einem traurigen ehrlichen Lächeln.
„Wir werden uns wieder sehen...", will ich ich ihm das gehen leichter machen, mir dagegen schwerer.
„Und so lange ich hier lebe... lebe du mit Mum und holt nach was... was ihr verpasst habt", schluchze ich die Worte.
Je mehr ich sage desto mehr sehe ich wie er los lassen will, weil er mir glaubt, das es okay ist. Meine Worte sind ehrlich gedacht, aber genau diese Worte sind es die mir die ganze Sache nur noch schwerer machen.
„Es ist Okay...", sage ich wieder.
„Du kannst gehen...", spreche ich die Worte weniger zu ihm, sondern zu mir selbst.
Ich meine jedes Wort ernst, sage die Worte aber für ihn und muss mich selbst davon überzeugen.
„Sag es nochmal... so das du es selbst glaubst", macht mein Vater nach einer Ewigkeit wieder den Mund auf und merkt nicht was er da von mir verlangt.
Ich schlucke und atme einmal tief ein. >>Es ist Okay... er kann gehen...<<, Hallen mir meine Worte durch meinen Verstand.
„Dad... du kannst gehen... es ist okay...", wiederhole ich meine Worte, anders zusammen gebaut aber diesmal wirklich ehrlich gemeint.
Mein Vater sieht mich an und atmet einmal tief ein, auf seinem Monitor der seinen Herzschlag mist, erscheint gleich eine Linie, die einen hellen lang anhaltenden Ton wiedergeben wird.
„Wir sehen uns wieder... wir werden auf dich warten", er lächelt, er lächelt bei diesen Worten.
Ich nicke mit zusammen gepressten Lippen und halte die Tränen mit zusammengekniffenen Augen zurück. Und jetzt ist dieser Moment auf den man seit einem Jahr gewartet hat, der letzte Atemzug. Da war dieser helle lang anhaltende Ton vom seinem Monitor, der zeigt es gibt keinen Herzschlag mehr. Mit dem letzten Atemzug, schloss mein Vater die Augen und es sieht aus als würde er schlafen. Die Betonung liegt auf >>sieht aus wie<<. Ich lasse mich von meinem Stuhl sinken auf dem ich seit einem Jahr jeden Tag gesessen bin und Knalle mit den Knien auf dem harten Boden, mein Kopf fällt in die Matratze. Ich weine in die Matratze und halte seine Hand. Es war wie ich immer dachte, es war bei Mum so und bei ihm ist es auch so... ich spüre wie ein Teil von mir mit stirbt.
„Es ist Okay...", wiederhole ich zum fünften mal meine Worte, obwohl er sie nicht hört und schluchze in die Matratze.
Jetzt in diesem Moment wird mir bewusst, es war nie ein Traum, das mich ein junger Singer-Songwriter mit seiner liebsten von der Straße aufgenommen hat, mich zusammen großzogen, ich die wunderbarste Frau auf diesem Planeten kennenlernen durfte und meine Mutter nannte, gelernt habe was es heißt geliebt zu werden, das mein Vater die selbe Verbindung mit mir hat, wie meine Mutter sie mit mir hatte, ich selbst die Liebe gefunden habe, eine wunderbare Tochter geboren, das alles ist mir wirklich passiert. Ich bin Helena Wellenbrink, ich bin eine adoptierte Wellenbrink und das ist meine Lebensgeschichte.

Adoptierte Wellenbrink Where stories live. Discover now