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Ich frage mich, was ich kann. Was mir liegt. Ich weiß es nicht, ich könnte alle anderen Fragen, denn ich kenne mich nicht. Was kann ich gut? Was mache ich schlecht? Wieso mache ich alles immer so schlecht? Gut, dass ich so bin, wie ich bin. Ein Träumer. Ein Schreiber. Ein Zuhörer. Ein Schläfer. Ein Leser. Gut, dass ich kein Sportler bin, kein Sprecher, kein Talent, denn dann wäre ich nicht so wie ich bin und wer wäre ich, wenn nicht ich selber.

Gut, dass ich nichts kann. 

Gut, dass die anderen so talentiert sind, wie sie es sind, gut, dass sie so glorreich sind. Gut, dass sie trotzdem die größten Arschlöcher sind, die ich jeh gesehen habe. Sie prahlen so viel, dass keiner mehr was sagen kann, was dem Plan auch im Grunde entspricht. Wehe, da sagt noch jemand was dazu. So eine Großartigkeit darf man doch nicht kommentieren, auch wenn's was Gutes ist. Kein Wort den Adligen entgegen.

Dem Nichtskönner droht bald der Geburtstag an, in zwei Tagen werden die Gläser zur größten Tragödie gehoben, wie es die Menschheit noch nie gesehen hat. Ein Event, dass so selbstverständlich ist, wie der kleine Rülpser nach dem Trinken von sprudeligem Wasser. Aber im Kern eigentlich genauso gleichgültig und schnell vorbei. Die Truppe freut sich drauf, endlich etwas trinken ohne den Verdacht auf Alkoholismus zu erwecken. Würde eh keiner merken, es hängen doch schon alle an dem edlen Weinglas, gefüllt mit der billigen und wässrigen Giftspritze, von der es sich mehr zu trinken gehört, denn es ist doch nur so wenig Benzin drin. Ich bin mir bereits im Klaren, dass dieser Tag nichts mit meiner Geburt zu tun hat. Wäre dies der Fall, würde die Familie sich schwarze Roben überwerfen und kläglich heulen, obwohl dies ja schon zu viel der Mühe wäre. Vielleicht war die Ehe meiner Eltern schon als ein schlechter Acid-trip definiert, bevor sie überhaupt begann. Alles was ich weiß, und das ist auch alles was ich wissen muss; meine Existenz hat zu dieser nichts Gutes beigetragen. Aber klasse, jetzt lebe ich und kann nichts. Mein Geburtstag ist die einmalige Chance für diesen Ranzhaufen zivilisiert und einigermaßen gesund zu scheinen. Endlich, endlich können sie das Wort ergreifen und ihren Wert in vollster Lautstärke ausrufen, was mich im Nachhinein noch stiller macht, weil ich nicht wirklich einen habe. Komischerweise ist dies bei mir direkt zu erkennen. Liegt wahrscheinlich am Kontrast, den ich schwarzes Schaf verursache, nur mit meiner bloßen Präsenz, gemischt mit den Psychoanalysen der anderen Scheißer:

,,Jaja, eine schwere Zeit in der Schule hatte sie, mit den ganzen doofen Mitschülern! Aber jaja, jetzt ist es vorbei und sie freut sich schon ganz doll darauf zu Studieren....Jaja, Kunst! Jaja, Lehramt! Toll, oder? Die hofft schon ganz gespannt darauf, dass sie auch angenommen wird, jaja!..."

Und an dieser Stelle nimmt der Nichtskönner das mentale Mikrophon in die Hand und stimmt zum Monolog an, damit alles geregelt wird, was zu regeln ist. Haha, eine schwere Zeit hatte ich, liebe Mutter, doch das liegt nicht an den anderen, weißt du? Denn ich bin komisch, ich konnte mich nicht anpassen und ich alleine, hatte Angst vor allem was war und nicht war. Und, geliebte Mutter, auf das Studium könnte ich scheißen, du Gute! Eine dumme Entscheidung, der Welt der Lehre wieder beizutreten, um die eigene Muse und den eigenen Wert komplett zu verlieren. Ach, gute, geliebte Mutter, wie ich doch lieber sterben würde, als ein normales Leben zu führen, du Perle! Ich könnte jeden Tag Brocken kotzen, so sehr hoffe ich einen Anruf zu bekommen der mir die erlösenden Worte ins Ohr treibt: ,,Sie wurden leider nicht angenommen". Ach, geliebte, dumme, traurige Mutter, Lehrer will ich nie werden, ich will das Elend, welches mir im Leben zugesprochen ist, ausknocken will ich mich, im Land der Träume schweben und mein Leben verschwenden, dass es nicht einmal mehr als dieses zu erkennen ist. Genau wie du möchte ich die Giftspritze zur einzigen Würde meiner gottverdammten Existenz ernennen, denn das ist, was ich bin und nichts anderes, du verzweifeltes Geschöpf!

Doch nichts davon wird gesagt, sondern nur mit einem Lächeln und viel zu sicherem Nicken geschluckt, gefolgt mit einer ordentlichen Ladung Bedürfnis nach einem Pulver der Schmerzenslinderung oder einer Substanz der völligen Vergesslichkeit.

Ich weiß doch, dass ich nie was Ordentliches, etwas Normales machen kann. Dafür bin ich zu sehr ich. Ein Träumer. Ein Schreiber. Ein Zuhörer. Ein Schläfer. Ein Leser. Schon immer ließ ich mich lieber treiben und genoss das Schweigen und Beobachten. Etwas, was diesen Wichsern nicht gefällt, also offiziell, wovon sie aber hinterhältig und geizig komplett profitieren. Ich erhebe ihr Image, durch mein eigenes schlechtes. Ich höre Probleme bis zum Umkippen an, sodass sie kein Geld für ein Psychologen ausgeben müssen, dafür aber nicht gesünder werden und ihr eigenes Kind moralisch durch den eigenen verursachten Dreck ziehen. Eine Werbung könnte ich machen: Brauchen Sie einen Staubsauger der negativen Emotionen? Da bin ich doch für Sie da! Die letzten Krümmel der ach so schlechtesten Energie nehme ich gekonnt und schweigend in mir auf! Call now! 

Erwachsen soll ich sein, heißt es, jeder im Haushalt muss seinen Beitrag leisten. Das ist fair, heißt es. Einen Scheißdreck ist es; die letzte Ranzarbeit leiste ich, das absolute recyceln der ganzen schlechten Emotionen, die wie geleiteter Regen aus der Dachrinne auf mich herabströmen. Ich denke, dass es nur fair wäre, wenn ich mir etwas Elendiges suche, welches mir mein eigenes Elend nimmt, nur kurzweilig, denn geizig bin ich doch nicht. Etwas, was mir hilft meine eigene Existenz wahrzunehmen und zu würdigen, vergessen möchte jeder mal, sage ich. Fein und gütig soll ich mich zeigen, doch was anderes steht mir zu. Eine Art Lohn, finde ich, ein Lohn der das restliche Leben in eine wilde Fahrt mit einem schnellen und unerwarteten Ende verändert.

Hebt in zwei Tagen eure Gläser auf euren Nichtskönner, my friends. Der Freitag wird eine Fete, so aufgesetzt und traurig, dass euch alle Freuden der Welt fremd vorkommen. Der wahre Wert des Individuums wird sich zeigen, das absolute Elend, welches Jahr zu Jahr älter wird und wie das Verlangen nach kompletter Benommenheit bis zu den Wolken wächst! Ja, das hört sich nach Leben an. Verdrecktes, verdorbenes, lächerliches Leben. Doch gut, dass es so ist, wie es ist. Sonst wäre alles anders, und was wäre denn bitte, wenn es nicht so wunderschön elendig wäre, nicht wahr?

Golly gee, that's misery.


Depressions-TagebuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt