Depressions-Tagebuch

#57

Sag einem einbeinigen Mann, dass er rennen soll.

Sag einer blinden Frau, dass sie den Himmel betrachten soll.

Sag einem stummen Menschen, dass er sprechen soll.

Sag einer depressiven Jugendlichen, dass sie Spaß haben soll.

Verstehst du, Papa? Es geht nicht.

Du sagst ständig, in meinem Alter sollte man Spaß haben. Hobbys haben. Sich mit Freunden treffen und als Beschäftigung Sport machen.

Und du bist enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass ich anders bin. Anders als diese ganzen, fröhlichen Teenager. Du würdest mich am liebsten zwingen, all diese Sachen zu machen. Damit du endlich stolz auf mich sein kannst und mit mir angeben kannst.

Es tut mir leid. Ich bin verdammt scheiße. Sozusagen ein Fabrikfehler. Ich würde gerne so viele Sachen machen, weißt du? Doch meine Angst und meine Depressionen halten mich ständig in meinem Zimmer fest, fressen meine Motivation und Energie auf. Sie machen sich schon so lange in meinem Kopf breit und rauben mir jeglichen Spaß am Leben.

Doch du würdest das nicht verstehen. Ich bin in deinen Augen einfach nur faul und Handy abhängig.

Du fragst, warum ich mich nie mit Freunden treffe. Das liegt daran, dass mir die Kraft am ständigen Verstellen fehlt. Ich möchte alleine sein. Ich habe schon genug Probleme mit mir selber, andere würden es nur noch schlimmer machen. Und das tun sie auch. Deshalb will ich so wenig Kontakt wie möglich haben, mit diesen Menschen, die ich aus Unwissenheit "Freunde" genannt habe und es immer noch tue.

"Warum machst du kein Sport, das macht doch Spaß." Weißt du warum? Weil ich Angst habe. Ich habe Angst davor, mich zu bewegen. Ich habe wenig Kontrolle über mich selber und fürchte, sofort etwas falsch zu machen. Wenn ich doch etwas Spaß an einem Sport gefunden habe, schaltet sich meine Stimme im Kopf wieder ein und wirft mir vor, wie schlecht ich doch sei.

Du bist sauer, ich weiß. Du bist enttäuscht. Und es tut mir leid. Doch leider werde ich mich nie ändern.

Bald wirst du mich los, keine Sorge. Dann hast du eine Last weniger in deinem Leben.

Sorry, Papa. Ich hab's versaut.