FÜNF UND SECHZIG

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„Wie sehe ich aus?"

Ich zupfte nervös an den Spitzen meiner kurzen, schwarzen Perücke herum. Es war seltsam meine Haare nicht länger auf der Haut meines Oberkörpers zu spüren und noch immer fragte ich es mich, wie es Max und Elfie geschafft hatten, alle meine Haare unter diese Perücke zu bekommen. Das leichte Kitzeln fehlte mir. Eddie unterdrückte ein Schmunzeln als er von der Bank aufstand und langsam auf mich zukam.

„Lass mich dir helfen."

Er strich meinen Pony glatt und zupfte ihn liebevoll zurecht. Die Haarspitzen kitzelten auf meiner Nase und stachen mir hin und wieder in die Augen.

„Das beantwortet meine Frage nicht."
„Du siehst schön aus."

Seine Stimme klang nicht gerade überzeugend und er erkannte an meinem Blick, dass ich ihn ertappt hatte. Er war ein schlechter Lügner.

„Du gefällst mir besser, wenn du aussiehst wie du selbst."

Zärtlich küsste er meine Nasenspitze. Seine Nähe durchfuhr mich und die Sehnsucht der vergangenen Monate war noch immer verankert in jeder meiner Adern.

„Warum kommst du nicht mit uns?"

Ich deutete mit dem Blick auf die Tür des Campers. Der Rest unserer Familie war bereits auf dem Parkplatz des Supermarktes. Sie gaben mir Zeit, sie gaben uns Zeit. Zeit die wir schrecklich brauchten. Jeder einzelne Moment an seiner Seite wurde in meinen Sinnen aufgesogen. Zu groß war die Angst, ihn wieder vermissen zu müssen. Eddies Mundwinkel zuckten, doch er versuchte es mit einem Lächeln zu überspielen. Erfolglos.

„Eddie?"

Ich flüsterte liebevoll seinen Namen und legte meine Hand an seine Brust. Sein Herz klopfte stark, als würde ihn die Erinnerung sichtlich beunruhigen. Er schnaufte.

„Ich wurde erkannt. Ein Mal."
„Und dann?"
„Haben wir alles stehen und liegen gelassen und sind sofort abgehauen. Seitdem bleibe ich immer hier. Wo mich keiner sieht."

Sein Gesicht wurde geziert von einem Schatten. Der Schatten einer schrecklichen Einsamkeit. Zwar war er immer umgeben von den Anderen und dennoch war er alleine. Alleine mit dieser Situation. Genauso wie ich. Ich wollte mir gerade die Perücke vom Kopf reißen, als er seine Hand auf meine legte. Das Gewicht der beiden Hände drückte auf meinen Kopf. Mit großen Augen sah ich ihn an. Den Menschen mit dem ich durch alle Höhen und Tiefen, durch gute und schlechte Zeiten, durch den Himmel und die Hölle gehen würde.

„Ich bleibe bei dir."

Er schüttelte den Kopf.

„Genieße es unter Menschen zu sein. Du warst so lange eingesperrt."
„So wie du."

Für wenige Augenblicke sahen wir uns sprachlos an. Doch dann küsste er mir liebevoll meine Wange und schob mich Richtung Tür.

„Nimmst du mir bitte ein Sixpack mit?"

Ich schmunzelte bevor ich die Stufen hinablief und die Tür hinter mir schloss. Steve und die Anderen warteten bereits auf mich. Nur Dustin lehnte sich gegen die Außenseite des Campers und spielte mit einem kleinen Stein den er immer wieder hin und her kickte. Verwundert sah ich ihn an, doch noch bevor ich etwas sagen konnte griff Steve nach meiner Hand und zog mich mit sich.

„Er bleibt immer bei ihm."

Als ich aufschaute traf ich Steves grüne Augen. Die Sonne spiegelte sich darin und legte eine unendliche Farbpalette vor mich.

„Zu jeder Sekunde. Er war zu jeder einzelnen Sekunde an seiner Seite. Er half ihm durch die Zeit, deines Verschwindens."

Stille. Was sollte ich auch darauf antworten. Die Zeit meines Verschwindens schien für alle schwierig gewesen zu sein. Das war sie auch für mich. Doch ich konnte nicht erahnen wie es sich für Eddie angefühlt haben muss. Nicht zu wissen wo ich mich befand, wie es mir ging oder ob ich überhaupt überlebt hatte. Die Tür zum Supermarkt schwing auf und ich wurde erschlagen von Lichtern, Stimmen und Gerüchen. Ich wusste nicht wie lange ich diese Eindrücke nicht mehr wahrgenommen hatte. Ich wusste nicht einmal mehr wie lange wir uns bereits auf der Flucht befanden. Ich wusste nichts mehr, von einem normalen Leben. Es war ein weit entfernter Schatten. Steve behielt mich gut in seinem Blick als ich mit gesenktem Kopf direkt in die Getränkeabteilung marschierte.

„Sixpack?"

Ich nickte und schaute mich in den Regalen um. Doch noch bevor ich nach einer Kiste greifen konnte, kam mir Steve zuvor. Wortlos nahm er sie an sich und lief den Gang entlang.

„Worauf hast du Lust?"

Worauf hatte ich denn Lust? Seit langem hatte ich mich nicht mehr richtig ernährt. In der Anstalt gab es meistens dasselbe. Haferbrei. Fleisch. Gemüse. Alles was mich stark machen sollte.

„Schokolade. Pudding. Schokopudding. Steve, ich brauche Schokopudding."

Für wenige Sekunden flackerten seine Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss eine Erinnerung durch seinen Kopf. So wie auch mir. Steve und ich kauften uns als Kinder immer den selben Schokopudding und kochten ihn bei mir Zuhause. Da meine Eltern selten anwesend waren, hatten wir genug Zeit die Küche zu verwüsten. Mit dem halb missglückten Schokopudding setzten sich Steve und ich auf die Terrasse und erzählten uns verschiedene Geschichten, Erinnerungen und wirklich schlechte Witze. Bis uns schlecht wurde.

„Steve. Ich möchte Schokopudding mit dir kochen."

Das schrecklich vermisste Grinsen schoss über sein Gesicht und ich dachte darüber nach, wie es ihm ergangen ist. Als ich fort war. Seit ich denken kann, ist er die einzige richtige Familie die ich habe.

HELLFIRE || Eddie Munson FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt