Prolog

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Diese Welt ging unter. Und man hätte es verhindern können, hätte man nur richtig hingeschaut.

„NEIN!"
Ein Junge streckte die verschrammte Hand nach seiner Mutter aus, aber es war zu spät. Es breitete sich in ihr aus und sie sank gekrümmt auf die Knie. Ihr dunkles Haar, die der Sohn geerbt hatte, fiel ihr in Strähnen ins verzerrte Gesicht.
„Lauf weg! Lauf!", schrie sie ihm unter Schmerzen zu, während die Erde bebte und überall Flammen waren. Gellende Schmerzenslaute von Nah und Fern mischten sich zusammen mit dem Aufeinanderprallen von Elementen. Blitze zuckten über den Himmel und erhellten das verwüstete Dorf. Warfen ihr weißes Licht auf die zerfetzen Leichen und das Blut. Zwischen ihnen regten sie bereits diejenigen, die sich zu Monster wandelten. Aber es fiel kein Regen und die Luft stand vollkommen still. Als würde die Welt unter dem Grauen den Atem anhalten.

Der Junge sah in das tränenüberströmte Gesicht seiner Mutter. Erst sein Bruder, dann der Vater und jetzt auch noch sie. In einer Nacht verlor er seine ganze Familie. Seine ganze Welt.
Er drehte sich um und spürte wie der Schmerz eine immer größere Welle wurde, die ihn überschwemmen würde, sobald er nicht mehr um sein Leben rannte.
Das Feuer beleuchtete sein von Ruß verschmiertes Gesicht und brachte bernsteinfarbene Augen zum funkeln.

Wieder bebte die Erde. Er stolperte und fiel. Als er sich mit den Händen abfing und im Aufstehen bereits weiter rannte, bildeten sich Risse in der Erde und sie brach auf. Gerade noch konnte er drüber springen und verhindern, dass ihn die Dunkelheit verschlang. Andere hatten weniger Glück.

Schmutz und Blut klebten an seiner Kleidung. Seine Sandalen hatte er längst verloren und sein Kampfstab würde ihm auch nichts bringen, selbst wenn er ihn bei sich hätte.
Gegen eine solche Macht kam kein Mensch an.

Er wusste, dass er verloren war. Er hatte es gewusst, als die ersten Menschen von ihrer Magie „verrückt" geworden waren. Aber sie hatten ihr Spiel getrieben und man hatte ihnen geglaubt.
Man hatte ihnen alles geglaubt.

Während um ihn herum die Häuser von dem Beben zusammenbrachen, Menschen unter den Trümmern begraben wurden und ehemalige Freunde ihre Fänge in jeden vergruben, der ihren Weg kreuzte, sah er nach oben zum Himmel.
Ein weiterer, greller, weißer Blitze teilte den Himmel entzwei. Sterne zersplitterten auf seinem Weg und jetzt klafften oben die gleichen Krater auf, wie auf der Erde.

Den Jungen verließ jeglichen Mut, aber trotz brennender Lunge und dem Heulkrampf, der sich an die Oberfläche kämpfen wollte, rannte er weiter.

Fauchend kam hinter der nächsten Flamme ein Mutierter hervor und stürmte auf den Jungen zu.
In dem Versuch hastig die Richtung zu wechseln, stolperte der Junge und fiel hin. Geistesgegenwärtig genug, rollte er sich zur Seite und der Mutierte sprang dorthin, wo er vor wenigen Sekunden noch gewesen war.

Mit aufgerissenen Augen und rasendem Herzen kam der Junge wieder auf die Beine, aber er wusste, dass er es nicht mehr schaffen würde. Der Mutierte griff erneut an, die Krallen auf das Herz des Jungen gerichtet.

Doch in dem Moment, in dem der Junge mit dem Leben abgeschlossen hatte, wurde der Mutierte von einer unsichtbaren Kraft zu Seite gerissen. Mit einem Brüllen, knallte er mehrere Meter weiter gegen eine Hauswand. Das Holz zersplitterte und Flammen hüllen das Monster ein.

Keuchend schoss der Kopf des Jungen herum. Hinter ihm ragte ein Mann auf. Züge wie aus Stein gemeißelt, mit dunklem Haar, dass ihm in die Stirn fiel und noch dunkleren Augen. Oberkörperfrei, aber mit einer weißen, wallenden Stoffhose, an der aus irgendeinen Grund kein einziger Schmutzfleck zu sehen war. Eine Kette aus Eisen hielt den Stoff auf seiner Hüfte.

Während der Junge zu dem Mann hoch starrte, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Eine Energie ging von dem Mann aus, sodass die Lippen des Jungen trocken wurden.

Doch der Mann sah mit geballten Fäusten und rasenden Blick zu dem Chaos um sie herum. In seinen schwarzen Augen spiegelten sich die Flammen, als er sie über die Verwüstung gleiten ließ. Seine Brust hob und senkte sich, aber nicht vor Anstrengung. 

Als eine weitere Mutierte - ein Mädchen, das der Junge kannte - mit einem unmenschlichen Knurren auf den Mann stürzten wollte, reichte nur der Wink seiner schlanken Hand und auch sie wurde magisch zu Seite gerissen.

Bei dem Anblick des Mädchen, dessen Gliedmaßen verformt waren und schwarzes Blut aus den Wunden floss, schluchzte der Junge auf.
Wie konnte es so weit kommen? Wieso taten sie das dem Volk an?

Da erregte der Junge die Aufmerksamkeit des Mannes und dieser runzelte die Stirn. Dann sah er zurück zu den Feuern.
Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel, vor seinen Füßen tat sich ein weiterer Riss auf und der Junge krabbelte hastig zurück. Nur Zentimeter von seinen nackten Füßen entfernt bröckelte die Erde.

Der Himmel riss weiter auf und auch das bemerkte der Mann mit düsterer Miene.

„Sie sind zu weit gegangen", sagte er mit vor Wut zitternder Stimme, „Diese Welt wird untergehen."
Der Junge stand auf. Seine Beine zitterten, wollten ihn kaum noch tragen.
„Ihr müsst etwas unternehmen! Ihr habt die Macht dazu."
Langsam sah der Mann vom Himmel zurück auf den Jungen.

Jetzt wirkte er traurig, resigniert und seine Schultern sanken ein Stück herab.

Der Junge verfolgte den Mann mit seinen Augen, als er sich vor ihm hinkniete. Eine Bewegung, die vor tödlicher Eleganz strotzte.
„Dafür ist es zu spät. Sie haben zu viel Energie genommen."
Er senkte fast schon beschämt den Kopf. „Ich konnte sie nicht aufhalten"

Der Junge zitterte und sah zwischen Himmel und Mann hin und her.
„Das ... geht nicht. Ihr müsst etwas tun können! Irgendwas!"
Tränen sammelten sich in seinen Augen.
„Das kann nicht das Ende sein!"

Der Mann sah den Junge lange an. Sein Gesicht ein Bild ebenmäßiger Schönheit. Nicht menschlich.

„Ich kann sie nicht aufhalten", wiederholte er, aber dann hielt er inne, „Zumindest nicht in dieser Welt."
Einer plötzlichen Eingebung folgend, stand er auf und sah zum Himmel, der immer weiter aufriss. Die Risse leuchteten violett und dahinter stand eine wirbelnde Galaxie an Farben. Es wäre wunderschön, würde es nicht da Ende dieser Welt bedeuten.

Plötzlich hob der Mann die Hände im Bogen über seinen Kopf und ein Blitz schlug von oben in ihn ein. Der Junge schrie auf und stolperte zurück. Die Augen vor dem grellen Licht zusammen gekniffen.
Als er sie wieder öffnen konnte, war der Mann von knisternder Magie umgeben. Seine Augen leuchteten und erhellten seine scharfen Wangenknochen.

„Hilfst du mir?", fragte der Mann jetzt und reichte dem Jungen seine geöffnete Hand. Kleine Blitze tanzten über seine Haut, „Ich brauche dich. Anders können sie nicht aufgehalten werden."
Einen Moment sah der Junge zu dem brennenden Dorf. Die Schreie vermischten sich zu einem Rauschen, als in seinem Kopf eine klare Stimme erschallte.
Gemeinsam können wir sie rächen.

Die Gesichter der Menschen, die er an einem einzigen Tag verloren hatte, tauchten vor seinem inneren Auge auf und brachen sein Herz entzwei. Ein Wut band die Splitter fürs erste wieder zusammen und er ballte die Fäuste.

Zitternd wischte er seine Tränen mit dem Handrücken ab und ein heißer Zorn flammte in ihm auf.
Sie hatten ihm alles genommen.

Seine Hand legte sich in die des Mannes und sofort wirbelte die knisternde Energie um sie beide herum.  Die Luft lud sich auf und die Haare des Jungen stellten sich auf. Auch der Wind frischte auf und tanzte kreisend um sie.

Panisch sah der Junge hin und her aber der Mann sagte sanft:
„Keine Sorge. Dir kann ab jetzt nichts mehr passieren."
Er klang traurig.
„Tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Und tut mir leid, was ich dir aufbürde."

Der Junge verstand nicht, aber plötzlich war kein Boden mehr unter seinen Füßen.
Und er fiel
Und fiel.
Und fiel...

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt