29

1.2K 163 15
                                    

Drystan
Blinzelnd stand ich Nemesis gegenüber, die jetzt die Schultern straffte und die Arme ordentlich hinterm Rücken verschränkte. Da sie kein Hemd anhatte, waren ihre vielen Narben gut zu sehen. Lektionen von Allstair, wie ich wusste.

„Du hast mir gerade dein Schwert in den Bauch rammen wollen!", erinnerte ich sie, „Du bist mir eine Erklärung schuldig!"
„Ich bin dir garnichts schuldig", korrigierte sie ruhig und ging geradewegs durch mich hindurch zu ihrem Pferd zurück.

Mein Verstand war noch immer überfordert mit diesem Zustand zwischen hier und dort, als ich herumfuhr.
„Könntest du das bitte lassen!"

Sie sah über die Schulter, während sie das Satteln ihres Pferdes fortsetzte.
„Warum? Du bist doch nicht wirklich hier oder habe ich das falsch verstanden?"

Ich antworte nicht, denn mein Blick ruhte auf dicken, Narben quer über ihren Rücken. Aber es waren keine Narben von Klingen. Das waren Brandnarben.

Ich schluckte und richtete meine Augen auf ihr Gesicht. Mir entging die Warnung darin nicht, also hielt ich meine Fragen zurück.

„Was sind das für neue Verletzungen?", wollte ich stattdessen wissen und sah bedeutend zu ihrer Wange.
Kaum merklich verzog sie den Mund, als sie sich vom Pferd abwandte und zu mir umdrehte.
„Allstairs Assassinen haben mich aufgespürt. Er weiß, dass ich hier bin."

Als ich meinen Blick prüfend über sie gleiten ließ, bemerkte ich neben den Narben noch blaue Flecken.
„Bitte sag mir, dass die anderen übler dran sind."
Sie schien kurz drüber nachzudenken.
„Nun... es ist mir nicht gelungen, sie mit meinen Klingen zu verletzen, aber ich konnte sie das Dach runter werfen und entkommen."

Besorgt kam ich wieder näher und berührte sanft ihren Arm. Also so richtig berühren ja auch nicht, aber an der Stelle spürte ich ein seltsames Kribbeln. Nemesis sah ebenso stirnrunzelnd auf meine Hand.

„Geht es dir abgesehen davon gut?", wollte ich ehrlich wissen. Diese Frage hätte ich eigentlich schon viel früher stellen sollen.

Sie blinzelte überrascht und sah dann weg.
„Die Verletzungen sind nicht allzu schlimm-"
„Ich meine nicht deine Verletzungen", unterbrach ich sie und fing ihren Blick auf, „Ich meine Allstair. Du bist wieder in Leymalien, obwohl du allem Grund hast, so weit zu verschwinden, wie es nur geht."

Nemesis' Gesicht wurde ausdruckslos, wie es es immer tat, wenn man auf den leymalischen König zu sprechen kam. Aber schließlich atmete sie aus und ihre Mauern wurden eine Spur dünner.
„Es... beschäftigt mich, aber ich komme zurecht."

Mehr Offenheit konnte man in dieser Hinsicht wohl nicht erwarten, aber ich nickte und ließ es bleiben.

„Also, weswegen ich hier bin", fing ich an und hatte sofort ihre volle Aufmerksamkeit, „Allstair hat seine Infizierten eingesetzt. Alle gleichzeitig an unserer gesamten Front. Chara und ich konnten unseren Teil der Grenze wegen der Magie halten, aber mit hohen Verlusten. Der Rest musste sich zurück ziehen. Wir haben das gleiche getan."

Meine ehemalige Leibwächterin ließ die Worte einsinken und erfasste schnell die Lage. Aber darüber hinaus erkannte sie noch mehr:
„Du hast deine Magie akzeptiert. Und es hat dich einen Preis gekostet."
Mit dem Kinn deutete sie auf meine schwarze Hand. Wortlos hob ich diese an.
„Zu viel Magie wohl eher", erklärte ich, „Anders hätten wir die Schlacht verloren."

Sie verfolgte meine Hand mit den Augen, als ich sie wieder neben meinen Körper fallen ließ, ehe sie ihren Blick wieder auf mein Gesicht richtete.
„Es sieht aus wie die Haut der Infizierten."
Schulterzuckend nickte ich.

„Also, was willst du von mir?", nahm sie den Faden wieder auf, „Ich bin immer noch mehrere Tage von der Wüste entfernt. Und ich reite so schnell ich kann."
Ich horchte auf. „Also hast du das Amulett im Götterschlund gefunden?"
Zur Antwort holte sie etwas goldenes aus ihrem Stiefel. Das magische Amulett, von dem das Geistwesen erzählt hatte, war ein Drache, der sich um einen funkelnden Smaragd schlängelte.

„Sehr gut"
Die Tatsache, dass sie das Amulett bereits hatte, gab mir ein wenig Hoffnung, dass nicht alles verloren war. Also fragte ich:
„Wie lange brauchst du, bis du die Magie der Götter hast?"

Langsam verschränkte sie die Arme vor der Brust, das Amulett baumelte noch immer in ihrer Hand.
„Drystan, ich bin bereits am Limit. Schneller geht es nicht."

Wenn Nemesis selbst sagte, dass sie am Limit ihrer Fähigkeiten war, war das eigentlich ein eindeutiges Signal, nicht weiter zu drängen, aber ich hatte die schwarze Armee an Infizierten vor Augen, die aus dem Pass geströmt war. Ich spürte wie die Leben derer erloschen, die ich mit meinem Licht getötet hatte und ich konnte auch die müden, hoffnungslosen Gesichter der überlebenden Soldaten nicht vergessen.

Also fragte ich nach kurzem Zögern: „Was ist mit deiner Magie? Du bist doch so schnell, dass wir die Bewegung nicht mal sehen. Kannst du damit nicht zur Wüste rüber?"

Lange sah sie mich einfach nur an. So lange, dass es mir unangenehm wurde und ich von einem Fuß auf den anderen trat, bis sie schließlich ruhig sagte:
„Damit das funktioniert muss ich mich aufladen. Ein Infizierter muss mich verletzen und ich kann das Blut in Magie umwandeln, oder wie auch immer man meine Fähigkeiten bezeichnen möchte."

Ich hörte auf mich zu bewegen und sah sie überrascht an. Aber es ergab Sinn.
„Deswegen hast du deine Kräfte erst erwacht, als Allstair dir das schwarze Blut gespritzt hat."

Sie zeigte keine Reaktion, aber ihr bestätigendes Nicken wirkte etwas steif. Auch ich erschauerte, wenn ich an die kalten Wände der Burg zurückdachte und die Schmerzen, die durch meinen Körper gejagt waren, als Allstair meine Magie stehlen wollte.

Trotzdem war Nemesis präsent genug, um mein Schweigen zu deuten:
„Du willst, dass ich es trotzdem mache."
Es war eine Feststellung, keine Frage, trotzdem erwiderte ich:
„Wenn du es nicht tust, wird Allstair Koranée einnehmen. Wir haben keine Chance. Wir hatten sie nie."
Ich trat einen Schritt näher und sah sie direkt an.
„Die einzige Chance, die wir haben, bist du."

Mir entging nicht, wie sie sich versteifte, als ich näher kam, also blieb ich wieder stehen. Auch wenn ich nicht ganz verstand, warum sie so reagierte.
Etwas war passiert, von dem sie mir nichts erzählte. Etwas im Götterschlund, anders konnte es nicht sein.

„Ich beeile mich", presste sie hervor.
„Versuch es mit deiner Magie", flehte ich, „Anders können wir diesen Krieg nicht gewinnen. Ich gebe unseren Truppen nicht länger als zwei Wochen bis Allstair das Schloss erneut einnehmen kann. Und sobald Traddis fällt, ist es aus."
Ihre Brust hob und senkte sich und ich runzelte die Stirn. Sie wirkte... aus der Fassung. Was ich bei ihr so gut wie nie erlebte.

„Ich werde mich von einen Infizierten verletzen lassen und mit meiner Magie zur Wüste reisen", sagte sie leise und ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass sie wütend war, „Aber teleportier deinen Geist nicht nochmal."
„Was... warum nicht?"
Sie wandte mir den Rücken zu. „Ich will sehen, ob du mir vertraust."

Nemesis
Er zögerte einen Moment, aber dann verschwand das Bild von Drystan in meinem Rücken und ich musste mich gegen den Baum stürzen.

Ihn so zu sehen, in schlichter Hemd und Hose, barfuß und mit dem aufrichtigen Blick, hatte mich nach der Illusion im Götterschlund mehr getroffen, als es sollte. Denn alles woran ich hatte denken können, war das Messer, das er mir in den Bauch rammte.

Ich legte eine Hand auf meinen Bauch, während ich versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.
Und dann hatte ich ihn in meinem letzten Traum wieder gesehen. Wo er mich erneut verraten und getötet hatte.

Im ersten Moment hatte ich sein Erscheinen für Nachwirkungen des Götterschlunds gehalten. Als ich ihn nicht berühren konnte, wie es bei der Illusion der Fall gewesen war, hatte ich ihm schon eher geglaubt. Trotzdem war da eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass er mich verraten würde.
Und ich hasste den Götterschlund dafür.

Düster musterte ich das Amulett in meiner Hand und ich dachte an den jungen Mann, den ich in meinen Traum gesehen hatte. Sein Gesicht und dieses wissende Lächeln ließen mich nicht mehr los. Vor allem konnte ich jedoch das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Teil mit ihm auf der Ebene kein Traum gewesen war. Dafür hatte es sich zu seltsam angefühlt.

Ich schüttelte den Kopf, um mich zu sammeln und legte mir das Amulett neben Drystans Ring wieder um den Hals. Kaum hatte es meine Haut berührt, spürte ich einen Sog. Wo die Wüste auf mich wartete.

Seufzend sattelte ich mein Pferd zu Ende, zog mir wieder meinen Kampfanzug an und stieg auf.
Es sah so aus, als müsste ich mir ein paar Infizierte suchen.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt