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Nemesis
Regungslos starrte ich auf Naevans Körper vor mir, der plötzlichen erschlafft war. Und auf einmal wünschte ich mir seine Schreie zurück.

Meine Hände zitterten als ich erst langsam, dann immer hektischer nach seinem Herzschlag tastete.
Da war nichts.
Stille.

„Naevan?", flüsterte ich und biss mir auf die zitternde Lippe. Das Beben breiteten sich in meinem ganzen Körper aus und ich fühlte auch meine Brust. Mein Herz schlug noch, aber in dem Moment, in dem Naevan erschlafft war, war etwas in mir gerissen. Es fühlte sich an als wäre da ein klaffendes Loch. Eine gähnende Leere, von etwas, von dem ich nicht gewusst hatte, dass es existiert hatte.

Naevan antworte nicht. Natürlich nicht.

Langsam rutsche meine Hand von seinem Körper und ich lehnte mich ein Stück zurück.
„Ich höre deinen Herzschlag nicht", sagte ich erstickt.
Das stetige Wummern, das mich aus der Panik riss war fort. Der Rhythmus, den ich immer wahrgenommen hatte. Bewusst oder unbewusst.
Er war weg.

Riniah und Xenos standen vor uns, zwei zu Menschen gewordene Sterne. Gebadet in Licht und Macht. Die Augen der anderen waren fasziniert und ehrfurchtsvoll auf sie gerichtet, sodass sie von mir kaum etwas mitbekamen.

„Könnt ihr die Infizierten vernichten? Könnt ihr Arnicus aufhalten?", wollte Chara hoffnungsvoll wissen.
Xenos lächelte sanft und nickte.
„Sobald ihr wieder auf eurer Ebene seid, vernichten wir gemeinsam die Infizierten."
Drystans Augen leuchteten auf.
„Heißt das, der Kampf ist vorbei?"
Xenos und Riniah tauschten einen stummen Blick, dann erinnerte uns die Göttin des Lichts
„Für die Soldaten, ja, aber ihr müsst euch immer noch König Allstair und Arnicus vornehmen. Ansonsten erschafft er einfach wieder neue."

Trotzdem hatten alle erleichterte Mienen aufgesetzt.
„Dann müssen wir uns beeilen, die Infizierten haben die Tore sicher längst erreicht!", bemerkte Martell und packte kampfbereit sein Schwert.
Auch in Aramis kam neuer Tatendrang.
„Mit der Magie schaffen wir das auch."

Drystan lächelte. „Ja. Wir können das ganze endlich beenden."

Immer noch lächelnd wandte er sich zu mir um, doch kaum sah er mich, verblasste es.

Auch die anderen sahen nun zu uns rüber und schienen jetzt erst wirklich zu verstehen, was geschehen war. Trotzdem war es nur Drytsan, der sich neben mich kniete.

„Nemesis, das tut mir so leid."

Doch in meinen Ohren rauschte es und ich starrte einfach nur auf Naevans leblosen Körper. Auf die Wangen, die nicht mehr gerötet waren, weil er mich geküsst hatte.
Seine Augen, die mich vorher voller Wärme angesehen hatten, waren starr geradeaus gerichtet. Er sah also nicht mal so aus als würde er schlafen.
Er war tot.

Eine Sekunde war ich noch regungslos. Zu geschockt von den Empfindungen, die wie eine Welle über mich hereinbrachen und den gähnenden Loch in meinem Inneren.
Mir war nie bewusst gewesen wie stark ich seine Präsenz immer wahrgenommen hatte.

„Nemesis?", Drystan berührte mich an der Schulter, aber ich schlug seine Hand weg ohne den Blick von Naevan abzuwenden.

Das Rauschen in meinen Ohren wurde lauter und mit einem Brüllen, dass die Ebene zum erzittern brachte, kam mein Sturm an die Oberfläche.

Drystan zuckte zurück, bei der Energie, die plötzlich von mir ausging, aber ich blendete alle anderen aus und versank vollständig in der Flut an Gefühlen, die meinen Sturm nährten.

Vor meinem Auge blitzen die Gesichter meiner vermeintlichen Familie auf.
Die Bibliothekarin.

Bis hierhin war ich eine Schachfigur gewesen. Eingesetzt, um den Götter ihre Magie zu bringen. Aber diesen Punkt hatte ich erreicht, Schach war gesetzt.
Aber beim letzten Zug rechnete man nicht damit, dass das Spiel sich änderte.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt