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Nemesis
Naevan nickte ernst und ließ sich elegant im Schneidersitz zu Boden gleiten. Eine Bewegung so lautlos, so natürlich, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
Als ich es ihm gegenbüber gleichtat, fiel mir ein, dass er genau so im Tempel dar gesessen hatte, als ich gekommen war, um die Magie zu holen.

"Was ist mit deinen Erinnerungen?", fragte ich leise.
Das Lächeln, dass er mir schenkte, war kein fröhliches Lächeln.
"Ich habe Übung."

Nickend bohrte ich nicht weiter nach, sondern fokkussierte mich auf das Unbekannte. Beunruhigt stellte ich fest, dass ich nervös war. Vermutlich, weil ich sowas noch nie getan hatte.

Wobei ich zugeben musste, dass die Nervosität nicht von der Bedingung kam, Naevan zu vertrauen. Das war überraschenderweise der leichte Teil.
Nein, es ging um die Erinnerungen und was ich dem Hüter gegenüber preisgeben könnte.

Ohne die Augen von meinem Gesicht abzuwenden, rutschte er näher ran, sodass unsere Knie sich fast berührten. Dann hielt er mit seine geöffneten Handflächen hin.

Gerade wollte ich meine Hände drauflegen, da murmelte er leise: "Ohne Handschuhe"
Meine Hände erstarrten. "Was?"
"Wir brauchen Hautkontakt, sonst kann ich dich nicht mit mir nehmen"

Meine Miene von Außen immer noch unbeteiligt, wappnete ich mich und zog die Handschuhe aus. Ohne sie fühlte ich mich verwundbar und mir fehlte ein Anker, der mich beruhigte. Sie waren wie Messer, mit denen ich mich sicherer fühlte.

Trotzdem zwang ich mich dazu, meine Hände auf seine zu legen. Seine Handflächen waren warm, wenn auch schwielig vom Umgang mit seinem Stab. Auch wenn die Sonne bereits unterging, waren meine Narben deutlich zu sehen.

Einen Moment lang ruhten seine Augen auf unseren Händen, dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf mein Gesicht. Da war kein Schalk, keine Überheblichkeit.
Er war todernst. Und mit seinem Blick gab er mir zu verstehen, dass er verstand, wie schwer das Loslassen der Handschuhe war.

"Schließ deine Augen und lass dich einfach fallen. Es wird anfangen zu kribbeln und du wirst merken, wie du abdriftest. Halte dich nicht an deinen Körper fest. Lass einfach los."

Ich nickte und hinderte meinen Atem daran schneller zu gehen.

Also schloss er die Augen und ich tat es ihm nach. Die Stelle, an der unsere Hände sich berührten, überdeutlich spürend. Aber auch wenn ich mich mit der bloßen Haut unwohl fühlte, so hielt Naevans Duft und die Berührung mich davon ab, in Erinnerungen zu versinken.Vor allem da ich in der Stille der Bibliothek, umgeben von alten Wissen und Worten, seinen Herzschlag hören konnte, der mich erdete.

Das versprochene Kribbeln setzte ein. Von unseren Händen aus, wanderte es meine Arme hoch und verteilte sich in meinem ganzen Körper. Es war nicht das elektrisierende Kribbeln, wie wenn Naevan und ich die Verbindugn zwischen uns spürten. Es war etwas, dass einen schwerelos werden ließ und träge machte.
Ich merkte, wie mir das Bewusstsein entglitt und mein erster Instinkt war dagegen anzukämpfen, doch Naevan drückte sanft meine Hand.

Ich vertraute ihm.
Also ließ ich los.

Als ich die Augen blinzelnd öffnete, war die Bibliothek verschwunden. An ihrer Stelle erstreckte sich eine endlose Spiegelebene vor mir, die beinahe nahtlos mit dem blauen Himmel und den fluffigen Wolken am Horizont verschmolz.

"Hier habe ich dich das erste mal gesehen", wurde mir klar, als ich den Kopf zu Naevan neben mir drehte, "Im Traum."
"Nur, dass es kein Traum war. Unser Geist war wirklich hier", bestätigte er und setzte sich in Bewegung. Bei jedem Tritt wellte sich die Oberfläche der Bodens wie Wasser.

Ich folgte ihm, nahm die friedliche Stille in mich auf und die Tatsache, dass wir ganz allein waren.

"Wie konnte ich hierhin gelangen, wenn ich nicht mal davon wusste?"
Naevans Miene wirkte hier entspannter, als wäre ihm diese Ebene viel vertrauter, als die reale Welt. Vielleicht war das auch so, da es nicht seine war.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt