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Nemesis
Naevan ging einen Schritt hinter mir, als er mir durch die Gänge des Schlosses bis zur Bibliothek folgte.
Ein Schritt war nicht weit genug.

Ich spürte seine Präsenz, seine Stärke im Rücken. Auch wenn er sich komplett lautlos bewegte, wie ich.

Aber ich zwang mich dazu, mich nicht umzudrehen sondern hatte den Blick starr geradeaus gerichtet.
Seit wann drohte mir in seiner Gegenwart so die Kontrolle zu verlieren? Wann war das passiert?
Am Lagerfeuer, als ich zum ersten Mal die Verletzlichkeit in seinen Aucen gesehen hatte?
Oder gestern Nacht?

Kräftiger als beabsichtigt stieß ich die schweren Holztüren der Bibliothek auf und uns offenbarten sich massenweise Regale an Büchern.
Sie füllten den Raum von oben bis unten, die Empore eingeschlossen. Das Licht fiel durch die Glaskuppel und brachte den Staub zum tanzen.

Da hier durchaus sehr alte Exemplare standen, stieg mir der Duft von Pergament in die Nase. Er lullte mich ein und mein Innerstes wurde ruhig.
Dann Blitze das Gesicht der geklopften Bibliothekarin vor meinem inneren Auge auf und der Moment war vorbei. Mit einem leichten Kopfschütteln versuchte ich dir Erinnerungen zu vertreiben, aber ihr Geist würde mich wohl in jeder Bibliothek heimsuchen.

Naevan schien den Ort zu mögen, zumindest entspannten sich seine Schultern ein Stück, als er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. Abgesehen von uns war niemand hier.

„War im Tempel auch eine Bibliothek?", fragte ich und er wandte mir den Kopf zu, „Oder wie konntest du nach einem Schlupfloch suchen?"
Sein Lächeln war geheimnisvoll.
„Sowas in der Art."
Aber er würde es mit natürlich nicht verraten.
Arschloch.

Als ich auf seine Provokation trotzdem nicht reagierte, machte Naevan eine vage Handbewegung, die die gesamte Bibliothek miteinschloss.
„Also? Wie gehen wir vor?"

Wenig später fanden wir uns in einer Abteilung wieder, die göttlichen Texten gewidmet war und ich lud jedes Buch, dass irgendwie ansatzweise relevante Informationen enthalten könnte, auf Naevan.

Während ich also die Leiter hoch und runter kletterte um aus allen Reihen Bücher zu nehmen, stand er geduldig daneben und hielt die Werke fest, die ich von oben auf ihn drauf war. Und sie landeten immer in einem geraden Stapel aufeinander.

„Also zielen kannst du", bemerkte Naevan, als ich ein weiteres Buch von oben zu ihm runter warf. Dabei klang er nicht im geringsten angestrengt, obwohl er bestimmt schon an die zehn, dicken Bücher seit einer halben Stunde umher trug.

„Ich treffe mein Ziel", erwiderte ich und sah zu ihm runter, „Immer."
Er fing meinen Blick auf und wieder lud sich die Luft zwischen und elektrisch auf. Für einen Moment hörte ich auf zu atmen.

Wieso reagierte ich so auf ihn? Kein Mann sollte so einen Einfluss auf mich haben.

Naevan schien sich an heute Morgen zu erinnern, denn er wandte den Blick ab und auch ich fokussierten mich wieder auf die Bücher.

Mittlerweile mit einem so großen Stapel, dass sogar sein Gesicht verdeckt wurde, folgte Naevan mir weiter durch die Regale. Dabei trug er die Wälzer so mühelos, als wären sie Luft.

Als ich gerade die Titel in einem der tieferen Regale überflog, sah ich kurz auf seine Arme, die sich durch das halten der Bücher wölbten.

„Starr nicht zu lange" ertönte es hinter den Stapel aus Büchern.
„Sei nicht eingebildet", antwortete ich, ohne den Hauch davon durchdringen zu lassen, dass er mich beim Starren seiner Muskeln erwischt hatte.
Auch wenn er das definitiv hatte.

Schließlich entschied ich, dass wir genügend Bücher hatten und führte ihn zu einen der Tische in der Mitte. Mit einem leisen Knall landeten die Bücher auf dem alten, schweren Holz und Naevan stützte die Hände in die Hüfte.
„Das werden lange Stunden", bemerkte er mit einem Blick auf die alten Schinken.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt