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Nemesis
Der Geist mustere neugierig auf seine Reaktion Naevans Gesicht. Die violetten Augen wachsam auf ihn gerichtet, während das weiße Haar elegant über den Sessel drapiert war.

Doch Naevan, stets gefasst wir er war, gab der Frau die Genugtuung und nickte nur knapp.
„Ähnliches habe ich mir schon gedacht."

Innerlich grinste ich, denn ich glaubte einen enttäuschten Zug um den Mund des Geistes zu bemerken, als hätte er sich eine geschocktere Reaktion erhofft. Aber dieser Ausdruck war schnell wieder verschwunden und die Frau strich ihre fliederfarbene Robe glatt. Dabei klimperte der viele Goldschmuck an ihren Handgelenken.

„Ist das alles, was ihr wissen wollt?"
„Wie wird Allstair uns angreifen? Was genau ist seine Strategie?", stellte ich die nächste Frage.
Mit einem gelangweilten Blick in meine Richtung seufzte das Geistwesen:
„Süße, ich kann nicht in die Zukunft sehen. Ich kenne nur die Vergangenheit."

Ruckartig klatschte es in die Hände, aber weder Naevan noch ich zuckten mit der Wimper.
„So. Mehr Antworten gibt es heute nicht. Ich darf auch nur begrenzt in den Lauf der Dinge eingreifen, indem ich euch diese Dinge verrate."
Die Frau stand lautlos auf, also erhoben wir uns ebenfalls.
„Beim nächsten Besuch, fordere ich meine Erinnerungen ein", warnte die Frau uns mit einem wissenden Funkeln in den Augen, „Also überlegt euch gut, wie wichtig euch die Antwort ist."

Naevan nickte knapp und auch ich schenkte dem kaum Beachtung.
So wie es aussah, würde es für mich keinen nächsten Besuch geben.
Wieder drängte ich die Angst zurück und folgte stattdessen Naevan, der um die Sessel herum ging und auf die sich manifiestierende Tür zuhielt. Es war die gleiche aus Elfenbein und Bronze, die uns hierher gebracht hatte.

Das Geistwesen beobachtete, wie Naevan mir elegant die Tür aufhielt.
„Ladies first."
Ich verdrehte die Augen und wollte gerade hindurch gehen, da erklang es von der Frau:
„Naevan."
Wachsam drehten wir uns beide um.

Ein wissendes Lächeln lag auf ihren schmalen Lippen.
„Es ist möglich."

Naevans Miene versteinerte und sein Blick zuckte zu mir. Doch nicht mal eine Sekunde später war in seinem Gesicht nichts mehr zu lesen.

Ich wusste nicht, worauf der Geist anspielte, aber ich sah die Warnung in Naevans Augen. Das war kein Thema, von den ich mir Antworten erhoffen konnte.

Also trat ich mit flauen Magen durch die Tür und ließ mich vom gleißenden Licht verschlucken.

Dadurch gelangten wir wieder auf diese Spiegelebene, die im Vergleich zu der mystischen Plattform von eben absolut grell war.
Blinzelnd zwang ich meine Augen dazu, sich an den hellen, blauen Himmel zu gewöhnen.

Ich spürte Naevan, als er hinter mir ankam, aber ich drehte mich nicht um. Denn welche Barriere auch immer ich um meine Gedanken gebaut hatte, sie hielt nicht mehr stand.
Ich würde sterben.
Ich würde verdammt noch mal ins Gras beißen.

Der Hüter setzte sich wortlos in Bewegung und wie ferngesteuert folgte ich ihm, während meine Gedanken immer weiter zu rasen begannen.

Ich würde sterben. Weil ich einen Deal mit einem Gott nicht erfüllen konnte.
Alles, was ich wollte, war, dass Allstair am Boden lag und zu meinen Füßen verblutete. Dass er durch meine Hand starb. Dass ich ihn überdauerte. Ihn endgültig überlebte.
Aber nein. Dies war mir nicht vergönnt.

Mein Leben lag nicht mehr in meiner Hand. Ich konnte es nicht kontrollieren.
Die Kontrolle war mit entrissen worden.
Entscheidungen. Entscheidungen hast du nicht zu treffen.

Der erste Gedanke an den leymalischen König, öffnete weitere Türen, die ich in meiner plötzlichen Panik nicht blockieren konnte.

Ich erlaube keine Schwäche.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt