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Nemesis
Als wir aus dem Tempel traten wurden wir zu meiner Verwunderung nicht vom Wind erschlagen. Es war tatsächlich windstill.
Zumindest bis die verfallenen Steine des Tempels  aufhörten. Ab dort war eine tobende Wand aus goldbraunen Sand.
Ich legte den Kopf in den Nacken. Die sich über uns wölbte und letztendlich einschloss. Das Gebiet des Tempels war von dem Sturm vollkommen unberührt.
Aber Mann war es heiß! Fast vermisste ich die kühle Luft des Tempels.

Langsam stieg ich die flachen Stufen herab und ging über den heißen Sand bis zu der Stelle, wo der Sturm anfing. Es war wirklich eine klar Linie, die mich von dem Sand trennte.
Zwar spürte ich ihn nicht, aber ich konnte den pfeifenden Wind hören. Es fühlte sich surreal an.

Hinter mir kamen Naevan und Kiro aus dem Tempel und folgen mir bis wenige Zentimeter vor dem Sturm. Kiro in seinem dünnen Mantel mit den überkreuzten Stoffbahnen und der braunen Hose, die etwas zu kurz schien. Naevan mit undurchdringlicher Miene, Stoffstreifen quer über der Brust und die gezauberte Tasche umgehängt. Beide barfuß und unbeeindruckt von dem heißen Sand.

„Die Barriere um den Tempel hält auch den Wind fern", beantwortete Kiro meine unausgesprochene Frage.
Stirnrunzeln hielt ich meinen Blick auf den Sand gerichtet.
„Ich habe die Barriere zerstört."
Das beeindruckte Naevan nicht im geringsten: „Ich hab sie wieder aufgebaut."

Ich ging gar nicht erst auf seinen überheblichen Ton ein, sondern bereitete mich mental auf das Kommende vor. Denn es würde mir nicht gefallen.

Mit starrer Miene hielt ich ihnen beiden meine Hand entgegen. Kiro wirkte einfach irritiert, aber Naevan sah den Stoff des Handschuhs fast schon angeekelt an.
„Was?", stichelte er, „Hast du doch weiche Beine gekriegt?"
„Ihr warf diejenigen, die sich nicht trauten in den Sturm zu gehen, bis ich euch dazu gezwungen habe", stellte ich die Tatsachen richtig, „Und ohne Körperkontakt kann ich euch nicht in die Zeit mitnehmen."
„Ich bin von deinem Hokuspokus nicht betroffen", erinnerte er mich. Denn während unseres Kampfes hatte ich ihn nicht einfrieren können.
„Und du kannst du Zeit nicht ‚anhalten' "

„Du meintest außerhalb des Tempels funktioniert deine Magie nicht."
„Das ist auch keine Magie", sein Ton war genervt, „Ich bin lediglich genauso schnell wie du."

Ich sah ihn verwirrt an und er stieß einen weiteren leidgeprüften Seufzer aus.
„Streng genommen hälst du Zeit nicht an. Du bewegst dich lediglich so schnell, dass das normale Auge es nicht sehen kann und alle anderen für dich sehr viel langsamer sind als du."
Ich begann zu verstehen und er fuhr fort:
„Aber wenn ich genauso schnell bin wie du, ist es egal."
Als ich nichts erwiderte, setzte er hinzu.
„Also streng genommen ist es weder Magie noch Hokuspokus mit der Zeit."

„Es gibt auch Wege, wo du weniger Atem verschwendest, um mir zu sagen, dass du meine Hand nicht halten willst", meinte ich trocken und ließ meine Hand wieder fallen. Fragend sah ich zu Kiro.

Dieser lächelte mich schräg an.
„Ich nehme sie gerne, sonst werde ich davongepustet."
Ich erwiderte das Lächeln nicht, aber trotzdem empfand ich ihm gegenüber weniger Abneigung, als Naevan.

Die Männer bemerkten es nicht, als ich mich bei Kiros Griff versteifte und ich versuchte nicht darauf zu achten. Wichtiger war der Sand vor mir.

Also griff ich - mit der von Naevan verliehenen Magie - nach meinem Sturm und der Sand vor uns kam zum Stillstand. Kaum hatte ich den Sturm an die Oberfläche gezerrt, schoss Naevans Kopf zu mir herum, die Augen ein Stück geweitet.

Ich glaubte ein silbernes Schimmern zu sehen, aber nach dem ersten Blinzeln war es fort und seine Miene ebenso unnahbar wie meine.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt