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Nemesis
Zwischen Naevan und mir herrschte Schweigen. Keiner erwähnte den vorangegangen Kampf oder den kurzen Moment, als wir uns nahe gewesen waren.

Wir hassten uns, erinnerte ich mich.
Das machte es für uns beide einfacher. Wir mussten uns nicht mit dem auseinandersetzen, was auch immer gerade zwischen uns begann.
Es verhinderte die Gefahr verletzt zu werden.

Kurz schoss mein Blick zum Prinzen.
Oder die Gefahr verraten zu werden.

Das Bild wie Drystan über mir aufragte, den blutigen Dolch in der Hand und voller Schmerz, aber dennoch mit der Gewissheit, dass er das richtige tat, flackerte vor meinen Augen auf, ehe ich es wegblinzeln konnte.

Ich hasste es, dass der Götterschlund mich verfolgte. Und ich hasste es, dass Illusion-Drystans Verrat mich so mitnahm.
Du brauchst niemanden.
Liebe macht schwach.
Du gehörst mir.
Ich wusste, ich sollte weder Drystan noch Naevan so weit in mein Herz schließen, dass sie meine Schwäche waren. Das widersprach allem, was mir anerzogen wurde. Allem, was dafür gesorgt hatte, dass ich überlebte.

Aber etwas entstand zwischen mir und Naevan, das nicht sein durfte. Das hatte ich während des Kampfes mehr als gespürt.

Ich zog meine Mauern höher, stopfte meine Gefühle weg und breitete Eis in meinem Innersten aus.
Naevan und ich hassten uns. Etwas anderes konnte ich nicht zulassen.

Schon vom Weiten hörte man die Stimmen der Menschen vor den Toren, die verzweifelt Einlass in die Stadt und damit Schutz vor Allstairs Truppen verlangten.
Im Vergleich zu gestern, als Naevan und ich die Tore passiert hatten, war die Menge sogar noch größer geworden. Als Reaktion hatte man auch die Anzahl der abgestellten Gardisten erweitert, um die Bewohner von außerhalb in Schach zu halten.

Frauen und Kinder hatten Vorrang, weswegen diese aus der Menge gegriffen, eingetragen und einzelnd in die Stadt gelassen wurden. Diejenigen, die bereits Einlass gewährt bekommen hatten, warteten auf der anderen Seite, also im Inneren, bis ihre Liebsten auch noch eine Chance bekamen.

Hier wurden die wartenden auch schon von Stadtbewohnern abgeholt und in die improvisierten Notunterkünfte geleitet. Also die leer stehenden Häuser.

Naevans Gesicht war so ausdruckslos, wie meines und unwillkürlich fragte ich mich, wie es für ihn war.
Wie sah man die Welt, wenn es nicht die eigene war? Wenn die Menschen, denen man begegnete, gänzlich andere waren?

Mein Herz zog sich zusammen, wenn ich bedachte, wie unfassbar allein er sich fühlen musste. Die Einsamkeit, die er ausgestrahlt hatte, als ich ihn aus der Panik am Lagerfeuer gerissen hatte, ergab nun Sinn.
Ich kannte Einsamkeit, ja. Aber ich kannte es nicht fünfhundert Jahre lang.
Und dann die eigene, ganze Welt verlieren...

Es war Drystan, der sich jetzt zu Naevan umdrehte.
„Seht Ihr, was der Krieg macht? Ihr könntet das alles beenden."
Sein Gesicht war bei der spürbaren Verzweiflung der Landleute verzogen.

Der Hüter schnaubte. „Spart Euch die emotionale Manipulation, Prinz."
„Es geht nicht um Manipulation", erwiderte Drystan, „Es geht um genau diese Menschen da. Um mein Volk, das leiden muss, obwohl Ihr es verhindern könnt."
Chara trat zu ihrem Ehemann und sagte mit weniger Vorwurf in der Stimme:
„Ohne die Magie können wir nichts für sie tun, außer sie warten zu lassen, bis sie sterben oder versklavt werden."
Ohne von seiner starren Miene eingeschüchtert zu sein, sah sie Naevan direkt an.
„Ihr seid nicht so herzlos, dass ihr ein derartiges Schicksal über irgendwen wünscht."

Der Rest von uns stand stumm daneben und verfolgte das Gespräch. Martell und Aramis behielten Naevan angespannt im Auge, denn auch sie bemerkte die Veränderung in seiner Haltung.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt