Kapitel 6

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HEATHER

Am nächsten Morgen saß ich im Wintergarten des Schlosses und las ein Buch, als eines der Dienstmädchen zu mir kam. Ich erkannte sie nicht, denn während ich im Internat gewesen war, hatten viele der Bediensteten gewechselt und daher kannte ich nicht jedes Gesicht, das nun hier im Palast herumlief. Sie blieb allerdings direkt vor mir stehen und verbeugte sich knapp, worauf ich mein Buch zur Seite legte, um sie ansehen zu können.
"Eure königliche Hoheit, ich soll Euch von Jonathan ausrichten, dass Ihr heute nicht rausgehen könnt, er muss sich leider freinehmen, wegen einem Familiennotfall", berichtete sie mir. Familiennotfall? Das klang ernst, das konnte ich unmöglich einfach so stehen lassen! Ich schlug mein Buch zu und stand auf.
"Danke. Ist er noch da, wissen Sie das zufällig?", erwiderte ich, die junge Frau nickte.
"Ja, vorhin habe ich ihn noch auf seinem Zimmer gesehen", antwortete sie, ich nickte.
"Danke sehr", meinte ich und hielt ihr mein Buch hin. "Könnten Sie das bitte auf mein Zimmer bringen? Ich würde gerne so schnell wie nur möglich mit Jonny reden." Verwirrt sah sie auf das Buch hinunter, das noch zwischen uns in der Luft hing.
"Aber ich... Ich habe doch gar keine Erlaubnis, in Euer Zimmer zu gehen, Eure Hoheit", wandte sie unsicher ein.
"Jetzt schon. Wirklich, es ist in Ordnung. Und wenn die Wachen Sie nicht reinlassen, geben Sie ihnen bitte das Buch. Das wäre nett von Ihnen", erwiderte ich, sie nickte und nahm das Buch etwas schüchtern an.
"Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit", meinte sie, verbeugte sich noch einmal und verschwand dann im Inneren des Palastes. Ich hingegen lief zum Haus der Bediensteten und die Treppe hinauf, wo Jonny im zweiten Stock eine kleine Suite bezog. Seine Tür war wie immer nur angelehnt, aber ich klopfte trotzdem dagegen und betrat dann das Zimmer. Brummend lief Jonny durch sein Zimmer, doch blieb stehen und drehte sich zu mir um, als ich die Tür hinter mir schloss.
"Hi, Jonny. Mir wurde gerade gesagt, dass du einen Familiennotfall hast. Was ist passiert?", fragte ich besorgt nach. "Also, nur, wenn ich fragen darf. Ich will dir nicht zu nahe treten." Sofort verschwand der grimmige Ausdruck meines Bodyguards und wandelte sich in ein Lächeln um.
"Nicht zu nahe treten? Ich hab mal deine Windel gewechselt! Viel näher kann man sich ja gar nicht kommen", grinste er. "Aber das ist eine verzwickte Sache mit meiner Familie."
"Ich hab Zeit", wandte ich ein und ließ mich auf einem seiner Sessel nieder. "Wenn du willst, kannst du es mir erzählen. Vielleicht kann ich dir ja auch helfen." Jonny lachte.
"Du bist die Kronprinzessin, Heather, nicht Wonderwoman! Ich hab keine Ahnung, ob uns überhaupt noch jemand helfen kann", meinte er und schüttelte den Kopf.
"Lass es mich doch wenigstens versuchen! Bitte, erzähl mir, was los ist", bat ich und sah ihn mit einem Hundeblick an, der bisher immer bei ihm gezogen hatte. Und auch dieses Mal schien es zu klappen, denn Jonny seufzte und setzte sich mir gegenüber hin.
"Na gut, in Ordnung. Mein Sohn hat gestern Abend Mist gebaut und meine Ex ist der Meinung, dass er herkommen soll. Ich bin davon nicht begeistert, aber es geht wohl nicht anders und keine Sorge, ich lasse ihn nicht in deine Nähe", erklärte er knapp, aber so einfach ließ ich mich nicht abwimmeln.
"Was hat er denn angestellt?", fragte ich weiter neugierig nach. "Du hast nie viel von ihm erzählt und ich würde ihn gerne mal kennenlernen." Jonny schüttelte sofort den Kopf.
"Nein, das willst du nicht, glaub mir. Blane ist... speziell. Es ist besser, wenn du ihn nicht kennenlernst", wehrte er sofort ab. Blane also. Jonnys Sohn hieß also Blane. Irgendwie gefiel mir der Name.
"Doch, würde ich gerne. Vielleicht hab ich ja einen guten Einfluss auf ihn", widersprach ich ihm sofort.
"Das hast du nicht, Heather, bei allem Respekt, aber Blane hat auf jeden, dem er begegnet, einen negativen Einfluss und ich will nicht, dass er das auch mit dir macht. Und mehr sage ich dazu nicht, ja? Er wird hier in meiner Wohnung bleiben, wenn er in ein paar Tagen kommt. Und sag es mir bitte, falls er dir zu nahe kommt. Das darf und soll er nicht", erklärte er abwehrend und schüttelte den Kopf.
"Komm schon, Jonny! Wenn jemand weiß, wie man sich benimmt, dann ja wohl eine Prinzessin, oder? Ich helfe dir gerne mit ihm, wenn du das willst", versuchte ich es wieder, aber er schüttelte erneut den Kopf.
"Nein, das will ich nicht. Halt dich bitte fern von ihm, er wird nur alles durcheinander bringen", wehrte er entschieden ab.
"Sagst du mir dann wenigstens, wie alt er ist und was er angestellt hat?", hakte ich weiter neugierig nach.
"Er ist achtzehn, im Herbst wird er neunzehn. Aber mehr sage ich dir nicht, ich will nicht, dass du rausfindest, was für ein Teufel der Junge sein kann", antwortete er mir, bevor er wieder aufstand. "Aber jetzt muss ich erstmal mit Maddie sprechen, die hier immer die Zimmer herrichtet. Sie wird die nächsten Wochen wohl noch die Couch beziehen müssen."
"Blane bleibt also länger?", fragte ich weiter nach.
"Heather, hör schon mit den Fragen auf! Aber ja, er bleibt wahrscheinlich den ganzen Sommer über, bis sich die Lage in Dublin beruhigt hat", meinte er leicht genervt. "Und mehr sage ich wirklich nicht, ok? Du weißt schon mehr, als du müsstest."
"Sehe ich nicht so, ich wüsste gerne mehr über deinen Sohn", erwiderte ich und sah ihn neugierig an. "Also? Bitte?"
"Ich weiß, ich darf dir keinen Befehl abschlagen, aber deine Manieren sollten es dir doch gebieten, mich nicht weiter mit Fragen zu löchern, nicht wahr, Prinzessin?", grinste er, ich verdrehte die Augen und stöhnte genervt.
"Na gut, gewonnen. Aber kennenlernen will ich deinen Sohn trotzdem", willigte ich ein, er schüttelte den Kopf.
"Nein, das geht nicht - zu deinem eigenen Schutz. Und jetzt komm, lass uns eine Runde in die Stadt gehen. Ich brauche noch ein kleines Willkommensgeschenk für Blane und du willst mit Sicherheit in deinen Lieblingsladen und Süßigkeiten kaufen, oder?", lenkte er vom Thema ab, ich musste lachen und nickte. Jonny kannte mich einfach zu gut und wenn er nicht weiter über Blane reden wollte, dann sollte ich das auch respektieren.
"Das stimmt, das würde ich echt gerne machen. Dann los, ich will endlich meine Süßigkeiten!", stimmte ich zu und sprang vom Sessel auf. "Die hab ich im Internat echt vermisst!"

Royal - Die Entscheidung meines Lebens Where stories live. Discover now