Kapitel 9

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Das einzige, was ihr jetzt noch etwas Ruhe und Ablenkung verschaffen konnte, war Schreiben. Wednesday hatte bis zur Fechtstunde noch ein paar Stunden Zeit, um sich ihrem neuesten Roman, einer neuen Geschichte über die junge, aufstrebende Detektivin Viper de la Muerte zu widmen. Sie warf ihren Rucksack und ihren Schulblazer aufs Bett und setzte sich direkt an ihre Schreibmaschine. Laut und energisch hämmerte sie in die Tasten, nur um Jolenes unerträgliche Stimme aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Wir haben etwas gemeinsam…

Kreischte es in ihrem Schädel. Ihre Augenbrauen bebten, ihre Lippen waren zusammengepresst und der Schmerz in ihrer Mitte war beinahe nicht auszuhalten, noch weniger als ihre brennenden Fingerspitzen. Ruckartig öffnete sich die Tür.

Wednesday blieb unbeeindruckt und schrieb wie eine Wahnsinnige einfach weiter. „Da bist du!?“, Enid kam schnell zu ihr gelaufen, stellte sich neben ihren Schreibtisch und wollte nach ihrer Schulter greifen.

Totbringender hätte ihr Blick nicht sein können. Wednesday drehte sich augenblicklich zu ihrer Mitbewohnerin um: „Nicht anfassen…“ Enid schrak zurück. Aufgeregt und besorgt sprach sie drauf los und entfernte sich wieder einen Schritt von ihr: „Das hat jetzt ein Ende…jetzt sofort!“ Sie hob ihren Zeigefinger: „Du verhältst dich merkwürdig, noch mehr als sonst. Das ist nicht normal, nicht einmal für dich. Du erklärst mir sofort, was los ist. Ich weiche nicht vom Fleck, bis du mir erzählst hat, was mit dir los ist!?“ Enid schnappte nach Luft. „Du warst die halbe Nacht spurlos verschwunden in der Kälte. Du hast den ganzen Tag kein Wort mit mir gesprochen und dann diese Show im Gewächshaus abgezogen.“

Nun war es genug. Wednesday antwortete wütend, während sie weiter tippte: „Eine Show abgezogen? Ich war wohl die Einzige, die sich normal und wie immer verhalten hat.“ Ihre schnippische Antworte ließ Enid kalt. „Achso? Ich glaube nicht, Wednesday … du hast einen Abgang gemacht nach der Stunde, als ob dich jemand beim Poe Cup ins kalte Wasser geschmissen hätte oder jemand dir dein Cello geklaut hat!“ 

Wednesday drehte sich zu ihr um und sah, wie ernst es Enid meinte. Sie starrte in ihre riesigen, beinahe glänzenden Augen. Ihre Finger ruhten nun auf der Tastatur. Sie wusste, sie war auf sich allein gestellt. Eiskaltes Händchen konnte ihr jetzt nicht helfen, war er doch immer der Vermittler zwischen ihnen gewesen.

Schier endlose Sekunden vergingen, bis Enid erneut ansetzte: „Irgendetwas ist doch los… es geht um Xavier oder liege ich da falsch?“ Enids Stimme war mit einem Mal ruhiger und Wednesday konnte nur mit einer Gegenfrage glänzen: „Was um alles in der Welt bringt dich dazu, zu denken, dass es um Xavier geht?“ Wednesday wollte wissen, was sie verraten hatte, um vielleicht das nächste Mal vorsichtiger sein zu können. Nun stand sie auch und ging Enid ein Stück entgegen, auch wenn sie immer noch große Angst vor einer Vision hatte.

„Naja keine Ahnung… heute Morgen erzählst du mir, dass er dir ein Smartphone geschenkt hat, einfach so… dann hatte ich wirklich geglaubt, dass du in Pflanzenkunde von deinem Platz aufspringst und der Neuen die Zunge herausreißt… ich hab gesehen, wie du sie beobachtet hast, wie du ihn angeschaut hast und dann warst du verschwunden…“, Enid war sich sicher, auf der richtigen Spur zu sein und um Wednesday nicht weiter in die Ecke zu drängen, sprach sie immer sanfter mit ihr: „Wednesday… du kannst mir alles erzählen… bitte… ich will dir nur helfen und ich werde niemandem…“

Dann fiel sie ihr ins Wort, ihre Augen auf den Boden gerichtet, ihre Hände nervös zu Fäusten geballt: „Ich weiß es nicht…“ Enid setzte sich ruhig auf ihr Bett und ließ sie nicht aus den Augen. „Er hat mir geschrieben, in den letzten Wochen … Xavier … ich habe nie geantwortet und ich glaube er ist sauer deswegen.“, Wednesday wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. Sie wusste, früher oder später musste sie mit Enid über all das reden, doch einfach war das für sie keinesfalls. 

Woe is me, my loveWhere stories live. Discover now