Kapitel 14

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Es war bereits dunkel, Enid war immer noch unterwegs. Also schrieb sie ihr eine Nachricht. Immerhin hatte sie es ihr versprochen, sich zu melden. Der Weg in den Wald war alles andere als einfach. Ihre Gedanken lenkten sie so sehr ab, dass sie mehrmals stolperte. Sie war unsicher, nervös, besorgt und neugierig zugleich. Alles Emotionen und Zustände, die sie nicht gewohnt war, die sie nicht wirklich kannte. So verloren und schwach hatte sie sich noch nie gefühlt und das alles wegen ihm. Seine Nachricht war aus dem Nichts gekommen. Mit zitternden Fingern hatte sie hektisch ihre blutigen Fingerspitzen mit Pflastern verbunden und war dann auch schon in Windeseile über den Balkon hinaus in die Nacht gelaufen. Es war ihr egal, ob sie gegen Regeln verstoßen würde, dass sie jemand erwischen könnte. Sie wollte nur noch bei ihm sein.

Ganz anders als beim letzten Mal, als sie ihn dort gesucht hatte, brannte im Atelier ein kleines Licht. Durch die Scheiben der Holzhütte leuchtete ein gelblicher Schein, der augenblicklich ihren gesamten Körper entflammte. Langsam näherte sie sich dem Häuschen. Erst wollte sie die Tür einfach öffnen, doch dann entschied sie sich doch dazu, anzuklopfen. Kurz danach öffnete er die hölzerne Tür. Xavier sah sie mit großen Augen an. Man konnte förmlich sehen, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel: „Hi… komm rein…“

Er ließ sie hinein. Machte ihr Platz. Im Inneren des Studios war es deutlich wärmer. Wednesday behielt dennoch ihre Hände in den riesigen Taschen ihrer Jacke versteckt, aus Angst, er könnte ihre verbundenen Finger sehen. Sie lief auf und ab und sah sich alles genau an. Er hatte aufgeräumt, Materialien besorgt und auch bereits schon ein paar Skizzen aufgehangen. Es sah beinahe aus wie vorher. Sie räusperte sich, sah ihm schließlich in die Augen: „Was gibt es denn so dringendes?“

Er schloss die Tür und ging zu ihr. Er zog den kleinen Hocker zu sich und setzte sich vor sie, dabei behielt er sie immer im Blick. Er schob ihr ebenfalls einen Stuhl hin, doch sie schüttelte nur den Kopf. Sie wollte nicht sitzen, dafür war sie viel zu nervös. Seine Stimme war leise, ein Flüstern, das kaum zu hören war: „Ich habe dich gehört… wie du gespielt hast… es war anders… aber wunderschön.“ Wednesday wurde heiß und kalt zugleich. Komplimente verstand sie ebenso wenig wie Gefühle, doch sie versuchte auf ihr Innerstes zu hören und entschied sich dafür, ihm zu danken: „Danke?“ Sie fühlte sich geschmeichelt, war aber zu schüchtern, es zu zeigen.

„Das war es, was du mir sagen wolltest?“ Nun stand sie wie versteinert da, so als wartete sie auf irgendetwas. Er fühlte sich wahnsinnig unter Spannung, sagte er doch stets die falschen Dinge zu ihr. Also ließ er sich Zeit: „Ich wollte wissen, ob es dir gut geht… deine Musik klang dunkel, irgendwie traurig, noch mehr als sonst. Ich habe mir Sorgen gemacht. Hatte irgendwie Angst, du würdest daran zerbrechen… also wollte ich dich sehen.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich bin hart im Nehmen und so spiele ich nun einmal.“ Er fuhr ihr ins Wort: „Nein das tust du nicht… nicht so… du bist traurig, verletzt und ich werde den Gedanken nicht los, dass ich schuld daran bin.“ Wednesday ging einen Schritt auf ihn zu. Weil er saß, konnten sie sich nun direkt in die Augen sehen, sie waren nahezu auf einer Höhe.

„Glaub nicht, dass du für alles die Schuld gepachtet hast… du bist nicht für alles verantwortlich.“ Wednesday wollte nicht unfreundlich sein, nicht stur und auch nicht taktlos. Doch sie konnte einfach nicht anders, sie konnte einfach nicht anders mit ihm reden. „Aber für deine schnelle Flucht heute Mittag schon…“, er sprach so sanft, dass es schmerzte in ihrer Brust, „Und das tut mir leid. Wirklich. Sehr.“ Wie ein junger Hund sah er sie an. Er war ihr verfallen von Kopf bis Fuß und Wednesday sah es nicht, sie erkannte nicht, warum er dies alles hinnahm. Sie und ihre Eigenheiten, ihre verschrobene Art und auch ihre Unfreundlichkeit. Dann sah sie auf seine Finger, sah wie er seine Hände nervös über seine Beine schob. Immer wieder. 

Woe is me, my loveWhere stories live. Discover now