Kapitel 30

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Auch wenn sie um alles auf der Welt an etwas anderes denken wollte, kamen ihr mit einem Schlag ihre Eltern in den Sinn. Als sie Xavier küsste und vollkommen fremdgesteuert seine Haare mit ihren Fingern durchwühlte, dachte sie an ihre Eltern. Daran, wie sie sich in aller Öffentlichkeit blamierten, jedes Mal, wenn sie wie wilde Tiere übereinander herfielen, wenn sie gemeinsam Lieder sangen, sich ihre Liebe gestanden. Einerseits war es absurd, andererseits schien es vollkommen logisch zu sein, dass Wednesday immer mehr zu dem wurde, was ihre Eltern ausmachten. 

Verliebte und vollkommen ineinander vernarrte Romantiker…

Schimpfte sie in Gedanken. Xavier hielt sie fest und löste seinen Mund von Ihrem. Er spürte es in seinen Knochen, dass sie innerlich brodelte. Ihre Nasen berührten sich noch immer und er flüsterte ihr zu: „Ist alles in Ordnung?“ Und als sie ihn so sah, mit seinen roten Wangen, den riesigen Augen und der völlig zerstörten Frisur, wusste sie augenblicklich, warum es die Liebe überhaupt gab. Wenn man bereit war, alles aufzugeben, sogar sich selbst und seine Ansichten und seine schrägen Eigenheiten, nur, um von jemanden so angeschaut zu werden, dann war man verliebt. Und sie erkannte.

Ich bin genauso eine verliebte und vernarrte Romantikerin… Schande über mich…

Sie nickte ihm zu und stand langsam auf von seinem Schoß. Ohne ein Wort drehte sie sich um zu ihrem Bett. Sie blickte hinab auf die Kissen und das Bettlaken, ihre Finger hingen starr nach unten neben ihren Seiten. Xavier, der immer noch auf dem kleinen Stuhl saß, musterte ihren Rücken, ihre freien Schultern, ihren Nacken, der nur von ein paar kleinen Strähnen bedeckt war, die aus ihren hochgesteckten Zöpfen hingen. 

„Ich möchte mich gern umziehen… ich bin müde…“, sprach sie leise. Xavier setzte sich auf, seine schweißnassen Finger rutschten über seine Oberschenkel. „Ich kann das Kleid nicht allein öffnen… da sind ein kleiner Knopf und ein Reißverschluss… Enid hatte mir geholfen…“ Er schluckte, als er verstand, um was sie ihn bat. In seinem Kopf ging er alle Varianten durch. Er dachte darüber nach, dass er dieses wunderschöne Kleid auf tausend verschiedene Weisen öffnen könnte, sie aber am Ende immer in Unterwäsche vor ihm stehen würde oder er einen kurzen Blick erhaschen könnte. Ihm wurde schwindelig.

Langsam, schnell, zart, völlig cool, desinteressiert, abweisend, nervös…

Auch wenn er keinen Fehler machen wollte, warf er beinahe den Stuhl um, als er aufstand. Er ging einen Schritt näher an sie heran und inspizierte das Kleid, so als stünde er vor einem unlösbaren Rätsel. Seine Finger zitterten, als er den Stoff beiseiteschob, den kleinen Kopf öffnete und langsam den Reißverschluss nach unten führte.

Wednesday fühlte sich so, als würde sie unter Strom stehen. Auch wenn er sie kaum berührte, fühlte sie jede Bewegung seiner Finger auf ihrem Rücken. Es war berauschend. Als er den ersten Hauch nackter Haut erspähte, blickte er schnell nach oben, hinweg über ihre Schulter. Wednesday drückte mit ihren Händen das Kleid gegen ihre Brust, damit es nicht gänzlich nach unten fiel. Kurz drehte sie sich zu ihm um, ihre Wangen röter als jeder Sonnenuntergang: „Danke… ich ziehe mir was anderes an…“ Und sie lief in Richtung ihrer Kleiderkammer. 

Xavier blieb zurück. Versteinert, gebannt und vollkommen ohne Plan, wie es nun weitergehen sollte. Er sah hinüber zu Enids Seite. Er zog seine Schuhe aus, stellte sie neben den Stuhl vor Wednesdays Schreibtisch. Dann zog er eilig seinen Kapuzenpullover aus und legte diesen gemeinsam mit seiner Hose über den Stuhl. Nur in T-Shirt, Socken und Boxershorts lief er hinüber auf die andere Seite des Zimmers.

Er blickte über die Kuscheltiere, Enids Poster, die Einhörner, die auf dem kleinen Regal über dem Bett aufgereiht waren. Er lachte, sein Grinsen ging von einem Ohr zum anderen. Er stieg in das Bett, warf ein paar Stofftiere über den Rand hinunter auf den Boden und deckte sich zu. Er legte seine Arme über die Decke und starrte nach oben. Als er ihre Schritte auf der anderen Seite hörte, rührte er sich keinen Zentimeter, das Grinsen immer noch breit auf seinem Gesicht.

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⏰ Last updated: Apr 24, 2023 ⏰

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