Kapitel 23

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Bereits vor der Statue von Edgar Allan Poe konnte man das Gelächter hören. Wednesday und Enid tauschten nervös Blicke aus. „Kann losgehen!“, sagte Enid schließlich motiviert und sie schnipste zweimal. Die Unterhaltungen verstummten für einen Moment, als die beiden Freundinnen die Treppe hinunterliefen. 

Am Ende der Stufen saßen Bianca und Yoko. Überall waren kleine Grüppchen verteilt. Die Nachtschatten hatten Zuwachs bekommen. Nach allem, was vergangenes Jahr passiert war, war das nur eine Frage der Zeit gewesen. Kent und Eugene, das neueste Mitglied der Nachtschatten, unterhielten sich in der Mitte der Bibliothek. Sie saßen auf Campingstühlen, mit Dosenbier in der Hand und fummelten an einer Lautsprecherbox herum. Als Wednesday sie von oben bis unten musterte, kniff sie ihre Augen zusammen: „Das ist ja wirklich elitär.“

Enid konnte nur darüber lachen. Sie zog Wednesday hinter sich durch den Raum. „So wie es aussieht, sind sie noch nicht hier… Ajax und Xavier.“, stellte sie fest. Alle zuckten zusammen, als laute Musik mit einem Schlag aus dem Lautsprecher dröhnte. Eugene war sofort aufgesprungen und hatte die Lautstärke wieder runtergedreht. Als Zeichen für eine Entschuldigung hob er nur kurz die Arme, grinste und ließ sich dann wieder auf seinen Stuhl fallen. 

„Bier oder lieber Prosecco?“, Enids Frage war nur ein Hauch in ihren Ohren, war sie doch ganz in ihren Gedanken versunken, die sich nur um Xavier drehten. „Was? Was hast du gesagt?“ „Ich habe gefragt, was du trinken willst?“, wiederholte sie ihre Frage. Wednesday ließ ihren Blick schweifen und entdeckte neben Kent auf dem Boden eine Flasche Whiskey. Sie zeigte darauf: „Das!“ „Du trinkst Whiskey?“, Enid war schockiert.

Wednesday ging geradewegs zu ihm, Enid folgte ihr. „Mein Vater liebt Whiskey. Für eine Flasche „Angels Envy“ oder „Wild Turkey“ würde er töten. Er sagte immer „Man muss dem Leben immer einen Whiskey voraus sein“. Ich bin damit aufgewachsen. Pugsley und ich haben oft ein Glas vor dem Schlafengehen getrunken.“ Enid verzog das Gesicht. Wednesday sprach weiter: „Es macht die Alpträume interessanter.“ „Okay, wenn du meinst.“ Enid griff nach der Flasche und schenkte ihrer Mitbewohnerin einen Becher ein. 

Wednesday nahm einen Schluck. Der herbe und leicht bittere Geschmack machte ihr gar nichts aus, fühlte es sich doch an wie Zuhause. Also nahm sie die Flasche direkt in ihre andere Hand. „Hast du schon eine Idee, was du ihm sagen wirst?“, Enid schien voller Vorfreude.

Erst jetzt fiel Wednesday wieder ein, dass sie vor wenigen Minuten noch voller Tatendrang in ihrem Zimmer aufgebrochen war, mit der Absicht, sich bei Xavier zu entschuldigen. Sie stotterte vor Aufregung: „Ich… ich weiß nicht. Ich denke, ich lass das mal auf mich zukommen. Ich gehe lesen … in der Zwischenzeit.“ Enid schien enttäuscht und als Wednesday ihren Blick sah, ergänzte sie: „Du hast gesagt, ich kann lesen!“ „Okay, okay… ich unterhalte mich mit den anderen. Geh schon!“, ergab sie sich und stellte sich zu Eugene und Kent, während sich Wednesday mit einem Buch vor das Regal in der hintersten Ecke setzte. Abseits von allen anderen, die Flasche auf dem Boden direkt neben ihr. Den Becher, den sie unterwegs bereits ausgetrunken hatte, hatte sie einfach in die Ecke geworfen. 

Sie blätterte durch eines der lilafarben eingebundenen Bücher, überflog die Seiten, Worte und auch Zeichnungen. Bestimmt 20 Minuten hatte sie bereits so überbrücken können und immer wieder einen  Schluck getrunken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Party ein jähes Ende finden würde. Der Whiskey in ihrem Körper und das Buch in ihrer Hand ermöglichten es ihr, sich beinahe wohl zu fühlen, wäre da nicht das laute Lachen der Anderen gewesen, die Musik oder Bianca.

Selbstbewusst setzte sie sich plötzlich neben sie auf den Boden. „Hey, störe ich?“, fragte sie vorsichtig. „Soll ich diese Frage wirklich beantworten?“, gab Wednesday ernst zurück. „Okaaay…“, Bianca dachte für einen Moment nach und sprach schließlich weiter, „Ich… ähm halte mich kurz.“ Sie räusperte sich: „Was ist los? Mit dir und Xavier?“ Wednesday schlug das Buch zu und griff nach der Flasche. „Was soll los sein?“, ihre glasigen Augen verrieten, dass sie ganz genau wusste, worauf Bianca hinauswollte. Sie trank einen weiteren, großen Schluck direkt aus der Flasche. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht. Aber Xavier…“, Biancas Miene verfinsterte sich,  „…er ist irgendwie nicht gut drauf. Irgendwie verzweifelt… ich meine verzweifelter als sonst.“ 

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