Kapitel 18

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Mr. Daniels schob Wednesday nahezu vor sich her, als sie den Gang, der zum Büro des Direktors führte, erreichten. Er hielt inne, bevor er an der riesigen Holztür anklopfte und sah Wednesday überrascht an: „Einen Moment… er scheint, zu telefonieren. Setzen sie sich!“ Er blickte hinüber zur anderen Seite des Ganges. Eine kleine Bank stand an der gegenüberliegenden Wand. Daniels blieb neben der Tür stehen. Wednesday ging hinüber und setzte sich. Ihr Hände lagen ruhig auf ihrem Schoß, doch tief in ihrem Inneren kämpfte sie einen Kampf. Direktor Moody machte ihr keine Angst. Was auch immer er von ihr wollte, beeindrucken würde sie es nicht. In ihr tobte es dennoch. 

Das Gefühl auf ihren Lippen war immer noch da. Sein Mund hatte einen Abdruck hinterlassen auf ihren Lippen und ihrer Seele. Sie spürte noch immer seinen Atem, hörte seinen Puls in ihrem Kopf. Es schallte so laut, dass es ihren eigenen Herzschlag, der seltsam und unregelmäßig schien, beinahe überdeckte.

Der Kampf in ihr war unausgewogen. Sie fühlte ganz genau, dass ihr egoistisches, herzloses und beinahe totes Selbst gegen etwas Anderes verlieren würde. Schon bald. Sie war bereit, zu kapitulieren. Sie würde aufgeben, den Schein verlieren, die Fassade begann bereits zu bröckeln. Zu ihrem eigenen Schutz hatte sie seit ihrer Kindheit jegliche Gefühle aus ihrem Leben verbannt. Das war nun Vergangenheit. Seit Nevermore entdeckte sie immer wieder aufs Neue, was es bedeutete, zu fühlen und es machte sie wahnsinnig, lenkte sie ab, ließ sie Fehler machen, verwirrte sie und stellte sie andauernd vor scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Und Xavier war an alledem schuld und dieses Mal irrte sie sich nicht.

Er hat Schuld. Er ist zwar kein Hyde… aber dennoch ein Monster, ein Monster, dass mich töten wird… es hat bereits begonnen, damals schon, als er mich vor diesem Gargoyle gerettet hatte… die, die ich war, wird es nicht mehr geben und Xavier hatte die ganze Zeit über die Waffen, die dafür nötig waren… seine Worte, seinen Kuss, sein ganzes Ich…

Wednesdays Gedanken wurden von etwas gestört. Es war leise, aber dennoch eindringlich. Daniels lief auf dem Gang auf und ab, er hatte die Geduld eines Kleinkindes. Sie verfolgte ihn eisern mit ihren Blicken. Er bemerkte nichts. Und dann hörte sie es wieder. Die Stimme des Direktors. Durch die hölzerne Tür schien sie wie ein Brummen, welches sich schließlich bei genauem Hinhören in Worte verwandelte. In ihrem Kopf entschlüsselte sie erst deren Bedeutung.

Sie haben was? Pause. Und das sagen sie mir jetzt? Pause. 

Moody klang aufgebracht und nervös.

Wie lange soll das andauern? Pause. Ein halbes Jahr? Pause.

In Gedanken schrieb sie mit, auch wenn sie jetzt noch nicht wusste, was sie mit diesen Informationen anfangen sollte. Es war immer gut, gegen jemanden wie Moody etwas in der Hand zu haben. Er sprach weiter. Er klang beruhigter.

Gut. Dann sollte dem nichts im Wege stehen am Ende des Schuljahres. Pause. Es wäre von Vorteil gewesen, hätte ich das eher gewusst. Pause.

Sie zuckte zusammen, als Daniels plötzlich dicht vor ihr stehenblieb. Seine Hände hatte er hinter seinem Rücken verschränkt. Typisch Lehrer, dachte sie sich. Und dann drehte er sich zu ihr: „Kommen sie. Sie können jetzt rein!“ Er schob die Tür auf und Wednesday trat hinein. „Ah Miss Addams.“, Mr. Moody stand hinter seinem Schreibtisch, direkt neben dem Telefon, welches er scheinbar eben benutzt hatte. Daniels schloss die Tür hinter sich und ließ Wednesday mit dem Direktor allein.

Sie trat vor den Schreibtisch, ihre Miene war regungslos. Sie wartete darauf, dass er den ersten Zug machte. „Sie haben heute übereilig ihren Posten verlassen. Der Outreach Day ist ihnen wohl nicht bekommen?“, seine Stimme war rau und eingängig. Er war todernst. „Offensichtlich.“, Wednesday ließ sich nicht ködern. Nach einer längeren Pause, bohrte er weiter: „Warum haben sie das Kino eher verlassen mit Mr. Thorpe?“ Nun wurde er deutlicher. Wednesday reagierte innerhalb von Millisekunden, die Wahrheit war schließlich nicht so verwerflich, wie Mr. Moody es aussehen lassen wollte. Diese Audienz bei ihm war vollkommen unpassend und überzogen, so viel stand fest.

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