Tränenstrom

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Jeongins Pov: 

Ich ärgerte mich mittlerweile maßlos über mich, dass ich Minho nicht gefragt hatte, wie er beim ersten Mal den Käfig geöffnet hatte. Aber möglicherweise hätte ich diese Kraft nicht einmal aufbringen können, immerhin war ich nicht Satan, sondern nur ein einfacher Mensch.

Dann tauchte das Stück Stoff erneut auf, das ich vorhin an die Stäbe geknotet hatte, und entmutigt starrte ich vor mich hin.

„Es gibt keinen Eingang. Da ist keiner."


„Zumindest keiner der offensichtlich ist. Aber der Leviathan wurde schon einmal befreit, also kann man es ebenso gut ein zweites Mal schaffen." Abbadon schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie sah an den Gitterstäben hinauf. „Vielleicht kommt man von oben hinein... Warte hier auf mich."

Kraftlos ließ ich mich mit dem Rücken an den erstaunlich kalten Metallstäben hinabsinken, während Abbadon sich daranmachte, an den Stäben emporzuklettern. Sie bewies unglaubliches Geschick darin, sich an der glatten Oberfläche des Metalls festzuhalten und ihren Körper durch die starken Arme nach oben zu ziehen. Und schlussendlich gelang es ihr, auf die obere Abdeckung des riesigen Käfigs zu steigen. Während sie sich weiter von mir entfernten, legte ich die Arme um meine angewinkelten Beine und versuchte, tief durchzuatmen und die Hoffnung nicht zu verlieren. 

Ich war so nahe dran, meinen Dämon wiederzusehen, ihm hoffentlich helfen zu können und damit meinen fatalen Fehler wiedergutzumachen. Ich durfte jetzt einfach nicht scheitern.

Die Schwermut drückte auf mein Herz und auf meinen Verstand, sie wollte mich dazu bewegen, das Suchen und Hoffen aufzugeben, aber das konnte ich nicht. Und als ich wenige Minuten später hörte, wie schnelle Schritte auf mich zukamen, blickte ich eilig auf, erkannte das resignierte Kopfschütteln von Abbadon und seufzte.

Ich rappelte mich auf, drehte mich zu dem unüberwindlich scheinenden Käfig um und spürte den Trotz und den unsagbaren Schmerz in mir aufsteigen und dann legte ich langsam aber entschlossen die Finger meiner rechten Hand um die unnachgiebigen Metallstäbe. Mit leicht gesenktem Kopf stützte ich mich an dem Hindernis vor mir ab, als müsste ich die nötige Kraft sammeln, um die nächsten Worte zu sprechen.

„Hyunjin, ich habe dir Unrecht getan. Ich habe dich verraten und dir nicht genug vertraut. Ich habe mich verleiten lassen und nicht verstanden, dass ich dir mehr bedeute, als du es zugeben wolltest. Allerdings verspreche ich dir eines. Ich werde nie wieder aufgeben. Ich werde nie wieder so schwach sein und dich verleugnen, dir in den Rücken fallen oder deine Kraft anzweifeln. Denn nur durch dich bin ich jetzt hier. Ich habe es verstanden, was du mir zeigen wolltest. Du wolltest nicht mich besitzen, sondern mich alles besitzen lassen. Du hast dich mir geöffnet, in der Hoffnung ich würde dadurch verstehen, dass die besten Geschichten im Chaos entstehen. Ich habe es verstanden und ich will dir sagen, dass ich dir vertraue und dass ich bereit bin, jetzt für dich zu kämpfen."

Eine unsichtbare Macht schien bei diesem letzten Satz durch mich hindurchzufließen, sie kam mir so vertraut und schützend vor und auf einmal zerplatzte der Metallstab, den ich immer noch fest umklammert hatte, in tausende und abertausende Wassertröpfchen. Zunächst hatte ich zurückweichen wollen, doch als ich sah, dass so eine Lücke entstand, griff ich nun entschlossen mit beiden Händen nach zwei weiteren Gitterstäben und ließ sie auf ähnliche Weise verschwinden. Und endlich konnte ich ins Innere des Käfigs.

Ich zwängte mich durch die entstandene Lücke und als ich keine weiteren Hindernisse vorfand, begann ich zu laufen. Immer schneller rannte ich und endlich erkannte ich die Gestalt, die noch immer reglos auf dem Boden lag.

Die silbergrauen Haare waren wie ein kleiner Fächer um den Kopf ausgebreitet, als hätte sie das Wasser hinwegschwemmen wollen und es doch nicht geschafft. Die Arme waren ebenso vom Körper abgespreizt, während der Oberkörper leicht gedreht war und die Beine etwas angewinkelt dalagen. Dieser Anblick war fast schon friedlich. 

Dancing with Demons 2. TeilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt