Ein Leben zu Ehren der Verstorbenen

1.6K 208 52
                                    

Felix Pov:

Mit einem drückenden Gefühl der Endgültigkeit wandte ich mich ein letztes Mal dem großen schwarzen Tor zu. Ich fühlte mich, als würde ich gerade alles hinter mir lassen und irgendwie stimmte es ja auch. Ich würde Jeongin und Seungmin zurücklassen, diejenigen, die noch übrig waren. Endlich verstand ich in Ansätzen, was Jisung gespürt haben musste, als er nicht bei uns sein durfte. Dieses Gefühl etwas zu vermissen, was man doch so sehr brauchte und dennoch nicht erreichen konnte. Ich spürte es jeden Tag ohne ihn und trotzdem wusste ich, dass es mich nur trauriger machen würde, jetzt darüber nachzudenken.

Deshalb versuchte ich den Anblick, der sich mir momentan bot, in mir aufzunehmen, ihn abzuspeichern und meine negativen Empfindungen zumindest teilweise beiseitezuschieben.

„Lix"

Jeongins Hand strich über meinen Unterarm und er lächelte wehmütig, bevor er mich fest umarmte und erst nach einer kleinen, aber sehr angenehmen Unendlichkeit wieder von mir abließ. Nun drehte ich mich zu Seungmin um. Dieser war seit seiner Erweckung zum Dämon deutlichen Veränderungen unterworfen, aber sie passten zu ihm. Sie machten ihn zu dem Wesen, das er schon immer hatte sein sollen. Er war gute zehn Zentimeter gewachsen und überragte seinen Dämon ein wenig, was diesen allerdings nicht wirklich zu stören schien. Auch sonst war Minnie viel reifer und bedachter, manchmal konnte er sogar richtig fies sein. Größtenteils war er dennoch der clevere und wissbegierige junge Mann geblieben, den ich seit vielen Jahren kannte.

Es war beinahe erschreckend, zu bemerken, wie sehr wir uns alle verändert hatten und das teilweise unbemerkt, weil wir viel zu beschäftigt mit unseren Sorgen waren – in diesem Fall war Sorgen wohl mit Dämonen gleichzusetzen. Es erschien mir fast unbegreiflich, wie wir eine Zeit lang gegenüber unserer Umwelt so blind geworden waren, nur weil wir uns mehr damit beschäftigt sahen, einem übernatürlichen Wesen zu erlauben, uns zu vereinnahmen, sowie über unser Handeln und unser Leben zu bestimmen. Aber irgendwann hatte das Erwachen kommen müssen und spätestens seit Jisungs Tod wussten wir alle drei, dass es nie einen Weg zurück geben würde.

„Hyung. Du wirst uns hier besuchen kommen, oder?" Jeongin lächelte sanft und sah kurz hinab zu meinem Bauch, der sich in den letzten Tagen unwesentlich vergrößert hatte. Innies Augen wurden schmaler und ich wusste, dass er gleich etwas sagen würde, das er als äußerst lustig empfand.

„Wir wollen schließlich sehen, wie dick du wirst... und dafür musst du nicht einmal unbedingt etwas essen."

Ich stieß die Atemluft mit einem leisen Schnauben aus und drückte Innie daraufhin meinen Zeigefinger gegen die Brust. „Hör auf, so frech zu sein. Sollte dir das irgendwann passieren, dann werde ich dich nämlich damit aufziehen", gab ich zu bedenken und selbst Hyunjin und Chan ließen ein belustigtes Schmunzeln sehen. Sie standen genau hinter ihren beiden Liebsten und waren extra gekommen, um mich und Changbin offiziell zu verabschieden. Wir befanden uns genau vor den Toren der Hölle und ich konnte den schwarz gepflasterten Weg sehen, der durch die wogenden karmesinroten Wiesen zur Festung führte.

Ab heute würde ich nicht mehr so häufig herkommen oder mich hier häuslich einrichten, was in Anbetracht der Tatsache, dass mein bester Freund hier sein Ende gefunden hatte, beinahe tröstlich schien. Stattdessen würde ich gemeinsam mit Changbin im Himmel leben.

Dieser trat nun wie gerufen neben mich und ich spürte die mächtige und zugleich schützende Aura, die zuvor Jisung umgeben hatte. Lucifer trug diese Kraft mit Würde und mittlerweile sogar mit der nötigen Bescheidenheit. Es kam mir fast so vor, als hätten ihn die Umstände, wie er Gott geworden war, und die Verantwortung, die er jetzt trug zu einem einsichtigeren und bedachteren Handeln angeleitet. Vielleicht war es auch zum Teil der Tatsache geschuldet, dass ich ein Kind von ihm erwartete und er neben seine Rolle als pflichtbewusster Vater ebenso ein verantwortungsvoller Gott werden wollte. Was es auch war, es ließ den einst hochmütigen Dämon nun zu einem gesitteten und wohl überlegten Herrscher werden. Und womöglich hatte es genauso kommen müssen. Jisung hatte recht behalten, das Schicksal konnte man nicht aufhalten.

Dancing with Demons 2. TeilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt